Multikulti als Produktivfaktor

Nicht nur in Industrie und Wirtschaft, sondern auch in der universitären Ausbildung gewinnt die interkulturelle Kommunikation zunehmend an Bedeutung. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss neben der Sprache des Gegenübers auch sein religiöser Glauben verstanden werden

von VOLKER ENGELS

Wenn es im Urlaub bei der Essensbestellungen zu Verständigungsschwierigkeiten kommt, ist das in der Regel allenfalls ärgerlich. Fällt das Trinkgeld dann entgegen landesüblichen Sitten besonders schmal aus, sind die Kellner vielleicht beleidigt.

Weitaus folgenreicher können Missverständnisse im Ausland sein, wenn Geschäfte größeren Ausmaßes getätigt werden sollen: Manager, die zwar mit viel Elan ihre Produkte anpreisen, aber die grundlegenden Höflichkeitsregeln der anderen Kultur außer Acht lassen, können für die Firma schnell zum finanziellen Risiko mutieren: Produkt gut, Verkäufer mangelhaft.

Das haben mittlerweile nicht nur Wirtschaft und Industrie erkannt. Auch in der universitären Ausbildung gewinnt die interkulturelle Kommunikation zunehmend an Bedeutung. Das Ziel: Über das Verstehen des Gegenübers soll eine Brücke geschlagen werden, die das gegenseitige Verstehen und das gemeinsame Geschäft begünstigt.

Seit rund zwei Jahren bietet die Technische Universität (TU) Chemnitz als einzige Hochschule in Deutschland die Möglichkeit, das Fach Interkulturelle Kommunikation in Kombination mit Ingenieur-, Natur- oder Wirtschaftswissenschaften im Magisterhauptfach zu studieren. In Seminaren, Vorlesungen und praktischen Übungen geht es etwa um Verhaltensanalysen, internationale Wirtschaftsbeziehungen, interkulturelle Kommunikationssituationen sowie rhetorische Besonderheiten in unterschiedlichen Kulturen. Daneben kommt auch die Sprachausbildung nicht zu kurz.

Mit dem Studienangebot scheint die Uni die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: „Wir haben einen regen Zulauf, viele Studenten kommen aus den alten Bundesländern“, sagt Ulrich Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich. Auch wenn die Studis „keinen Beruf, sondern ein breites Fundament an Wissen erwerben“, hätten viele bereits „klare Berufsziele“, meint Bauer, der selbst interkulturelle Germanistik studiert hat.

Als Mitarbeiter in internationalen Organisationen, in der Wirtschaft oder als interkulturelle Trainer sehen viele der Jungakademiker ihre Zukunft. Ein Ziel der Ausbildung liege darin, „langfristige und nachhaltige Beziehungen mit Menschen aus anderen Kulturen aufzubauen“. Und diese Fähigkeiten sind nicht alleine für einen Auslandeinsatz nützlich: So schult die TU in Chemnitz unter anderem auch Mitarbeiter des Sozialamtes im Umgang mit anderen Kulturen.

Dass die Fähigkeit, in multikulturellen Teams innerhalb Deutschlands zusammenzuarbeiten, offensichtlich an Bedeutung gewinnt, beweist auch das Projekt „Interkulturelle Kommunikation und Konfliktlösung am Arbeitsplatz“, das die Fachhochschule Köln in Kooperation mit den Ford-Werken Köln durchführt. Seit einem halben Jahr werden hier Meister und Kolonnenführer in Seminaren geschult, um sie für die unterschiedlichen kulturellen Besonderheiten der Kollegen zu sensibilisieren. „Es zeigt sich, dass es stärkere kulturelle Unterschiede in den Teams gibt, die zu Missverständnissen untereinander führen können“, sagt Oliver Maier, Trainingsberater bei Ford.

Missverständnisse beruhten nicht alleine auf sprachlichen Defiziten, sondern auch auf „unterschiedlichen Rollenverständnissen oder Glaubensrichtungen“. So würden deutsche Mitarbeiter teilweise „Unverständnis gegenüber religiösen Ritualen ihrer muslimischen Kollegen“ zeigen“. In Seminaren diskutieren die Teilnehmer über Fallbeispiele oder analysieren Konflikte in Rollenspielen. Anfangs, berichtet Oliver Maier, gab es bei manchem eine „gewisse Skepsis“. Mittlerweile zeige sich aber eine „sehr positive Resonanz“.

In der Zukunft sollen ähnlich konzipierte Seminare auch für das höhere Management und den Betriebsrat angeboten werden. Kulturelle Kompetenz als Produktivfaktor. Spitzenkräfte in Nadelstreifen, die im Ausland arbeiten, schult die Autoschmiede ohnehin schon länger. Die so Geschulten lernen also bereits im Vorfeld, dass es als ausgesprochen unhöflich gilt, in Anwesenheit von Japanern ins Taschentuch zu schnäuzen.

www.tu-chemnitz.de, www.interkulturelle-kompetenz.de