„Morgen tanzt die ganze Welt“

Manche Kritiker wittern bei diesem Maler Nazifolklore, andere sichten sozialistische Propaganda. An Norbert Biskys Pop Art blauäugiger, blonder Jugend scheiden sich die Geister

Interview von NIKE BREYER

S-Bahn-Station Humboldthain im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Wie verabredet, kommt Norbert Bisky im Auto vorbei, um den Weg ins Atelier abzukürzen, der durch Bronx-ähnlich verwinkelte Straßenzüge in einen alten Industriehof führt. Biskys Atelier ist ein großer, heller, sauberer Raum. Bilder stehen an die Wand gelehnt. Die bemalte Seite ist weggedreht. Ein Hawaiihemd hängt zum Trocknen im Badezimmer am Ende des Flurs. Mit dem blondem Kurzhaarschnitt wirkt Norbert Bisky jungenhaft, ist entwaffnend gut erzogen. Einer, dem man schwer die faustische Künstlerexistenz zutraut, dagegen problemlos jeden Tag eine gute Tat.

taz: Herr Bisky, den bühnenreifen Zwischenfall im Mai auf Ihrer Vernissage im Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam haben Sie mitbekommen?

Norbert Bisky: Dass das eine Bild runtergefallen ist?

Ja, das mit dem Jungen, der den Arm zum „deutschen Gruß“ erhoben hat. War das jetzt symbolisch?

Ich kenne die Geschichte so, dass jemand so lange dagegengestoßen hat, bis das irgendwann runtergekommen ist.

Gerüchte.

Sie standen daneben, na gut. Also, ich weiß nicht, warum das Bild von der Wand gekommen ist. Am Bild kann es nicht liegen. Wahrscheinlich lag’s an den Energien, die die Leute dagegengeschickt haben. Ich finde, man muss sich da jetzt mal ein bisschen beruhigen. Die Medien – oder wer auch immer – rennen durch so eine Ausstellung und suchen etwas, woran sie sich hochziehen können. Das ist aber, glaube ich, ein völlig harmloses Bild. Der Junge könnte genauso gut nach hinten zeigen. Der Arm verlängert sich eben in der Diagonalen.

Das glaub ich eher nicht, dass der auch auf ein Flugzeug oder eine Libelle zeigen könnte.

Na gut. Ich hab mir ja auch was dabei gedacht. Warum hängt dieses Bild nun in dieser Ausstellung in Potsdam, in Brandenburg.

Warum?

Kunst hat ja mit Kommunikation zu tun. Ich fahre viel in Brandenburg herum, und da ist es in den so genannten neuen Ländern nun so, dass die Kids, wenn sie auf der Suche sind nach einer Geste, nach einem Zeichen, mit dem sie die gesamte andere Welt maximal verschrecken können, die Welt ihrer Eltern, also alle, die älter sind als achtzehn und damit Feinde, dann beziehen sie sich halt auf diese ganze alte Nazischeiße.

Hm.

Ich habe da erst mal keine Berührungsängste. Da ist auch mein kultureller Hintergund. Ich komme ja aus dieser russischen Kolonie. Aber ich finde es erschreckend, wenn Sie durch diese Orte fahren, wie dort Leute mit kahl rasiertem Kopf Patrouille fahren, in ihren tiefer gelegten Autos. Ich hab’s grad wieder erlebt. Vielleicht (lacht) drehen sie auch nur ihre Kreise, weil sonst gar nichts los ist.

Das ist bedrohlich?

Auf mich wirkt es sehr bedrohlich. Ich will jetzt gar nicht irgendwelche Klischeetüren aufstoßen. Aber das sind Dinge, wo ich sage, da ist was nicht in Ordnung. Da war bis gestern so ein Pseudosozialismus, und jetzt rennen die Leute mit doch sehr rechten, vielleicht nicht Ansichten, aber nach außen getragenem Gebaren herum. Darauf reagiere ich. Ich betone das nochmal, das ist kein faschistisches Bild. Das ist auch keine Ausflucht. Das zum einen. Das andere ist: Wir haben eine kranke, ungesunde Situation, in der jeder, der versucht, sich mit der deutschen Geschichte, also mit diesen beiden Diktaturen, durch die wir gegangen sind, zu beschäftigen – und ich fühle mich geradezu genötigt, mich damit zu beschäftigen, weil ich in dieser einen Dikatatur groß geworden bin –, sofort in eine rechte nationalistische Ecke gedrückt wird. Es gibt da diesen türkischen Schauspieler, der fährt durch die neuen Bundesländer mit einem Tourneeprogramm und liest aus „Mein Kampf“ vor. Das ist eine ganz großartige Sache. So muss man das machen. Man muss die Sachen erst mal auspacken: Was haben die da gemacht? Woher kommt diese Faszination?

