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Nur Wahlkampfgebrüll

betr.: „Der Zugespitzte“ (Portrait Günther Beckstein), taz vom 14. 9. 02

Wahlkampfzeiten produzieren manchmal Unglaubliches. Da gibt Unionskanzlerkandidat Stoiber Wahlversprechen, die er gleich wieder zurücknimmt, um neue Wahlversprechen nachzuschieben, deren Finanzierung in den Sternen steht. Da gibt es nach der Hochwasserkatastrophe ein Hü und Hott von eben diesem Kandidaten in der Steuerpolitik, was zeigt, dass dessen Steuerkompetenz als „unterspült“ anzusehen ist. In einem eilends aufgesetzten Sofortprogramm will dieser Kandidat das Dosenpfand, das unter Regierungsverantwortung der Union auf den Weg gebracht wurde, zurücknehmen, um dann nach einem Aufschrei der mittelständischen Betriebe sofort wieder zurückzurudern. Da greift Stoiber Kanzler Schröder wegen dessen nicht erreichten Versprechens, die Arbeitslosigkeit zu senken, ständig und einfallslos an, obwohl er in Bayern als Ministerpräsident ein ähnliches abgegebenes Versprechen nicht erfüllen konnte.

Den Vogel aber schoss nun Kompetenzmann Beckstein (CSU) ab. Dieser will Ausländer bereits dann ausweisen und abschieben, wenn ein Verdacht besteht, dass ein unter uns lebender Mensch ein „islamischer Sympathisant“ ist. Er gab auch gleich ein Beispiel und wies auf den Vater hin, der seinen Sohn Ussama Bin Laden nennen wollte.

Verdachtsausweisungen sind bereits nach unserem Grundgesetz nicht möglich. Im Strafgesetz gibt es den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“. Kompetenzmann Beckstein hat wohl noch nie was von der Menschenrechtskonvention gehört, in der die Unschuldsvermutung normiert ist. Also müsste er die Menschenrechtskonvention kündigen, damit diese bei uns nicht mehr anwendbares Recht ist. Auch müsste er gleich unsere Verfassung ändern. Beides ist undenkbar und eine Horrorvorstellung.

Der Beckstein’sche Vorschlag ist nur Wahlkampfgebrüll, um in der rechten Ecke Stimmen zu sammeln. Dass Beckstein damit viele Menschen in diesem Land verunsichert, nimmt er in Kauf. Der Zweck aber darf in unserer Demokratie nicht alle Mittel heiligen! Wo bleibt bei der christlichen Union der Aufschrei? Wie sagte Beckstein dann noch? „Am besten wäre es natürlich, man könnte den Leuten ins Gehirn schauen …“ Er hat uns in sein Hirn schauen lassen, und wir sehen Unglaubliches, jedenfalls nichts Christliches. […] HENDRIK LÜDKE, Marbach a. N.

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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