09/11: japan: Kein Kotau vor Washington
Das Bild der rauchenden Türme des World Trade Center in New York sahen die japanischen Zuschauer vor einem Jahr nachts um halb elf zum ersten Mal. Nur eine halbe Stunde nach dem Einschlag des ersten Flugzeuges wurden bereits erste Liveaufnahmen aus New York gesendet. Für Japan, wo CNN und BBC International nur von wenigen Ausländern abonniert werden, war die Reaktion der Medien überraschend schnell. Auslandsnachrichten interessieren hier ansonsten wenig, meist werden sie in kurze Meldungen vor die Sportberichte gezwängt – wenn sie überhaupt wichtig genug scheinen.
Doch für die brennenden Türme wurde vor einem Jahr sogar das Abendprogramm unterbrochen. Schnell waren die Studios voll mit Experten für Terrorismus und den Mittleren Osten. Die Sorge um japanische Opfer von mehr als zwanzig Unternehmen, die ihre New York-Niederlassung im WTC einquartiert hatten, rückte schon bald in den Vordergrund und wurden mit Interviews von japanischen Angehörigen untermalt. In einigen der konservativeren Sender wurden die Anschläge sogar gerne auch als japanische Tragödie geschildert.
Von der zeitweise recht unkritischen Sicht, die in Japan auch in den Printmedien eingenommen wurde, ist das Land nach einem Jahr ziemlich abgerückt. Nur die ultrakonservative Zeitung Sankei Shimbun brachte am Jahrestag auf der Front ein Bild von „Ground Zero“ und berichtete dann ausführlich über die neuen Kriegspläne von US-Präsident George W. Bush.
Die vier führenden Tageszeitungen Yomiuri, Asahi, Nikkei und Mainichi fanden den ersten erfolgreichen Start der japanischen Trägerrakete H 2 A weit bedeutender und setzten dieses Bild auf die Front. Die eher linksliberalen Blätter Asahi und Mainichi brachten eine lange Frontgeschichte mit fettem Titel über die kritische Haltung der japanischen Regierung gegenüber einem Angriff auf Irak.
Überraschend frisch und ausgewogen berichtete der staatliche Sender NHK in seinen Abendnachrichten. Mit großem Aufwand hatten sie Liveschaltungen zwischen New York, Kabul, Bagdad, Jerusalem, Brüssel und Tokio eingerichtet und brachten aus jedem Ort längere Beiträge, die dann von den Korrespondenten kommentiert wurden. Es ging um die Ängste der irakischen Menschen vor einem neuen Krieg und um ungebrochene Taliban-Kämpfer in Kandahar.
Der europäische Beitrag konzentrierte sich auf die Ängste der arabischen Immigranten vor Fremdenhass, und in New York besuchte der Korrespondent die Moschee und sprach mit zeitweise inhaftierten Arabern. Aus Jerusalem kommentierte der Korrespondent, dass es wohl auch notwendig sei, dass die USA Israel endlich an die kürzere Leine nähmen.
Am spannendsten war indes die Auseinandersetzung in den Wochenmagazinen, die ein unerhört breites Spektrum an Meinungen wiedergaben. Das rechtskonservative Blatt Sapio sieht schon eine neue Regierung in Bagdad, obwohl sie keinen einzigen möglichen Staatschef nennen kann. Dafür berichtete das auf Umwelt- und Friedensfragen spezialisierte linksliberale Shukan Kinyobi („Freitagsmagazin“) differenziert über die Unterhöhlung von Bürgerrechten in den USA und die möglichen Gefahren einer Nachahmung in Japan. Die Schwierigkeiten beim Aufbau Afghanistans und die Schwierigkeiten in irakischen Schulen, Spitälern und anderen öffentlichen Einrichtungen sind in diesem Magazin schon seit mehreren Monaten ein Thema. Und dort wurde schon lange gefordert, diesmal nicht wieder den Kotau vor Washington zu vollführen wie im Jahre 1990. Die Meinungen in Japan sind in einem Jahr reifer und differenzierter geworden. ANDRÉ KUNZ
Mit diesem Beitrag endet die Serie „9/11“, in der unsere Korrespondenten die Reaktionen auf den 11. September in anderen Ländern beschrieben haben
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