„Ich bin kein grüner Helmut Kohl“

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„Will man als Preis für den Einzug der PDS mit einer großen Koalition aufwachen? Das ist die Frage!“„Der Kanzler und ich haben uns klar festgelegt. Wir werden uns an keiner Militäraktion beteiligen.“

Interview JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

taz: Herr Fischer, Sie sind jetzt sechs Wochen lang quer durch Deutschland gefahren. Hat sich der grüne Außenminister von seinen Fans verabschiedet?

Joschka Fischer: Das Gegenteil ist der Fall. Wir – und das ist jetzt kein Pluralis Majestatis! –, wir alle in der grünen Partei kämpfen für das eine Ziel: Wir wollen mit acht Prozent plus x drittstärkste Partei werden, vor der FDP, und die rot-grüne Koalition fortsetzen. Von wegen Abschiedstour!

Die Grünen stehen in den Umfragen besser da denn je, Joschka Fischer wird von fast allen gefeiert – und trotzdem droht eine Regierung, an der Ihre Partei nicht beteiligt ist.

Das sehe ich nicht. Die Zweitstimme für die Grünen – das ist diesmal die rot-grüne Stimme. Wir haben die Chance auf eine eigene Mehrheit im nächsten Bundestag.

Das sagen Sie. Aber es wird nichts nützen, dass auf den Wahlplakaten Ihre Augen grün gefärbt und Ihre Lippen rot nachkoloriert sind.

Die Lippen sind nicht rot koloriert. Und meine Augen sind tatsächlich grün. Sie glauben’s mir nicht? Schau mir in die Augen, Kleiner!

Trotzdem, die Grünen verdanken ihre Aufholjagd ganz entscheidend der Popularität ihres Außenministers, und der hat sich wie nie zuvor als Popstar stilisiert.

In der Mediengesellschaft, auch in der taz, führt an der Personalisierung der Politik kein Weg vorbei. Programme reden nun mal nicht selbst. Sogar jemand wie Christian Ströbele personalisiert aufs Heftigste. Der hängt ja Plakate auf, wie man sie früher eher von großen Steuermännern kannte! Das ist der Tribut an die Mediengesellschaft. Man darf das nur nicht missverstehen und aufs eigene Ego beziehen.

Das tun Sie natürlich überhaupt nicht.

Schauen Sie, ich habe schon als hessischer Umweltminister an vorderster Front gekämpft. Auch so eine kräftezehrende Bustour habe ich schon einmal gemacht, im Bundestagswahlkampf 1998. Für mich ist das nichts Neues. Neu ist hingegen, dass die Partei zum ersten Mal geschlossen ist, das Programm stimmt, das Team stimmt, die Kampagne stimmt. Es passt alles zusammen. Ich habe noch nie so einen Zuspruch erlebt, noch nie so eine Mobilisierung an der Basis. Klar ist aber auch: Am 23. September werden die Plakate eingesammelt, und dann wird wieder hart in der Sache gearbeitet.

Aber möglicherweise in der Opposition. Wenn die PDS in den Bundestag kommt, ist die wahrscheinlichste Konstellation eine große Koalition.

Verschonen Sie mich mit Meinungsumfragen. Fragen Sie die Union, was passiert, wenn man zu lange auf Umfragen schaut.

Sie preisen sich selbst als großen Realo. Eine rot-grüne Koalition ist nur möglich, wenn die PDS rausfliegt. Wünschen Sie sich das?

Ja. Was passiert denn, wenn die PDS gewählt wird? Ich sage das auf allen meinen Wahlkampfveranstaltungen: Wenn ihr mit radikalem Gestus PDS wählt, könnt ihr vielleicht sagen, den Grünen haben wir’s gezeigt. Und dann? Gibt es eine große Koalition – und ihr habt es nur euch selbst gezeigt! Stoiber wird sich bedanken.

