Die kraftlose Linke

Die PDS droht diesmal den Einzug in den Bundestag zu verfehlen. Die Sozialisten sind programmatisch und personell schwach – doch ihr größtes Problem heißt Gregor Gysi

„PDS wählen, Stoiber verhindern“ – das zieht nicht mehr. Wer PDS wählt, stimmt für die große Koalition

„Das verzeih ich mir nie“, erklärte der PDS-Politiker Gregor Gysi, als er Ende Juli wegen der Bonusmeilenaffäre vom Amt des Berliner Wirtschaftssenators zurückgetreten war. Das Büßergewand allerdings trug der PDS-Politiker nur ein paar Tage, dann machte er wieder das, was er am liebsten macht: talken, schauspielern, wahlkämpfen. Statt Akten zu studieren, Abteilungsleiterrunden zu motivieren oder Investoren zu umgarnen, pilgert Gysi wieder mit den alten Parolen und abgestandenen Scherzen durch die Republik. Und so fragt man sich mittlerweile, was er sich eigentlich nicht verzeiht, die Bonusmeilen, den Rücktritt oder doch nur seinen Ausflug in die mühseligen Niederungen der Realpolitik.

Mit der Demission von Gregor Gysi begann vor sieben Wochen der Absturz der PDS. Jeder fünfte potenzielle ostdeutsche Wähler hat sich Umfragen zufolge von der PDS abgewandt, vor allem die Ostberliner sind enttäuscht. Schröders Antikriegsrhetorik, die Elbeflut und die Anstrengungen einiger ostdeutscher Sozialdemokraten, die ungeliebte Konkurrenz durch Einbindung in die Verantwortung zu entzaubern, sind nicht die Ursache der Schwäche der PDS. Sie haben nur einen Trend verstärkt, den es schon vorher gab. Nachhaltiger als es die SPD je gekonnt hätte, hat Gysi die PDS entzaubert und ihre Defizite aufgezeigt. Ausgerechnet die Allzweckwaffe der PDS hat sich als selbstverliebter Wahlkampfclown entpuppt. Statt im Amt des Wirtschaftssenators Kompetenz zu demonstrieren, nährte er alle Vorurteile über den linken Hedonismus. Und so steht die PDS wieder da, wo sie schon vor vier und vor acht Jahren stand, mitten im Überlebenskampf an der Fünfprozenthürde.

Dabei boten sich der PDS in den letzten vier Jahren eigentlich beste Voraussetzungen für ihre bundespolitische Profilierung. Die rot-grüne Bundesregierung hat Deutschland in zwei umstrittene Kriege geführt, Schröder hat bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versagt und den Aufbau Ost vernachlässigt. Die Fünfprozenthürde schien für die PDS überhaupt kein Thema mehr zu sein. Doch alle Chancen, sich als linke, wählbare Alternative zu profilieren und sich auch im Westen politisch zu verankern, haben die Genossen verstreichen lassen. In diesen Tagen wird offenbar: die PDS hat kein attraktives Programm, kein personelles Profil, keine machtpolitische Funktion.

Vier Jahre Rot-Grün haben die öffentliche Wahrnehmung der PDS mehr verändert, als es die Genossen wahrhaben wollen. Als Frieden liebende Protestpartei oder postsozialistische Schicksalsgemeinschaft lockt die PDS keine Wähler mehr. Seit die Genossen in Schwerin und Berlin mitregieren, wollen vor allem die ostdeutschen Wähler schon etwas genauer wissen, wie die PDS Arbeitsplätze schaffen, Sozialleistungen sichern und Haushalte sanieren will. Auch von der PDS verlangen sie mittlerweile mehr als populistische Parolen und ideologische Visionen, sie erwarten zugleich Kompetenz und Konzepte.

