Anspruch ja, Vollstreckung nein

Griechisches Sondergericht entscheidet über Klagen von Opfern deutscher Kriegsverbrechen auf Entschädigung

ATHEN taz ■ Die höchste griechische Gerichtsinstanz hat entschieden, dass Entschädigungsansprüche von griechischen Privatpersonen, die sich auf Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg beziehen, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckbar sind. Das Oberste Sondergericht, eine aus Richtern des Obersten Gerichtshofes (Areopag) und des Obersten Verwaltungsgerichtshofes zusammengesetzte Kammer, hat in seiner am Dienstagabend veröffentlichten Entscheidung mit 6 zu 5 Stimmen das Prinzip der Staatenimmunität bedingungslos bejaht. Demnach ist es privaten Klägern verwehrt, in Griechenland finanzielle Ansprüche gegen andere Staaten durchzusetzen. Damit ist das Areopag-Urteil aus dem Jahr 2000 nicht vollstreckbar, das den Nachkommen von Opfern eines Massakers der Waffen-SS in der Kleinstadt eine Entschädigung von 86 Millionen Mark zugesprochen hatte.

Die Kammer bejahte allerdings einstimmig, dass die Ansprüche der Distomo-Kläger zu Recht bestehen. Die Frage sei nur, vor welchem Gericht sie geltend gemacht werden können. Hier verweist der Mehrheitsbeschluss auf Urteile des Europäischen Gerichts über das Prinzip der Staatenimmunität. Damit folgte es der Rechtsmeinung, die von deutscher Seite von Anfang an gegen den Areopag-Spruch bemüht wurde. Die Bundesregierung sieht den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität verletzt, wenn ein Staat durch das Gericht eines anderen Staates verurteilt wird. Entschädigungszahlungen an ausländische Privatpersonen können nach dieser Auffassung nur durch einen Vertrag beider Staaten geregelt werden.

Auch der Areopag hatte die Staatenimmunität prinzipiell anerkannt, jedoch für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Ausnahme von diesem Prinzip postuliert. Diese Rechtsmeinung hat nunmehr das Oberste Sondergericht revidiert. Damit ist endgültig ausgeschlossen, dass öffentlicher Besitz der Bundesrepublik auf griechischem Boden zugunsten der Distomo-Kläger versteigert wird.

Die Athener Entscheidung betrifft nicht nur tausende von griechischen Klägern, die Entschädigungsansprüche aus der deutschen Besatzungszeit geltend machen. Sie könnte sich auch auf anderswo anhängige Prozesse auswirken. Auch für den deutschen Bundesgerichtshof dürfte das Urteil relevant werden. Hier ist die Klage des Distomo-Opfers Arghiris Sfountouris anhängig, der seine Ansprüche vor einem deutschen Gericht einzuklagen versucht. Der BGH wird sich zumindest mit einem historischen Aspekt der Entschädigungsprozesse auseinandersetzen müssen. Der Areopag hatte befunden, dass der 2+4-Vertrag von 1990 einem Friedensvertrag gleichzusetzen sei. Für diesen Fall hatte aber das Londoner Schuldenabkommen von 1952 eine Regelung der gesamten Reparationsproblematik vorgesehen. Genau deshalb hatte die Kohl/Genscher-Regierung vermieden, den Ausdruck „Friedensvertrag“ in den Mund zu nehmen. Der Bundesgerichtshof wird sich mit der Frage befassen müssen, ob er der Bundesregierung diesen Trick durchgehen lässt. Tut er es nicht, würde er zumindest theoretisch die völkerrechtlichen Verpflichtungen anerkennen, die der Nachfolgestaat des Dritten Reiches für den Fall der Wiedervereinigung übernommen hatte. NILS KADRITZKE