Wäre es unter dem Blickwinkel des Zusammenwachsens von Ost- und Westdeutschland hilfreich, wenn die PDS nicht in den Bundestag kommt?

Darum geht es doch nicht. Will man als Preis für den Einzug der PDS mit einer großen Koalition aufwachen? Das ist die Frage, und die muss am Wahltag klar mit Nein beantwortet werden.

Wer uns nicht wählt, hilft nur den Schwarzen. Mit diesem Argument hat schon die SPD in den 80er-Jahren vor der Wahl der Grünen gewarnt. Haben Sie da kein Déjà-vu?

Allein die Überlegung, was eine große Koalition für den Atomausstieg bedeutet, wäre für den Wähler und Atomkraftkritiker Joschka Fischer Grund genug, vor der PDS zurückzuschrecken. Unter Rot-Grün werden in den nächsten vier Jahren die ersten Atomkraftwerke abgeschaltet, erst dann fängt die Industrie an, im großen Stil in Zukunftsenergien zu investieren. Das sollen wir aufs Spiel setzen? Für eine Partei wie die PDS? Nein, danke.

Sie scheinen sich ja vor allem zu fürchten, nur nicht vor einer rot-grünen Koalition. Was wäre eigentlich so schlimm an einer sozialliberalen Regierung?

Erstens fürchte ich mich nicht, und zweitens müssen Sie mir mal erklären, was an der FDP noch liberal ist. Egal wann, egal mit wem, egal was, Hauptsache dabei – die FDP ist wieder da angekommen, wo sie schon immer war. Das wird ergänzt um einen nach rechts marodierenden Möllemann, der jetzt wieder unverhohlen mit Antisemitismus zu mobilisieren versucht. Das ist ekelhaft!

Vielleicht würde die FDP einfach nur die Grünen ersetzen und Westerwelle macht den Reformmotor.

Westerwelle als Reformmotor? Ich müsste eine lethale Dosis von Mineralwasser trinken, um Ihnen das abzukaufen. Was soll das denn für eine „Reform“ werden? Die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent durch soziale Umverteilung? Die Einführung des Neoliberalismus in Deutschland, einer Politik, die in Amerika krachend vor die Wand gefahren ist?

Damit haben Sie jede Möglichkeit einer Ampelkoalition ausgeschlossen.

Wo nichts ist, brauche ich nichts auszuschließen. Wie, bitte schön, soll eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP funktionieren?

Um Stoiber zu verhindern, könnte Schröder auch auf diese Idee kommen. Sie sollen einer Ampel ihm gegenüber schon zugestimmt haben.

Ich habe das auch mit Interesse gelesen. Vergessen Sie’s, da ist nichts dran.

Die Union steht wenige Tage vor der Wahl mit dem Rücken zur Wand – und setzt auf das Angstthema Zuwanderung. Als Rot-Grün Anfang August mit dem Rücken zur Wand stand, haben Schröder und Sie auf das Angstthema Krieg gesetzt. Sind Sie genauso populistisch wie Stoiber und Koch?

Nein. In der Frage von Krieg und Frieden gibt es für mich kein Taktieren. Die Sorge mit dem Irak treibt mich seit meinem Washingtonbesuch unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 um. Der Kanzler und ich kennen die internen Diskussionen in der Regierung, im Kongress, in den Think-Tanks. Unsere Entscheidung gegen einen Irakkrieg und eine deutsche Beteiligung daran stützt sich nicht auf den Wahlkampf.

Der Kanzler hat Mitte August selbst zur Überraschung der eigenen Partei öffentlich gegen einen Irakkrieg Stellung bezogen. Warum zu diesem Zeitpunkt?

Weil in den USA eine öffentliche Debatte über den Irak geführt wurde, weil im amerikanischen Kongress eine Anhörung stattfand. Deshalb mussten wir öffentlich Position beziehen.

Selbst Anhänger im rot-grünen Lager, die das Nein der Regierung zum Krieg richtig finden, glauben Ihnen nicht, dass es dabei nach der Wahl bleibt.

