„Ungemütlich tiefe“ Ölvorräte der USA

Nach einem Irakkrieg könnten die Karten über die Ausbeutung des zentralasiatischen Öls neu gemischt werden

BERLIN taz ■ Leere Autobahnen, Benzinrationierungen und ein überteuertes Heizöl – all das ist nicht in Sicht, selbst wenn es zu einem Militärschlag der Amerikaner gegen den Irak käme. Das zumindest behaupten die Delegierten der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec), die sich heute im japanischen Osaka zu ihrer Halbjahreskonferenz einfinden. 1973 hatten die arabischen Staaten Öl als Waffe gegen die meisten westlichen Industrienationen eingesetzt, wegen deren Unterstützung für Israel im Jom-Kippur-Krieg.

Kein Opec-Land will dieses Szenario wiederholen. Dennoch ist die aller sechs Monate stattfindende Tagung diesmal alles andere als eine gewöhnliche Konferenz. Alles dreht sich um den Irak und nicht wie üblich um Prognosen über steigende oder sinkende Erdölnachfrage.

Die generelle Unsicherheit auf den Ölmärkten ist seit den US-Drohungen gegen Saddam Hussein mit Händen zu greifen – und die Amerikaner versuchen mitzumischen. Zurzeit beträgt die Produktion der elf Opec-Länder offiziell 21,7 Millionen Fass pro Tag, doch haben in jüngster Zeit eine Reihe von Mitgliedern klammheimlich mehr als den ihnen zustehenden Anteil produziert und heimlich Geschäfte mit amerikanischen Firmen abgewickelt. Die Mehrproduktion beträgt derzeit 1,7 Millionen Fass pro Tag oder rund 8 Prozent der zu kompensierenden Menge wegen des Ausfalls des Iraks als Förderland.

Der weltgrößte Ölproduzent Saudi-Arabien hat sich zwar bereit erklärt, irakische Ausfälle auch weiterhin auszugleichen und in großen Mengen amerikanische Ölkonzerne zu beliefern, doch niemand möchte die Frage beantworten, was passiert, wenn die Erdölraffinerien im Arabischen Golf unter direkten irakischen Beschuss geraten. Dabei ist dies ein durchaus plausibles Szenario im Falle eines US-Schlags gegen den Irak.

Ein weiteres Szenario, das der Opec zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, ist der Umstand, dass Washington nach einem Regimewechsel in Bagdad die irakischen Ölreserven selbst ausbeuten möchte – an der arabischen Welt vorbei. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion bemüht sich Washington verstärkt um die indirekte Kontrolle der kaspischen und zentralasiatischen Ölvorkommen. Mit Kasachstan schloss die amerikanischen Firma Chevron einen Exklusivvertrag ab zur Erschließung des angeblich größten bislang unerschlossenen Ölfeldes der Welt, des Tengis-Feldes am Kaspischen Meer. Und mit Aserbaidschan wurde vereinbart, die Erschließung aller drei großen Offshore-Felder vor der kaspischen Küste amerikanischen Konzernen zu überlassen. Der strategisch wichtigste Schritt: Das dort gewonnene Rohöl soll über Pipelines gen Norden geleitet werden, über den georgischen Schwarzmeerhafen Supsa und den russischen Hafen Noworossisk. Irakisches Öl soll dann künftig ebenfalls über diese Pipelineverbindungen in den Westen gelangen.

Während der Transport des aserbaidschanischen Öls im Sinne der Amerikaner verläuft, kommt die Erschließung des Tengis-Feldes nicht voran. In den letzten Jahren waren es vor allem die Russen, die ihre Monopolposition als Transitland zum offenen Meer und damit zum Weltmarkt verteidigten. Moskau war vor allem verärgert, dass Washington keine russischen Firmen an der Erschließung von Tengis zum Zuge kommen ließ. Nach einem Irakkrieg der Amerikaner – geduldet von Russland – könnten die Karten über die Ausbeutung des zentralasiatischen Öls neu gemischt werden.

Innerhalb der Opec verfolgt man diese Gedankenspiele mit großer Sorge und bastelt an Gegenstrategien, um zumindest teilweise die Pläne der Amerikaner und Russen zu durchkreuzen. Ein Machtmittel kann die Opec – Voraussetzung ist völlige Geschlossenheit aller Mitglieder – vorerst noch ausspielen: Selbst nach einem Sturz von Saddam würde es noch Jahre dauern, bis amerikanische Konzerne die irakischen Reserven wirtschaftlich ausschöpfen könnten.

Zu viele Felder liegen im Irak brach, und die Pipelines sind veraltet. Mit Genugtuung nimmt man in Opec-Kreisen zur Kenntnis, dass die USA laut Internationaler Energieagentur (IEA) zurzeit nur noch über „ungemütlich tiefe“ Vorräte verfügen. Gleichzeitig steigt zur Wintersaison hin auch der Bedarf an Heizöl. Ferner prognostiziert nicht nur die IEA für 2003 einen weiter steigenden Erdölbedarf. Noch sind die Amerikaner auf Opec-Öl angewiesen, und allein dieses Kartell bestimmt den Preis auf dem Weltmarkt. ROLAND HOFWILER