Das fehlt weitgehend.

Und das ist schlimm. Schlimm für unsere Kultur. Ich bin durch meine Herkunft, durch die Art, wie ich lebe, durch das, was ich tue, durch und durch antifaschistisch und in meiner Existenz von dieser Form der Ideologie auch bedroht, dass ich der Erste bin, der jedes Interesse hat, gegen die Gefahren dieser Ideologie zu kämpfen. Nur – man muss anders damit umgehen. Und das versuche ich. Die britischen Chapman-Brüder etwa können sich ganz frei, dabei auf sehr interessante Weise mit dem Phänomen Nationalsozialismus beschäftigen. Wenn Sie das als deutscher Künstler tun, kriegen Sie sofort Probleme.

Prinzipiell stimme ich zu. Aber sind Ihre Bilder nicht besonders offen? Kann die nicht jeder lesen, wie er will?

Ich bin ganz sicher, diese Bilder kann man nicht mehr missbrauchen als andere auch. Das ist unmöglich.

Warum reibt sich die Kritik dann so sehr an diesem Punkt?

Ich kratze an den Türen. Und dahinter ist das Zimmer, in das man nicht reingehen darf. Nehmen wir die Achtundsechziger. Da haben sich Leute einer Generation in ein ganz bestimmtes Wertesystem begeben und sind jetzt auf ganz totalitäre Weise in ihrem eigenen Denkmuster drin. Ich bin in einer Diktatur großgeworden. Mir ist das alles sehr vertraut. Wenn jemand nicht die Freiheit aufbringt, Dinge auch einfach mal zuzulassen, registriere ich das sofort. Ich lebe aus dem Bewusstsein, ich bin jetzt in einer freien offenen Gesellschaft und kann mich auch frei und offen bewegen – und das tue ich.

Sie halten wenig davon, dass ein Künstler mitverantwortlich ist für die Weise, in der er wirkt.

(Energisch) Ich bin hundertprozentig verantwortlich für meine Bilder. Dabei ist das offensichtlich eine Frage, die schrecklich interessant ist. Denn sie wird mir immer wieder gestellt: Was ist, wenn die Rechten so ein Bild kaufen? Nun bin ich in der komfortablen Situation, dass die das einfach noch nie gemacht haben. Und dafür gibt’s auch Gründe. Das glaubt mir nur keiner.

Dafür gibt’s Gründe?

Sie haben mich fürchterlich beschimpft in ihrem Szenezentralorgan Junge Freiheit, wie dumm und uninteressant das alles ist, was ich mache.

Interessant.

Da könnte ich mich zurücklehnen und sagen, damit ist das Problem für mich erledigt. So ist es aber gar nicht. Wenn diese Leute anfangen, sich mit meinen Sachen auseinander zu setzen, dann setze ich mich auch mit diesen Leuten auseinander. Ich lehne es ab, von vornherein zu sagen, diese Leute dürfen kein Bild von mir kaufen. Und wissen Sie, warum ich das ablehne? Wegen der totalitären Art, diese Dinge zu denken. Wie auch immer, sie machen’s nicht. Sie können mich nicht leiden. Ich kann die auch nicht leiden. Das wissen wir also gegenseitig.

Können wir auf Ihre Bilder schauen? Auf dem einen, das Sie mir eben gezeigt haben, löst sich der Körper des Jungen so eigenartig auf. Die Form des Arms erinnert an eine Kaulquappe. Das stört die Feier des schönen, gesunden Körpers.

Das ist ein Bild, an dem ich sehr sehr lange gemalt habe. Das habe ich vor zwei Jahren begonnen und erst Ende letzten Jahres fertig gestellt. Es ist durch vier verschiedene Ateliers getragen worden, also ein Bild, mit dem ich rumgereist bin. Vielleicht hat es dem Bild gut getan. Vielleicht sieht man einfach diese Zeit, die sich darin abgehangen hat wie bei einem guten Schinken.

Und das Motiv? Das grenzt an Morphing, an bildtechnische Veränderung der natürlichen Morphologie.

(Nachdenklich): Na ja, es gibt ja so linkische Bewegungen, die ganz sicher sein, ganz sicher aussehen sollen, die dabei aber furchtbar missglücken.

Sie sehen es weniger vom Malerischen.