Ich kann nur noch einmal wiederholen: Sowohl der Bundeskanzler als auch ich haben sich ganz klar festgelegt. Wir werden uns an einer Militärintervention im Irak nicht beteiligen.

Das gilt auch nach der Bundestagswahl?

Das gilt auch nach der Wahl.

Die Bundesregierung will trotzdem nicht ausschließen, dass die USA den deutschen Luftraum und ihre Luftwaffenstützpunkte für einen Irakangriff nutzen können. Warum verweigern Sie hier eine klare Haltung?

Die Frage wird dann entschieden, wenn sie ansteht. Wir haben eine klare Haltung. Die liegt in unserer Festlegung, dass sich Deutschland an einer militärischen Intervention gegen den Irak nicht beteiligt. Die lässt keine Zweifel offen.

Mit den Stützpunkten reden Sie sich heraus.

Ich rede mich nicht heraus. Ich tue gegenwärtig alles, um diesen Krieg zu verhindern und damit es überhaupt nicht dazu kommt.

Wäre Ihr Nein gegen einen Irakkrieg nicht glaubwürdiger, wenn Sie sich auch in dieser Frage festlegen würden?

Das sehe ich nicht so. Das ist eine Frage, die man dann entscheiden muss, wenn sie sich konkret stellt.

Warum ist ein Krieg gegen den Irak falsch, wenn er in Afghanistan richtig war?

Die Intervention in Afghanistan war die Antwort auf einen internationalen Terrorismus, der eine neue Bedrohung für den Weltfrieden darstellt. Dieser Terrorismus kann mit simplen Mitteln zerstörerische Wirkungen erzielen wie früher nur Staaten. Mit diesem Terrorismus kann man nicht verhandeln. Aber neben der Bekämpfung dieses Terrorismus ist es mindestens genauso wichtig, regionale Konflikte so weit einzudämmen, dass sie keine Verbindung mit dem Terrorismus eingehen. Das ist eine Lehre aus dem 11. September: Keine vergessenen Konflikte mehr zuzulassen.

Welche Rolle spielt der Irak dabei?

Es geht hier um die Zukunft des gesamten Nahen Ostens. Die entscheidende Frage ist doch, ob ein Krieg gegen den Irak das geeignete Mittel ist, eine Neuordnung des Nahen Ostens von außen einzuleiten. Oder ob der Ansatz, einen Frieden zwischen Israel und Palästinensern zu erreichen, um dann andere Probleme zu lösen, nicht der geeignetere Weg wäre. Also kooperativ vorzugehen und nicht konfrontativ: im Nahen und Mittleren Osten den Hass abzubauen, die Region in die Weltwirtschaft einzubeziehen, ihr einen islamischen Weg in die Moderne zu eröffnen.

Aber Saddam Hussein ist ein gefährlicher, menschenverachtender Diktator.

Ja, und er darf Massenvernichtungswaffen nicht bereit halten, er darf sie nicht verstecken, er darf sie nicht produzieren, er darf die Anlagen dafür nicht besitzen und er darf keine Trägersysteme anschaffen. Die Eindämmungspolitik des Westens gegenüber Saddam hat zehn Jahre funktioniert. Das ist kein Appeasement.

Ist das jetzige Einlenken Saddam Husseins ein Erfolg dieser Politik? Oder ist es nicht das Ergebnis der unverhohlenen Drohung des US-Präsidenten vor der UNO?

Das Angebot der irakischen Regierung bietet die Chance, UN-Waffeninspektoren möglichst schnell ins Land zu bringen. Wenn das irakische Angebot zu UN-Kontrollen ohne Vorbedingungen ernst gemeint ist, dann kann das die Chance sein, einen Krieg zu verhindern.

Ist es ernst gemeint?

