„Spätabtreibung ist schwer zu ertragen“

Klaus Diedrich von der Gesellschaft für Gynäkologie schlägt vor, Spätabtreibungen neu zu regeln. Ärzteteams sollen Frauen besser aufklären: Was bedeutet die Fehlbildung fürs Kind? Welche Folgen hat die Spätabtreibung für die Frau?

taz: Herr Diedrich. Sie wollen durchsetzen, dass eine Kommission Schwangere berät, die eine Spätabtreibung vornehmen wollen. Warum halten Sie das für notwendig?

Klaus Diedrich: Wir meinen, dass bei Spätabtreibungen ein dringender Regelungsbedarf besteht. Seit der Neufassung des Paragrafen 218 sind Abtreibungen bis einen Tag vor der Geburt möglich, das heißt: wenn die Frau schon ein reif entwickeltes Kind in sich trägt. Die schwangere Frau wird durch den Eingriff sehr belastet – genau wie es für die beteiligten Ärzte schwer zu ertragen ist, ein Kind im Mutterleib an der Grenze der Lebensfähigkeit abzutöten.

Welches Vorgehen empfehlen Sie bei Spätabtreibungen?

Wir müssen die werdende Mutter viel besser beraten. Heute ist es manchmal so, dass man eine Schwangere untersucht und dann sagt: „Gut, dann machen wir jetzt mal eben den Ultraschall“ – ohne vorher mit ihr ausführlich zu besprechen, was da eigentlich passiert. Meist ist es so, dass alles in Ordnung ist. Aber der Arzt könnte auch Fehlbildungen im Ultraschall erkennen. Darüber muss der Arzt die Patientin vorher gründlich aufklären. Er muss sie fragen, ob sie die Untersuchungen eigentlich will oder ob sie nicht doch lieber darauf verzichtet.

Was schlagen Sie vor, wenn der Arzt herausfindet, dass das Kind behindert ist?

Manchmal wird der Schweregrad der Fehlbildung die Diskussion über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch erfordern – auch zu einem späten Zeitpunkt. In diesem Fall sollen Ärzte die Patientin beraten, in deren Bereich diese Fehlbildung führt. Sie soll zum Beispiel mit einem Kinderarzt sprechen, der der Patientin berichten kann, was die Fehlbildung später für das Kind bedeutet, oder auch mit einem Humangenetiker bei einer nachgewiesenen Chromosomstörung. Ebenfalls wichtig ist die psychosoziale Beratung über die psychischen Folgen eines späten Schwangerschaftsabbruchs. Wir meinen, dass hier die Ärzte besonders sorgfältig arbeiten müssen. Zudem soll die Schwangere eine Bedenkzeit von drei Tagen haben, um sich für oder gegen die Spätabtreibung zu entscheiden.

Halten Sie persönlich es für vertretbar, dass Frauen bis einen Tag vor der Geburt abtreiben können?

Es gibt Situationen, wo dies sicherlich nachvollziehbar ist und wir die Spätabtreibung auch machen würden. Das würde zum Beispiel dann der Fall sein, wenn bei einem Kind das Gehirn nicht entwickelt ist und es nach der Geburt mit Sicherheit nicht lebensfähig sein wird. Dann ist es für die Patientin nicht zumutbar, diese Schwangerschaft auszutragen. Dies sind extreme Situationen. Wir meinen, es wäre für eine Patientin sinnvoll, wenn sie ausführlich beraten ist und eine Kommission mit ihr gemeinsam entscheidet, ob diese Schwangerschaft fortgesetzt wird.

Der Arzt stellt ja erst durch die Pränataldiagnostik fest, ob ein Kind behindert zur Welt kommt. Dann wirft sich für die Mutter die Frage auf: Spätabtreibung oder nicht? Befürworten Sie die Pränataldiagnostik ?

Es ist zu einfach formuliert zu sagen, hierbei wird entschieden, ob ein Kind zum Abbruch freigegeben wird oder nicht. Das Hauptziel der Pränataldiagnostik ist, die Frage zu beantworten, die jede Mutter hat: Ob das Kind gesund ist. Meist ist es so. Wenn nicht, kann es unterschiedliche Diagnosen geben. So können auch Erkrankungen festgestellt werden, die der Arzt bereits während der Schwangerschaft behandeln kann. Wenn ein Kind zum Beispiel an Blutarmut leidet, kann der Arzt dessen Tod nach der Geburt durch eine Transfusion verhindern. Nur in wenigen Fällen ist die Fehlbildung so schwerwiegend, dass als Lösungsmöglichkeit in dieser Situation ein Schwangerschaftsabbruch mit der Patientin diskutiert werden muss.

INTERVIEW: NICOLE KUHN