Mehr vom Motiv. Zum Malerischen kann ich sagen, was ich vorher auch schon zu diesem falschen Hitlergruß gesagt habe, dass die Bewegung hier relativ genau in die Diagonale reingeht. Das ist etwas, was ich gut finde und oft benutze. So ein Bild hat vier Kanten. Da sind die Möglichkeiten, das Geschehen zu dynamisieren, begrenzt. Und diese wenigen (lacht) muss man nutzen.

Es geht also um eine missglückte Bewegung, vielleicht um eine missglückte Pose?

Posen sind ja der Körper als Zeichen, nicht wahr. Der Körper macht ein Zeichen. Und Zeichen sind toll, weil sie relativ universell sind.

Innerhalb eines Kulturraums.

Ja, oder in einem anderen Kulturraum anders aussehen. Letztes Jahr habe ich in Portugal ausgestellt. Da sagen die Leute, na ja gut, das ist ein deutscher Maler, und finden das gar nicht ungewöhnlich, dass die Figuren alle blond sind. Das entspricht deren Vorstellung vom Norden Europas. Die sehen auch gar nicht diese Bezüge zum Osten, die zu Anfang hier immer so herausgestellt wurden, den Bezug zur Tradition der russischen Bilder oder den Bildern aus den russischen Kolonien. Die Leute in Portugal haben solche Bilder noch nie gesehen. Deshalb stellen sie andere Zusammenhänge her. Dann reden Sie mit einem Biologen, und der sagt Ihnen dann, na ja, das ist ja klar, hier sind die Möglichkeiten thematisiert, die durch die Genomentschlüsselung und die Möglichkeiten des Klonens entstehen. Der meinte, die Figuren sähen aus wie aus einer Pro 7-Nachmittagsserie, wo Außerirdische auf der Erde landen, die alle gleich aussehen und komisch gucken.

So was läuft nachmittags auf Pro 7?

(Lacht): Keine Ahnung. Ansonsten kann ich dazu nur sagen: Klischees sind so eine Sache. Man kann sich gegen Klischees überhaupt nicht wehren. Das ist ein verlorener Kampf. Man kann da nur so rangehen, dass man sie absolut übererfüllt. Indem man den Erwartungen so sehr entspricht, dass es ins Leere läuft. Das ist der Umgang, den ich am besten finde.

Pose befindet sich ja in direkter Nachbarschaft zum Klischee. Beides befreit das Individuum vom authentischen Ausdruck. Geschieht das auf Ihren Bildern bewusst?

Absolut bewusst! Gehen Sie doch einmal auf die Straße: Die Leute sehen alle gleich aus. Es wird zwar erzählt, dass alles immer individueller wird. Aber ich habe eher den gegenteiligen Eindruck. Früher haben die Leute die gleichen Klamotten gekauft. Jetzt rennen sie in die Fitnessstudios und versuchen alle, den gleichen Körper zu kriegen. Das ist absurd.

Die Menschen betrachten ihren Körper als ein Kleid, an dem sie herumschneidern können.

Eine groteske Situation. Es gibt ja auch Menschen, die haben Visionen und bauen an ihrem Leben, die versuchen etwas zu schaffen, ein Haus, ein Bild. Dagegen steht diese Ichbezogenheit: Ich bau nur noch an meinem Körper rum.

Ihre Bilder entwerfen in gewisser Weise das Ideal dieses modernen Gleichheitswahns: makellose, weitgehend identische Körper. Dabei haben die Figuren, malerisch gesehen, oft auch etwas Ornamentales.

Da entsteht was. Das ist alles bei mir noch nicht fertig. Das sind dann vielleicht irgendwann Fleischberge. Oder wenn Sie das Bild umdrehen (lacht), sind’s Hühner. Da geht es überhaupt nicht mehr um einen einzelnen Körper. Das ist ja auch ein abstraktes Bild.

Trotzdem nimmt man das Erzählerische meist stärker wahr. Irgendwo war in Bezug auf Ihre Figuren sogar mal von „blonden Bestien“ die Rede.

Dabei wird oft vergessen, dass es sich um Leinwand und Ölfarbe handelt, dass das eine ganz langsame Sache ist, die aus der Tradition der Bilder lebt und auch daraus erwachsen ist. Dass das überhaupt nichts angelegt Spektakuläres ist.

Also keine blonden Bestien.

Das habe ich schon ein paar Mal gesagt: Holen Sie doch die Nazibilder hervor! Das Probem ist: Man sieht sie nicht.

Sie denken an Arno Breker?