Das werden wir spätestens dann feststellen, wenn die UN-Inspektoren mit ihren Überprüfungen beginnen. Ich habe vergangene Woche in New York dem irakischen Außenminister noch mal gesagt, wie eng das Zeitfenster ist. Wenn er eine Tragödie verhindern will, dann ist für irgendwelche taktischen Spielchen kein Platz mehr.

Sonst gibt es Krieg?

Das ist noch nicht entschieden. Aber wer eine militärische Drohkulisse aufbaut, der muss auch bereit sein, sie zu realisieren. Das heißt in der Konsequenz Besetzung des Irak, das heißt Regimewechsel in Bagdad. Die größten Probleme liegen in den Folgen eines Krieges im Irak für die Stabilität im Nahen Osten.

Der Krieg ist nicht Ihre Hauptsorge?

Oh doch! Aber es geht hier nicht nur um den Irak, sondern um die ganze Region, die hochgefährlich ist. Die USA haben ohne Zweifel die militärischen Mittel, Saddam Hussein von der Macht zu entfernen. Aber auf die entscheidende Frage habe ich bis heute keine Antwort gehört: Rechtfertigen die Bedrohungsanalysen, ein Risiko ganz anderer Größenordnung einzugehen und die Verantwortung für Frieden und Stabilität in der gesamten Region zu übernehmen, eine Verantwortung, die nicht in Wochen und Monaten, sondern eher in Jahren und Jahrzehnten zu bemessen ist? Gibt es dafür wirklich eine Unterstützung im amerikanischen Volk? Der Vater des jetzigen Präsidenten hat sich Anfang der 90er-Jahre aus gutem Grund geweigert, nach Bagdad zu marschieren. Man konnte die Frage, was danach kommt, nicht beantworten. Faktisch liefe das auf eine Neuordnung des Nahen Ostens hinaus – aber konfrontativ, mit nicht absehbaren Risiken für die regionale Stabilität.

Bedienen der Kanzler und Sie mit ihren scharfen Worten gegenüber der US-Regierung nicht genau jene antiamerikanischen Ressentiments, die gerade Sie der grünen Partei einst ausgetrieben haben?

Wir bedienen keine Ressentiments. Ich habe immer gesagt und sage dreimal täglich auf meinen Veranstaltungen, dass ich Antiamerikanismus für falsch, ja sogar für gefährlich halte. Die USA sind für Frieden und Stabilität unverzichtbar, global wie regional. Antiamerikanismus wäre gegen unsere eigenen Interessen gerichtet. Einen Frieden im Nahen Osten wird es nur mit den USA geben, nicht ohne sie. Dasselbe gilt für Kaschmir oder für den Konflikt in Südostasien. Doch wenn unser wichtigster Partner dabei ist, Entscheidungen zu treffen, die wir für falsch halten, müssen wir das klar sagen. Dies ist dann aber eine völlig normale Diskussion in der transatlantischen Familie.

Sie haben am Rande der letzten UNO-Sitzung kurz mit Präsident Bush gesprochen?

Richtig.

Was hält er von Ihren Ansichten?

Was ich mit Bush besprochen habe, werde ich hier nicht ausbreiten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass in Washington die gleichen Fragen diskutiert werden wie hier in Deutschland. Auch in den anderen europäischen Staaten ist das so.

Hat sich die Bundesregierung international isoliert?

Davon spüre ich überhaupt nichts. Das ist Quatsch. Und falls sie vorhatten, auch noch die Frage mit dem Telefonieren zu stellen: Wir stehen mit allen Verbündeten in ständigem Kontakt.

Sie haben vorhin die Grünen für ihre Geschlossenheit im Wahlkampf gelobt. Steht die Partei so gut da, weil sie sich ihrem Außenminister endlich komplett unterworfen hat?