Nur halbherzig verfolgten die Sozialisten in den letzten vier Jahren eine realpolitische Strategie. Doch vor der Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms und den dafür notwendigen Auseinandersetzungen mit dem orthodoxen Parteiflügel hat sich die ängstliche und führungsschwache Parteiführung gedrückt. Die Transformation der PDS zu einer modernen linken Partei versandete aber auch deshalb in ihren Anfängen, weil innovative Ideen, mit der sie breite gesellschaftliche Debatten initiieren könnte, in dem vor einem Jahr vorgelegten Programmentwurf fehlen. Aber selbst auf ihrem ureigensten Terrain verliert die PDS. Die Flut hat die ostdeutsche Volkspartei nicht deshalb auf dem falschen Fuß erwischt, weil sie so überraschend kam, sondern weil in ihr das Engagement für den Aufbau Ost bereits zuvor erlahmt war. Die PDS präsentiert ihren ostdeutschen Wählern in diesem Wahlkampf kein identitätsstiftendes politisches Projekt. Müde wirken die Genossen, und ihre Parolen abgestanden. Zu lange haben sie sich auf ihren Wahlerfolgen in Ostdeutschland ausgeruht und sich zu wenig um politischen Nachwuchs gekümmert.

Dabei bedeuteten die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus vor einem Jahr für die PDS eigentlich den politischen Durchbruch, selbst im Westteil der Stadt übersprang die PDS dank Gysi die Fünfprozenthürde. Im Berliner Senat war der sozialistische Wirtschaftssenator der beliebteste Politiker. Sogar Unternehmer hatten sich mit Gregor Gysi angefreundet und begonnen, ihm wirtschaftspolitische Kompetenz zu attestieren. Der Preis war die Unterordnung der Partei unter die Gysi-Show und dessen unberechenbares Ego. Das rächt sich nun.

Ausgerechnet die Allzweckwaffe der PDS hat sich alsselbstverliebter Politclown entpuppt

Der Rücktritt Gysis warf die PDS allerdings nicht nur im Ringen um Kompetenz im Osten und Akzeptanz im Westen weit zurück. Er offenbarte auch die dünnen personellen Ressourcen der Partei. Das wahlkämpfende Spitzenquartett wirkt nicht attraktiv, sondern hilflos. Parteichefin Gabi Zimmer ist eine Fehlbesetzung, sie wird von ihren Vorstandskollegen gemobbt und vor der Öffentlichkeit so weit es eben geht versteckt. Ihre Stellvertreterin Petra Pau, Fraktionschef Roland Claus und Geschäftsführer Dietmar Bartsch mühen sich zwar, können aber die Gysi-Lücke kurzfristig nicht schließen. In Mecklenburg-Vorpommern ist der stellvertretende Ministerpräsident Helmut Holter in seinem Amt gescheitert. In seinem Arbeitsministerium herrscht das organisatorische Chaos, der staatlich garantierte Beschäftigungssektor ist ein weitgehend folgenloser Wahlkampfgag geblieben.

Vier verlorene Jahre hat die PDS hinter sich. Wieder setzt sie deshalb im Endspurt auf Mitleidsstimmen. Aber ein Last-Minute-Swing ist dieses Mal sehr viel unwahrscheinlicher als 1998. Ein CDU-Kanzler bot den Genossen ein klares ideologisches Feindbild. Gegen die rot-grüne Bundesregierung hingegen fällt es der PDS trotz Kosovo und Afghanistan viel schwerer, hemmungslos zu polarisieren. Schließlich ziehen fast alle PDS-Wähler den Sozialdemokraten Schröder seinem Herausforderer Edmund Stoiber als Kanzler vor. Bis vor ein paar Tagen war das kein Problem, „wer PDS wählt, verhindert Stoiber“, lautete die Parole. Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Nun heißt es, wer PDS wählt, wählt die große Koalition. Die aber ist auch bei möglichen PDS-Wählern äußerst unbeliebt. Im zugespitzten Lagerwahlkampf zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb ist für die PDS somit kein Platz. Im Westen macht sie daher keinen Stich, im Osten wird sie zerrieben. Vor vier Jahren konnten die Ostdeutschen Kohl ab- und die PDS in den Bundestag wählen, dieses Mal müssen sie sich zwischen Schröder und der PDS entscheiden. Das wird der PDS an der Fünfprozenthürde wohl die entscheidenden Stimmen kosten, und auch der Gewinn von drei Direktmandaten, die ihr in jedem Fall den Einzug in den Bundestag sichern würden, scheint in weite Ferne gerückt. Die Genossen werden sich beim Amtsflüchter Gysi dafür bedanken können. CHRISTOPH SEILS