Der war ja Bildhauer. Von Skulpturen verstehe ich überhaupt nichts. Ich weiß überhaupt nicht, was das ist, so komische dreidimensionale Sachen. Ich bin (lacht) ein vollkommen flacher Mensch. Aber wenn man diese Bilder der Dreißigerjahre daneben hält, dann sieht man ganz klar, wie anders meine Bilder sind. Da der Vergleich fehlt, wird immer eine falsche Vergleichbarkeit konstruiert.

Ihre grellen Candyfarben erinnern tatsächlich eher an Bubblegum und Pop Art als an die NS-Bildsprache.

Dieses Bild ist viel näher an Jeff Koons dran als an Arno Breker. Im Übrigen habe ich mich auch ein bisschen mit diesen Sachen beschäftigt. Es gibt ja diese Sportlerbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts, mit diesen „Spartakiaden“ und Arbeitersportfestspielen.

Im sozialistischen Russland.

Nö, überall, auch in Deutschland. Es gab eine Unmenge von lebensreformerischen Ansätzen. Das war eine Reaktion auf den Körper, den die Industriegesellschaft produziert hat, und der ganz schrecklich aussieht irgendwann. Dabei begrüßen sich die Sportler mit erhobenem Arm. Die Nazis haben das nicht erfunden, sie haben benutzt, was es vorher schon gab. Weil sie so eine gewalttätige Kultur hervorgebracht haben, haben sie das alles vereinnahmt. Vielleicht muss man ihnen das einfach wieder wegnehmen, es aushöhlen und entleeren, dass es ihnen nicht mehr gehört.

Sie haben Jeff Koons erwähnt. Koons kommentiert unsere Welt als eine Warenwelt. Auch Ihre Bilder zeigen Ähnlichkeiten zur Bildsprache der Werbung.

Die Werbewelt ist ja vor allem eins: Sie ist ganz fantastisch funktionierende Propaganda. Sie schafft das, was diese armselige kommunistische Kulturwelt nie erreicht, aber immer versucht hat: Propaganda und Werbung für ihr eigenes System so zu machen, dass die Leute ganz glücklich und überzeugt davon durch die Gegend laufen. Das schaffen diese Werbestrategen für ihre Produkte auf eine ganz grandiose Weise: Die Leute identifizieren sich mit ihrem Auto oder mit ihrer Waschmaschine. Da ich von außen komme, hab ich dafür einen besonderen Blick. Nicht zuletzt ist die Mauer wegen dieser bunten Filmchen gefallen. Man soll die Kraft dieser Werbebotschaften nicht unterschätzen. Das ist das eine. Das andere ist: Es ging vorhin um den Kommentar, den Jeff Koons zur Gesellschaft formuliert. Also mir wurde zehn Jahre lang immer gesagt, du kommst aus einer Welt, die ganz unterdrückt war. Von der bist du geprägt. Du hast keine freien Gedanken im Kopf. Du kannst dich gar nicht frei bewegen. Du musst das erst mal lernen.

Sagten die Wessis.

Damit wurde man jahrelang bombardiert. Ich habe nun den ganz starken Impuls, mit meiner Arbeit aufzuzeigen: Nein, ich bin ganz tolerant. Ich bin open-minded, ihr seid es nicht. Mit zwei, drei kleinen Griffen führe ich euch an eure Grenzen und sage euch, da geht ihr nicht weiter. Über diese Brücke geht ihr nicht. Da habt ihr ganz intolerante Gedanken. Da werdet ihr sofort ganz undemokratisch. Das ist mein Impuls. Das wird sich wahrscheinlich irgendwann erledigt haben.

Aber macht diese tolle Propaganda der Werbung, wie Sie sagen, nicht auch dumm und krank?

Also, Propaganda ist für mich ganz negativ besetzt. Wenn man sich vorstellt, was sich da abspielt: Die Leute sagen, ich gehe zwar wie ein Idiot jeden Tag in den falschen Job, aber damit verdiene ich das Geld, um mir Dinge zu kaufen, von denen mir gesagt wird, dass ich sie kaufen muss. Dieses „Shoppen“ hat ja nichts Freiwilliges, sondern die Leute müssen sich bestimmte Dinge anschaffen, damit sie weiter in der Gesellschaft drin sind. Ich finde es schlimm, dass es ausschließlich irgendwelcher Auto- und Produktwerbung überlassen bleibt, die Sehnsüchte der Menschen zu visualisieren. Dass sich die Künste immer mit dem Dreck und den Problemen beschäftigen müssen. Man muss auch der Werbung die Utopien wieder wegnehmen, diese ganz alte Sehnsucht der Menschen nach einem guten, schönen Leben.