Niemand hat sich unterworfen. Wir arbeiten als Team zusammen. Gerade bei der Aufstellung unseres Wahlprogramms haben wir eine kompromissorientierte Diskussion erlebt, wo von vielen Personen und Flügeln zugearbeitet wurde. Ansonsten hat die Partei darauf gesetzt, den Popularitätsfaktor Joschka Fischer bis zum 22. September voll zu nutzen. Das ist keine Unterwerfung, das ist rein funktional bedingt.

Bei Ihrem Auftritt in der Stadthalle Bielefeld vor ein paar Tagen saßen 2.000 Grüne artig wie in der Philharmonie und haben an den richtigen Stellen brav geklatscht.

Manchmal geht’s auch heftiger zu im Saale. In Düsseldorf hatte ich echt schwer zu arbeiten.

Die Grünen sind nicht rundgelutscht?

Ein bizarrer Begriff, der Ihnen da einfällt. Da saßen doch auch jede Menge taz-Leser im Publikum.

Das macht es nicht besser. Oben auf der Bühne steht der große Vorsitzende und redet, unten klatscht die Basis. Sind die Grünen auf dem Weg zur Honoratiorenpartei?

So wenig die taz je mit der FAZ zu verwechseln sein wird, so wenig werden die Grünen je zur Honoratiorenpartei. Ab dem 23. September gibt es wieder heftige Diskussionen – dafür sorgt schon unser Spaß am Streit.

Und Joschka Fischer wird nicht zum grünen Helmut Kohl, der seine Partei übermächtig beherrscht?

Sie werden ja immer heftiger! Ich denke nicht daran, zum grünen Helmut Kohl zu werden.

Sie haben immer wieder gefordert, die Grünen müssten sich neu erfinden. Vor zwei Jahren riefen Sie zum Kampf gegen rechts auf, dann surften Sie nach anfänglichem Widerstand auf der Welle der Globalisierungskritik, anschließend kam die Kinderpolitik. Ist die grüne Programmpartei zum Konjunkturritter geworden?

Für uns sind alle diese Themen unverändert zentral. Wenn wir dafür nicht immer die Aufmerksamkeit bekommen, die wir uns wünschen, liegt das an der Aufmerksamkeitsspanne der Medien, nicht an unseren programmatischen Zielen. Wenn ich vor der großen Flut über Klimaschutz und erneuerbare Energien geredet habe, haben die meisten Journalisten nur gegähnt.

Ihre Themensetzung folgt also nicht den Konjunkturzyklen der Häppchengesellschaft?

Nein, ich gebe den Vorwurf gern an Sie zurück. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für junge Frauen, ist für mich eine der zentralen Reformen der nächsten vier Jahre, für den Kanzler übrigens auch. Ich hätte dieses Thema gern bereits 1998 im Wahlprogramm gehabt.

Aber sowohl beim Kampf gegen den Rechtsextremismus wie auch bei der Globalisierungskritik sind die Grünen zunehmend mit Basisbewegungen konfrontiert, die mit Ihrer Partei nichts mehr zu tun haben wollen.

Das mag ja sein, aber dem liegt ein Irrtum zugrunde. Ich kenne die radikal-kritische Haltung ja aus meiner eigenen Biografie. Ich habe die Reformpolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt und Walter Scheel Anfang der 70er-Jahre vehement kritisiert. Rückblickend sehe ich das als Irrtum an. Erfolge mit Reformpolitik sind nicht von heute auf morgen, sondern nur über eine lange Strecke zu erreichen.

Die Grünen laufen auf diesem Weg nicht Gefahr, eine ganze junge Generation an Organisationen wie Attac zu verlieren?

Natürlich ist es das Vorrecht junger Leute, alles gleich und sofort zu wollen. Ich teile auch vieles von dem, was die Globalisierungskritiker fordern. Aber wie wird daraus reale Politik? Eine Politik der Nachhaltigkeit ist ein Marathonlauf. Da kommt man nur mit kleinen Schritten weiter, das Ziel aber immer fest vor Augen.

