Regierung in der Grauzone

Im Wahlkampf positioniert sich Rot-Grün klar gegen den Irakkrieg. Doch der Regierung dürfte es schwer fallen, US-Kriegsvorbereitungen auf deutschem Boden zu verhindern

BERLIN taz ■ Die U.S. Army rüstet sich für einen möglichen Angriff auf den Irak auch von deutschem Boden aus. In Stuttgart-Vaihingen laufen in der Kommandozentrale Eucom die logistischen Vorbereitungen auf Hochtouren, auf den Stützpunkten Rhein-Main bei Frankfurt und Ramstein fliegen die Amerikaner seit kurzem riesige Mengen an Militärgerät ein – unkontrolliert von deutschen Stellen. Das dürfe so nicht weitergehen, meint deshalb der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele: „Im Falle eines militärischen Alleingangs der Vereinigten Staaten gegen den Irak muss die Bundesregierung sowohl die Nutzung der US-Luftstützpunkte in Deutschland als auch die Überflugrechte für amerikanische Militärflugzeuge untersagen.“ Alles andere wäre ein klarer Verstoß gegen die Verfassung und das deutsche Strafgesetzbuch, meint der Bündnisgrüne.

Doch kann die Nutzung der US-Luftstützpunkte tatsächlich durch die Bundesregierung unterbunden werden? Was regeln in diesem Fall der Nato-Bündnis-Vertrag und die bilateralen Militärverträge zwischen Washington und Berlin? Die Rechtslage ist äußerst schwammig (was der Jurist Ströbele nicht anspricht) und beliebig auslegbar.

Es ist daher bezeichnend, dass die rot-grünen Regierungsfraktionen am Freitag den Plan fallen ließen, einen bereits vorbereiteten Entwurf für die Bundestagsdebatte einzubringen, der ein kategorisches Nein zu einer deutschen Irakbeteiligung vorsah. Mit einem solchen Beschluss hätte Deutschland nämlich eine „verbindliche Ablehnung“ einer Kriegsbeteiligung ohne UNO-Mandat abgegeben – und einen Rechtsstreit mit dem Bündnispartner USA ausgelöst. Nach allgemeinem Völkerrecht besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet „volle und ausschließliche Lufthoheit“. Sind allerdings ausländische Truppen auf dem heimischen Territorium stationiert, wie im Falle der Bundesrepublik, so werden Umfang und Grenzen dieser Stationierungsstreitkräfte in neuen bilateralen Abkommen geregelt. Nach Aufhebung des Besatzungsstatus erfolgte dies in Deutschland in einer Zusatzbestimmung zum Nato-Truppenstatut, dem sogenannten ZA-NTS-Abkommen. Seit 1994 brauchen ausländische Truppen grundsätzlich eine Genehmigung durch die Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen „einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen“. So steht es im ZA-NTS-Abkommen, das allerdings die Einschränkung hinzufügt, falls andere internationale Abkommen bestünden, würde diese Genehmigung wieder hinfällig.

Der Verfassungsrechtler und Richter am Bundesverwaltungsgerichtshof Dieter Deiseroth sieht im Vertragsgewirr zwischen den Vereinigten Staaten, der Nato und Deutschland eine „beträchtliche Grauzone“. Er verweist darauf, die Bundesregierung könne im Konfliktfall nicht so leicht nachweisen, welches Kriegsgerät und welche Logistik auf den US-Basen überhaupt eingeflogen worden ist. Theoretisch könnte es sich auch um Ausrüstung der Nato-Partner Großbritannien oder Frankreich handeln und dann würden schon wieder andere bilaterale Abkommen zur Geltung gelangen. Noch komplizierter wird es, wenn bereits eingeflogenes Kriegsgerät im Augenblick eines Angriffs auf den Irak zum Einsatz kommt. Niemand kontrolliert derzeit, was die Amerikaner in Stuttgart-Vaihingen, in Frankfurt und Ramstein überhaupt treiben.

Es gibt im deutsch-amerikanischen Verhältnis allerdings einen Präzedenzfall, bei dem die Bundesrepublik den Amerikanern das Überflugrecht für ihre Kampfjets verwehrte: Beim israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieg 1973. Damals akzeptierte Washington den Einwand der Deutschen, in den Nahostkonflikt nicht hineingezogen zu werden. Mit politischer Standhaftigkeit ließe sich ein solches Agreement auch jetzt wieder aushandeln, da müsste die Bundesregierung allerdings gleich handeln und auf eine Revision des ZA-NTS-Abkommen drängen.

„Die Nato ist von ihrer ursprünglichen Bedeutung als Verteidigungsallianz zu einer Allianz der Beliebigkeit geworden“, sagt der Münchner Politologe Hans Arnold, „und die USA haben die Nato zu einem Instrument für amerikanisch geführte Weltpolitik umgekrempelt.“ Der ehemalige deutsche Botschafter in mehrerer Krisengebieten sieht nur einen Ausweg: Die Europäer müssen ein eigenes Verteidigungskonzept aufbauen, die Amerikaner dabei am besten außen vor lassen und als Gegenpol zur ersten Weltmacht auftreten.

General Klaus Naumann, Exvorsitzender des Nato-Militärausschusses, warnt zur Vorsicht. Schon jetzt habe sich die Bundesregierung mit ihrer Position innerhalb Europas „absolut ins Abseits manövriert“. Wenn schon Kritik an den USA geübt werde, müsse man den Schulterschluss mit Frankreich und anderen europäischen Verbündeten in der Irakfrage suchen.

ROLAND HOFWILER