Vielleicht nimmt man aber der Werbung mit den utopischen Motiven auch den Mechanismus der Entmündigung. Muss man da nicht Widerhaken in die eigene Arbeit einbauen?

Ich bin ganz sicher, dass die Widerhaken, die andere in Bilder eingebaut haben, blöde sind und überhaupt nicht funktionieren. Es gibt ja in den Neunzigerjahren diese Soz-Art. Da wird dann eine heile Welt gemalt, um dann einen roten Pinsel zu nehmen und das alles wieder durchzustreichen oder irgendwas drüberzuschreiben. Das finde ich dümmlich. Auf der andern Seite soll man so ein Bild auch nicht überschätzen. Man kann dort keine Konflikte klären. Das kann man mit Worten machen.

Man kann die Bilder verrätseln?

Man kann auch das Gegenteil machen. Und ich glaube, dass das Gegenteil auch zum Erfolg führt. Ich führe ein Bild vor, wo die Leute denken können: Das habe ich sofort erfasst und das ist ja so dumm und platt und flach. Dann ist das Bild aber immer noch da und auch noch nach zehn Jahren. Da sehen sie, dass es so nicht funktioniert. Denn dann muss man sich immer noch damit beschäftigen.

Wie erfolgt Ihre Bildfindung? Gibt es bevorzugte Tageszeiten, besondere Zustände, Träume?

(Lacht): Ich führe ein relativ normales Leben.

Verstehe, no sex, no drugs, no rock ’n’ roll.

(Lacht): Nein, nein, keine Drogen. Wenn ich zwei Gläser Wein getrunken habe, kann ich schon nichts mehr machen. Ich muss ausgeschlafen sein, einen klaren Kopf haben, dann kann ich arbeiten.

Was hat am schlechtesten funktioniert von allen Drogen?

Alkohol.

Schlechter als Kokain?

Kokain hat gar nichts gebracht. Da hätte ich auch einen Kasten Cola trinken können. Was bei Drogen noch eine Rolle spielt, ist, dass ich die meisten der Zustände, in die sich die Leute da hineinbegeben, auch ohne Drogen erreiche. Dass ich ohnehin schon immer damit zu tun habe, dass mich irgendwelche Visionen packen.

Wo, wann?

Ich finde, dass, wenn man nachts wach ist und arbeitet, so ein endloser Raum vor einem liegt. Man ist alleine auf der Welt. Da kann man unglaublich viele Dinge erleben.

Und im richtigen Leben?

Mir kommen viele Ideen beim Fahrradfahren oder wenn ich schwimme.

Treiben Sie Sport?

Ich bin gerne in Bewegung. Das ist aber nicht Bewegung, die als Selbstzweck und auf der Stelle passiert wie bei diesen Laufbändern. Ich kann Sachen nicht besonders leiden, die mir unproduktiv vorkommen. Ich mag auch keine Kartenspiele. Weil ich immer denke: Jetzt sitze ich hier und spiele Karten und was mache ich eigentlich? Das ist wahrscheinlich der falsche Gedanke. Aber das ist ein Gedanke, den ich habe.

Auf Ihren Bildern sieht man ständig Menschen bei Sport und Spiel. Verlegen Sie das Wohlgefallen an der sinnlosen Bewegung in Ihre Bilder?

Ja ja, ganz sicher. (lacht) Meine Bilder sollen’s mal besser haben als ich. Klar, Sachen, die ich nicht mache und die in meinem Leben nicht stattfinden, die kommen auf die Bilder. Das ist in sich logisch. So wie in diesem Schlager von Udo Jürgens: „Was ich im Leben nicht habe und das alles in Farbe“.

Das bieten bekanntlich auch die Medien, Werbung und Zeitschriften.

Also, das ist verrückt. Mir werden ja immer Sachen nachgesagt wie Gewalttätigkeit und dass ich diese verherrliche in meinen Bildern. Kaufen Sie sich eine x-beliebige Modezeitung und schlagen Sie eine beliebige Fotostrecke auf und Sie werden viel mehr von diesen Dingen, die mir unterstellt werden, in diesen Szenarien finden. (Lacht auf, greift zu der auf dem Tisch liegenden „Vogue Homme“, blättert): Hier – da hantieren Gewaltverbrecher. Gucken Sie sich das mal an, ich erzähl doch keinen Blödsinn. In diesen Bildern sind Gewaltgelüste dargestellt, mit denen ich überhaupt nichts am Hut habe. Ich hinke da ganz, ganz weit hinter dem her, was an Produktwerbung entworfen wird, für blöde Unterwäsche oder solche Sachen, um das Zeugs zu verkaufen.

