Das unbenannte Problem

Burn-out, die „Berufskrankheit der Sozialarbeiter“, ist inzwischen in allen Branchen im Vormarsch. Supervisoren sind hier die besseren Ärzte: Raum zum Frustablassen schafft neue Freude an der Arbeit

Wer ausgebrannt ist, muss einmal gebrannt haben – und das vielleicht zu stark

von HOLGER KLEMM

Der Psychologe ist schockiert. In seinem Seminar erzählt ein Unfallhelfer von beruflicher Überlastung. Jedes Mal im Urlaub plagen ihn Albträume. Er kann nicht mehr. Aber nicht darüber erschrickt Gunter Bordel, Mitbegründer von „Psychologie im Rettungsdienst“. Der Grund ist: Der Mann traut sich nach 21 Dienstjahren jetzt zum ersten Mal, über den aufreibenden Stress zu reden. Andere halten nicht so lange durch. Ihnen legt sich der Stress auf den Magen und die Seele. Auf halbem Weg zur Arbeit sagen sie sich: nicht schon wieder!

„Das Problem wird selten als solches benannt,“ sagt Kristina Hahn, Supervisorin und systemische Therapeutin beim Berliner Institut für Familientherapie. „Der persönliche Anspruch bei vielen ist sehr hoch. Zu einem Eingeständnis gehört Mut“ – dem Eingeständnis, dass man ausgebrannt sein darf und dass man deswegen noch lange kein schlechter Helfer sei.

Doch die eigene Hilflosigkeit steigt. Mehr als 130 verschiedene Symptome können mit dem Ausgebranntsein einhergehen. Von Angespanntsein, Einschlafstörungen und Gereiztheit über Magenbeschwerden und Schweißausbrüche bis hin zu manifestem Zynismus reichen die Begleiterscheinungen. Geprägt wurde der Begriff Burn-out erst 1974 von H. J. Freudenberger, dessen Untersuchung sich auf ehrenamtliche Mitarbeiter in Hilfsorganisationen wie therapeutischen Wohngemeinschaften, Frauenhäusern oder Kriseninterventionszentren bezieht. Unbehandelt kann es zu schweren Depressionen, körperlichen Erkrankungen oder zur Abhängigkeit von Suchtmitteln führen. Am Ende steht häufig die Arbeitsunfähigkeit.

Dennoch ist das Phänomen noch nicht ausreichend erforscht, um als eigenständige Krankheit zu gelten. Die Experten streiten sich noch, ob Burn-out eine ernst zu nehmende Krankheit, eine vorübergehende Störung oder eine Verlegenheitsdiagnose sei.

Eine Untersuchung des Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene in Karlsruhe ergab, dass jede vierte Führungskraft unter dem Burn-out-Syndrom leidet. Die BKK nahm die Finanzdienstleister unter die Lupe und kam zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen. In allen Berufen ereignen sich Fallensituationen, aus denen man ohne Hilfe von anderen nicht mehr herauskommt. Auslöser können Beförderung, Berufseinstieg oder Jobwechsel sein. Dabei spielen neben Über- auch Unterforderung und falsche Erwartungen eine große Rolle. Wer ausgebrannt ist, muss einmal gebrannt haben – und das vielleicht zu stark. Besonders Frauen in helfenden Berufen opfern sich häufig so stark auf, dass kein emotionaler Raum fürs Privatleben bleibt.

Auch von den Idealen der Pädagogen bleibt schnell nur noch Asche. Nach Erkenntnissen des arbeitsmedizinischen Dienstes in Hamburg ist ein Drittel der Lehrerschaft von Burn-out bedroht. Jede zweite Lehrkraft geht dort vorzeitig in Pension. In Niedersachsen ist nur noch jeder 25. Lehrende über das 60. Lebensjahr hinaus im Dienst. Das Durchschnittsalter der wegen Dienstunfähigkeit pensionierten Pauker liegt bei knapp 55 Jahren.

Gerade Supervision wird von langjährigen Mitarbeitern in lehrenden und helfenden Berufen als Mittel zum Schutz vor Burn-out geschätzt. Wer gelernt hat, über seine kleinen alltäglichen Probleme in der Arbeit offen zu sprechen, dem gelingt es auch leichter bei großen persönlichen Themen. Zum Beispiel wenn man gar nicht mehr weiß, wie es mit einem Projekt weitergehen soll, wenn die Abgrenzung zu Klienten nicht mehr gelingt oder wenn übergroße Anforderungen die letzten Reserven rauben.

Kristina Hahn sieht darin große Chancen. „Wenn einer begonnen hat zu reden, eröffnet sich auch für andere die wohltuende Möglichkeit zu sprechen.“ Sie empfiehlt, im geschützten Rahmen der Supervision „alles rauszulassen, was einem auf den Wecker geht“. Gerade im sozialen Bereich seien die persönlichen Anteile der Mitarbeiter für die Arbeit von enormer Bedeutung. Und wenn es Raum gibt zum Frustablassen, dann kann auch wieder Freude an der Arbeit aufkommen. Noch einen Tipp gibt sie: Die Familie verschone man am besten mit diesen Themen.

Einen anderen Ansatz verfolgt der Berliner Mediator und Supervisor Dr. Harald Pühl. Er macht von sich aus Burn-out in den Teams zum Thema, um es zu enttabuisieren. Für ihn hat das Ganze mehr mit einer Entfremdung als mit einer Krankheit zu tun. „Aber von Betroffenen wird es als Stigmatisierung verstanden – wie alles, was wir nicht als normal empfinden.“

Burn-out kann Pühls Meinung nach nur dann verhindert oder gelindert werden, wenn der einzelne Mitarbeiter, das Team und die Organisationsstrukturen der Einrichtung sensibilisiert sind für die Gefahr des Ausbrennens. Nach 25 Jahren Supervision sieht er aber gute Chancen zur Linderung von Burn-out-Problemen: „Im sozialen Bereich ist der Zugang leichter – und Hilfeholen üblicher als in der freien Wirtschaft.“