Aber die Grünen haben den kritischen Blick nicht länger gepachtet. Sogar Wolfgang Schäuble kann inzwischen der Globalisierungskritik etwas abgewinnen.

Ja, ja, Wolfgang Schäuble ist immer sehr nachdenklich, solange es nicht ans Entscheiden geht. Was herauskommt, wenn er entscheidet, haben wir ja bis 1998 gesehen.

Nach dem Wahlsieg 1998 ist die Idee eines rot-grünen Projekts schnell in der Versenkung verschwunden. Plötzlich hat es sogar der Kanzler wiederentdeckt. Kann man das ernst nehmen oder denkt Gerhard Schröder dabei nur an seinen Wahlsieg?

Ich bin da optimistisch. Nehmen Sie nur ein Thema, das dem Bundeskanzler eingestandenermaßen am Herzen liegt: Die Interessen der deutschen Automobilindustrie können letztlich nicht gegen die Umwelt gesichert werden. Ferdinand Piëch, der Aufsichtsratsvorsitzende vom Volkswagenkonzern, hat das erkannt und den Prototyp eines 1-Liter-Autos entwickeln lassen. Guido Westerwelle hat das nicht erkannt. Sein Guidomobil verbraucht 30 Liter Benzin auf hundert Kilometer.

Der Kanzler fährt auch gern große Autos.

Er weiß jedenfalls, dass die Abkehr vom Ölzeitalter längst zu den Zukunftsfragen der deutschen Volkswirtschaft gehört. Wir hatten in der rot-grünen Koalition bisweilen heftigen Streit, von beiden Seiten. Aber wir haben uns zusammengerauft. Die Grünen freuen sich heute über die Rede des Bundeskanzlers auf dem Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg. Mit der Energiewende hat Rot-Grün bewiesen, dass wir durch ökologischen Umbau Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir ihn endlich als unternehmerische Aufgabe ansehen.

Gerhard, der Öko-Kanzler?

Jürgen Trittin hat den Atomausstieg durchgesetzt. Renate Künast hat die Agrarwende begonnen. Sechzehn Gesetze und Verordnungen zum Klimaschutz. Von Naturschutzgesetz, Lkw-Maut bis hin zu erneuerbaren Energien – alles mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, angeschoben von starken Grünen.

Wir sind beeindruckt. Und jetzt wollen SPD und Grüne vier weitere Jahre regieren. Viele sagen: Sie hatten ihre Chance. Sie haben sie auf zentralen Feldern der Arbeits- und Sozialpolitik nicht genutzt. Stattdessen kommen Sie sechs Wochen vor der Wahl mit dem Hartz-Papier.

Die Grünen wollten schon seit längerem die Reform auf dem Arbeitsmarkt anpacken. Wir hätten uns schon vor einem Jahr gewünscht, dass die Arbeitsämter viel aktivere Vermittlung betreiben, auch in gewissen Grenzen mehr Flexibilität. Aber dagegen gab es bei der SPD wie bei den Gewerkschaften erhebliche Vorbehalte. Jetzt haben wir mit den Hartz-Vorschlägen eine gute Grundlage.

Wenn man den Großstrategen und grünen Spitzenkandidaten Joschka Fischer so reden hört, kann man sich kaum vorstellt, dass er nach dem 22. September auch als einfacher Abgeordneter in den Bundestag zurückkehren könnte.

Wer bei Wahlen antritt, kann gewinnen und verlieren. Wenn wir verlieren, bin ich Abgeordneter. Ich kämpfe allerdings darum, dass wir die rot-grüne Mehrheit verteidigen und die Grünen gestärkt werden. Ich will als Außenminister weiterarbeiten.

Oder Oppositionsführer gegen eine große Koalition mit einem Kanzler Gerhard Schröder?

Versuchen Sie es nicht weiter. Ich gebe nur noch einen letzten Rat: Alle sollen grün wählen. Dann gibt es am Ende sogar mehr taz-Abos.