Hm.

Heiner Müller hat das mal so formuliert, sinngemäß, als er in New York durch die Kaufhäuser gerannt ist: „Zehntausend rosa Unterhosen bejahen nicht das Leben, sondern sehen nach Tod und Verwesung aus.“

Eine zentrale Figur, die die Werbefotografen bis heute beerben, ist Leni Riefenstahl. Haben Sie Arbeiten von ihr in der DDR gesehen oder war das im Giftschrank weggesperrt?

Überhaupt nicht. Das Ulkige ist, ich habe mit sechzehn Jahren angefangen, Fotos zu machen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dieser Ästhetik haben. Und ich hab’s nie vorher gesehen. Die Frage ist, wo kommt das her? Vielleicht aus den Eisenstein-Filmen.

Die konnte man sehen.

Ja. Sergej Eisensteins berühmter Film „Panzerkreuzer Potemkin“ wurde 1927 ein Kassenschlager in Berlin. Da hat ihn die Riefenstahl auch gesehen. Also Riefenstahl gab’s nicht, aber Eisenstein gab’s und Muchina gab’s, diese russische Bildhauerin. Die hat dieses Paar für die Weltausstellung gestaltet, den Arbeiter mit der Faust, die Frau mit der Sichel. Das ist Bildergedächtnis geworden, was ich so im Hinterkopf abgespeichert habe, alle diese Russen, Alexander Deineka und solche Sachen.

Sie meinen den Sozialistischen Realismus.

Ja, das ist eine vergleichbare Bildsprache, und da hab ich’s halt her.

Riefenstahl haben Sie dann im Westen kennen gelernt.

Die ist mir irgendwann in Salzburg während der Sommerakademie untergekommen. Da gab’s Bücher, Fotos. Dann wurde auch ein Film gezeigt. In der Diskussion habe ich dann gesagt, das ist ja ungefähr dasselbe, was Mapplethorpe macht, derselbe Blick. Da wurde ich böse angegriffen, wie ich das in einen Topf werfen könne. Der würde doch schwarze Körper fotografieren, das wäre etwas völlig anderes. Aber ich sage, wenn man behauptet, das wäre ein faschistoider Blick auf den Körper, was man sicher machen kann, dann muss man sagen, Mapplethorpe guckt auch faschistisch auf den Körper. Und die Werbestrategen und Fotografen gucken auch faschistisch auf den Körper, und die Fitnessstudios gucken auch faschistisch auf den Körper. Wenn man diese Dinge strapazieren will, dann muss man sie generalisieren. Leni Riefenstahl muss man nicht mehr bekämpfen.

Das ist halt einfacher.

Aber es ist die Frage, ob man Kunst und Moral immer so in einem Atemzug sehen muss. Oder ob man sich selbst auch die Möglichkeit gibt, diese Dinge zu trennen. Ich war gerade in Ägypten. Wenn Sie diese fantastischen Kunstwerke sehen, die vor Jahrtausenden geschaffen wurden, diese Pyramiden und vor allem die Malerei in den Gräbern. Wenn Sie sich vorstellen, was für eine Barbarei das gewesen sein muss, wie viele Leute dabei draufgegangen sind, die das geschaffen haben, dann muss man aber trotzdem sagen können: Es ist wahrscheinlich eine absolute Sauerei gewesen, was dort stattgefunden hat, aber das Bild ist trotzdem ein gutes Bild.

Darüber denken Sie nach?

Ja, und ich bin noch zu keinem Ergebnis gekommen. Sehen Sie, in der DDR gab’s ganz beschissene Künstler, die sich aber moralisch auf der richtigen Seite gefühlt haben. Deshalb waren ihre Bilder aber nicht klasse. Dann gab’s Leute, die moralisch tolle integre Charaktere waren und trotzdem keine besonders guten Zeichnungen gemacht haben. Beim Sportler ist es einfach. Da sagen Sie, na gut, der hat jetzt den Weltrekord über hundert Meter abgeräumt, (lacht) egal ob er ein Schwein ist oder nicht. Bei der Kunst wird’s verwickelter.

Manche Leute sagen ja, am 11. September haben die Bilder zurückgeschlagen. Hat das den Umgang mit den Bildern verändert?

