Sarrazin kurz vor der Pleite

Opposition entsetzt: Finanzsenator Sarrazin (SPD) will Berlins Bankrott erklären und bei Zoos, Sozialhilfe, Opern und Unis insgesamt 3 Milliarden Euro einsparen. Bund soll mit Milliarden helfen

von ADRIENNE WOLTERSDORF

„Das ist ein Armutszeugnis für den rot-roten Senat“, kommentierte Grünen-Finanzexperte Jochen Esser die am Wochenende aufgetauchte interne „Giftliste“ der Berliner Finanzverwaltung. Laut Papier erwägt Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die öffentlichen Zuschüsse für mindestens eine Oper und den Tierpark Friedrichsfelde zu streichen. Außerdem sollen 25.000 Studienplätze gestrichen und die Sozialhilfe gekürzt werden.

„Mindestens bei der Kürzung der Sozialhilfe und der Kultur wird es zum Zusammenstoß kommen“, sagte Esser gestern der taz. Wie die Grünen-Opposition, kündigten auch Abgeordnete der CDU an, ihre bisherige Unterstützung der Konsolidierungspolitik aufzukündigen.

Vom 114 Millionen Euro umfassenden Gesamtetat der drei Berliner Opernhäuser sollen laut Sarrazin-Liste ab 2006 rund 59 Millionen Euro gestrichen werden. Demnach müsste mehr als eine Oper geschlossen werden. Gerüchte deuten auf ein Aus für die Deutsche Staatsoper hin. Beim Ostberliner Tierpark, dessen Stammkapital vom Westberliner Zoo gehalten wird, will der Finanzchef den gesamten Zuschuss von 8,03 Millionen Euro einsparen. Weigere sich der Zoo, droht das Papier mit drastischen Kürzungen für beide Tierparks. Um das sich dramatisch weitende Berliner Finanzloch zu stopfen, schlägt die Sarrazin-Verwaltung außerdem vor, die Zahl der ausfinanzierten Studienplätze zu reduzieren. Bis 2008 sollten dann statt der gegenwärtig 85.000 nur noch 60.000 Studienplätze bezahlt werden. Damit ließe sich nach dem Auslaufen der Hochschulverträge im Jahr 2006 zunächst 60 und in den beiden folgenden Jahren je 50 Millionen Euro sparen. Gemeinsam mit den geplanten Einsparungen bei der Hochschulmedizin ergibt die projektierte Sparsumme dann so viel wie den Jahresetat der Freien Universität.

Auch vor Sozialhilfe-Beschneidungen schreckt der Autor der Giftliste nicht zurück. Aus Oppositionsrängen war zu hören, dass die SPD-Fraktion und der Finanzstaatssekretär Frank Bielka bereits versucht hatten, sie für eine Kürzung der Leistungsgewährung zu gewinnen. Konkret ginge es um Streichungen beim 15 Millionen Euro teuren Programm „Hilfe zur Arbeit“ und den „Hilfen zum laufenden Lebensunterhalt“, die das Land gegenwärtig 24 Millionen Euro kosten. Hilfen zum Lebensunterhalt beziehen insbesondere allein erziehende Mütter.

Sarrazin kündigte in einem Interview vom Wochenende zudem an, dass er nach der Bundestagswahl den Bankrott Berlins erklären wolle, um so die dringend benötigten Milliardenhilfen des Bundes einfordern zu können. Im Herbst solle ein Rechtsgutachten vorgelegt werden, erklärte der Finanzsenator. Wenn der Bund dann immer noch hilfsunwillig sei, werde ein Gang zum Bundesverfassungsgericht nötig.

Koalitionspartner PDS zeigte sich von den Sparplänen der SPD überrascht. PDS-Chef Stefan Liebich erklärte, die Liste könne in keiner Weise Grundlage einer ernsthaften politischen Diskussion sein. Bei den Grünen hieß es, man erwarte auf jeden Fall Sparvorschläge des Senats in anderen Bereichen als den genannten. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, erklärte in der Presse, dass er eine milliardenhohe Überlebenshilfe des Bundes für „unverzichtbar“ halte. Die sei frühestens ab 2006 denkbar, dann sei der Schuldenberg Berlins auf 50 Milliarden Euro angewachsen, und die jährlichen Zinszahlungen betrügen 3 Milliarden Euro. Könne der Bund nicht mit einer einmaligen Zahlung helfen, sei auch die Übernahme der Zinszahlungen während eines Jahrzehntes denkbar.