Ich glaube, da passieren zwei ganz fatale Sachen. Das eine ist, dass seitdem in der Kunst wieder ein Trend zu moralischer Aussage- und Bekenntniskunst spürbar wird. Da artikulieren sich übelste Lemuren, die direkt dem Sozialistischen Realismus entstiegen sein könnten. Man beschäftigt sich mit moralischen, politischen Fragen, aber auf dumme, platte Weise. Das andere ist: Ich entstamme ja nun nicht hundertprozentig diesem Kulturkreis. Bin durch meine Herkunft auch ein bisschen fremd hier. Und das ist gut. Das ermöglicht mir, diese hemmungslose Arroganz, mit der eine bestimmte Form von Zivilisation der restlichen Welt gegenübertritt, stärker zu fühlen. Man hat ja gesehen, dass das schon in Deutschland eine relativ komplizierte Sache ist, wenn man einen bestimmten Teil der Bevölkerung über mehrere Jahre kulturell demütigt. Also den Menschen sagt: Wo ihr herkommt, ist Scheiße, euer Leben ist Scheiße, eure Bilder waren Scheiße, eure Musik ist Scheiße.

Schlimm.

Ist alles nichts wert. Aber wir sind gut. Dass das schon nicht funktioniert und zu schweren Aggressionen führt, zu brennenden Dörfern, zu Leuten, die – Amok laufen. Dass sich da ganz schlimme Sachen ablagern, im Gedächtnis der Menschen. Dass das nicht gut ist, sowas zu tun, das kapiert man vielleicht irgendwann auch in Bezug auf andere Kulturen und andere Religionen.

Kommen wir bitte nochmal zu Ihren Bildern: Waffen spielen immer wieder eine Rolle.

Ich hab da ganz platt ein Tabu verletzt, soweit ich mich auskenne in den alten Ländern, wie es so schön heißt (lacht). Aber ich habe als Kind auch einfach viel mit Kriegsspielzeug gespielt. Das waren allerdings harmlose Plastikwasserpistolen und solche Sachen. Ich habe damit die Helden imitiert, die ich im Fernsehen in irgendwelchen russischen Knalliballipartisanenfilmen gesehen habe. Ich beschäftige mich ja immer wieder mit Bildern aus meiner Kindheit. Es sind im Übrigen nie Waffen, die man in irgendeiner Weise benutzen kann.

Das liegt im Auge des Betrachters.

Also ich fühle mich in keiner Weise zu Waffen hingezogen. Gar nicht.

Wenn man Ihnen zuhört, scheinen Künstler und Bild nichts miteinander zu tun zu haben. Wer hat denn nun diese Waffenbilder gemalt?

(Lacht): Ich habe diese Bilder gemalt. Gut. Ich sehe ja nun viel mehr elektronische Bilder als gemalte Ölbilder im Museum, und da spielten Waffen nun mal eine ganz große Rolle. Aber auch in der Kunst sind die ersten Bilder Jagdbilder in Höhlen gewesen. Waffen gehören zu den Bildern, seit es Bilder gibt.

Sie sind jetzt knapp über dreißig. Das macht (lachend) fünfzig Jahre, in denen Sie als Künstler weiter tätig sein möchten.

(lacht): Sagen wir sechzig!

Okay. Wohin soll die Reise noch gehen? Ich sehe gegenwärtig einen gewissen Widerstreit zwischen der Tendenz, Körper naturgetreu darzustellen, und dem gegenläufigen Hang, es „falsch“ zu machen. Wo eine Schulter plötzlich merkwürdig flach, ein Fuß grob und klumpig aussieht.

Ich bin ganz glücklich, dass ich immer noch einen falschen Fuß malen kann. Das ist das Problem, das die Realisten irgendwann haben, dass sie gar nichts mehr falsch malen können. Das ist ein ganz schrecklicher unfreier Zustand: Da haben Sie als Maler echt ein Problem. Ich male eben auch einen Ballonfuß, also einen völlig absurden Fuß. Dieser Fuß, den Sie da meinen, der spielt keine Rolle für das Bild und ist relativ scheißegal. Der hängt da unten so dran, und ich finde, der muss genau so aussehen, wie er da ist.

Verstehe. Falsch ist richtig.

Manierismus ist nun eine Sache, die mir sehr nahe ist, denn da beginnt ja die Kunst. Zumindest die für mich interessante. Die beginnt mit dem Manierismus. Die Leute leben in katastrophalen Zeitumständen, es gibt Mord und Totschlag, Naturkatastrophen, Seuchen und die Pest, und sie fangen an, ganz überdrehte künstliche komische Sachen mit den Bildern zu machen. Die fangen an, freizudrehen. Das ist was ganz Interessantes. Dann gibt es ja in der Malerei auch die Bedeutungsperspektive, wo man nicht mit so einer blöden Zentralperspektive kommt, sondern die wichtigen Sachen malt man groß und die Sachen, die unwichtig sind, malt man klein.

In den Kirchen im Mittelalter.

Ganz tolle Sache. Ich habe das Bedürfnis, das in diesem Sinne immer wieder von Bild zu Bild neu zu entscheiden. Ein Stil ist da eher hinderlich.

Stil ist hinderlich?

Ja, sehen Sie, das ist ein Wechselspiel. Ich glaube, dass die Bilder das einerseits brauchen, dass eine gewisse Annäherung an eine optische Wirklichkeit stattfindet. Auf der anderen Seite will ich das Bild auch immer wieder wegzerren von einer zu starken Nähe an eine reale Widergabe. Ich will auch immer wieder sagen, nein, das ist ein Bild. Das ist was ganz Flaches. Das ist Farbe auf Leinwand.

Die Spannung zwischen Bild und Titel ist bei Ihnen sehr wichtig. Da heißt es zum Beispiel „Alle wollen den Führer sehen“ oder „rechts um“. Ein elektrisches Motiv wie das mit dem ausgestreckten Arm hat dann wiederum den lieben Titel …

„Morgen tanzt die ganze Welt“.

(lachend): Kann doch nicht bös gemeint sein, denkt man sich da als Betrachter.

„Morgen tanzt die ganze Welt“ klingt, finde ich, sehr bedrohlich!

Finden Sie?

Es gibt ja diese schöne Zeile, also diese schreckliche Zeile aus dem NS-Lied „… und morgen die ganze Welt“. Da ist das hier wie ein schlechter Robert-Gernhardt-Pseudoreim darauf. Das ist der Titel, den ich also gar nicht haben muss.

First we take Manhattan …

… then we take Berlin.

Wie auch immer, bei „Morgen tanzt die ganze Welt“ denkt man doch eher an die Love Parade.

Ich finde den Titel relativ hart, weil, wenn die ganze Welt tanzt, dann wird sie ja dazu auch genötigt. Da stecken solche perversen Allmachtsfantasien dahinter. Man kann ja auch die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Im Übrigen ist „Morgen tanzt die ganze Welt“ ein tschechischer Film aus den Fünfzigerjahren. Kann ich relativ genau sagen, tschechisch oder ungarisch. Den Titel zu meinem Bild gab’s also vorher schon. Ich hab den nur …

Apropriiert.

Geklaut.

Warum überhaupt so starke Titel?

Also es gibt ja Leute, die nennen ihre Sachen so … hm, Gott … also so was wie „Schrägraum, Strich, unendlich“. So in der Art.

Schwer mysteriös.

Pseudoscheiße. Wo sich die Künstler auf der sprachlichen Ebene weit hinter dem bewegen, was sie im Bildnerischen machen, auf Töpferkursniveau. Das versuche ich zu umgehen. So nehme ich eben Sachen aus diesem Kulturmüllhaufen, den diese Diktaturen hinterlassen haben, und spiele damit. Ich hab ganz viel Zeug aus meiner DDR-Kindheit im Kopp. Ich kann Ihnen sofort zwanzig Pionierlieder vorsingen. Absoluter Müll. Wenn mein Gehirn eine Festplatte wäre, müsste man das löschen. Stattdessen benutze ich diese Sachen. Wenn es gelingt, dann zieht ein Titel ein Bild nochmal in eine andere Richtung. Wenn die also auf dem Bild alle nach links laufen, dann sorgt der Titel vielleicht dafür, dass sie eigentlich doch auf dem Weg in die andere Richtung sind.

Der Titel als der letzte Pinselstrich?

Gewissermaßen. Neulich zum Beispiel habe ich mit einer Freundin telefoniert, als sie in einer Kneipe war. Da hörte ich im Hintergrund jemanden den Satz sagen „Schweinefilet wird alle sein“. Das habe ich aufgeschrieben und dachte, passt wunderbar zu diesem Bild.

Um so was zu schätzen, muss man eigentlich Gedichte lesen.

Ich habe tatsächlich ein paar Jahre lang sehr viel Gedichte gelesen. Gottfried Benn zum Beispiel. Ich finde auch, Gedichte sind Bildern vergleichbar.

NIKE BREYER lebt als freie Autorin in München und interessiert sich gerade für die ästhetischen Koordinaten des „faschistischen Blicks“