Hass über Berlin

Die arg gebeutelte deutsche Hauptstadt steht vor dem möglichen Aufschwung

„Die Terroristen hassen Berlin, London und Paris genauso wie New York und Washington.“

„Die Terroristen hassen auch Berlin“, erklärte unlängst die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, Condoleezza Rice, in einem Interview. Prompt kam Cindy Crawford an die Spree und präsentierte ihr neues Parfum. Denn: „Die Terroristen hassen Berlin, London und Paris genauso wie New York und Washington.“ Genauso? Frau Rice blickte düster drein, als sie dies klarstellte. Dann apodiktisches Kopfnicken. Da gab es keinen Zweifel. „Der Hass muss wohl sehr schlimm sein, wenn Frau Rice so böse guckt, da fragen wir mal lieber nicht nach“, dachten sich offenbar die mit dem Interview betrauten Journalisten aus Hamburg und beendeten kurz darauf das Gespräch. Eilig kehrten sie der Kassandra den Rücken und stolperten hüstelnd aus deren Washingtoner Büro, bevor entsprechende Flüche auch über Hamburg, Pirna und Salzgitter ergingen.

Im Flugzeug nach Hause müssen sie sich dann sehr geärgert haben. Denn welch Aufschwung hätten sie mancher Gemeinde, ja, hätten sie ihrer Heimatstadt, beschert, wenn es im Weißen Haus geheißen hätte: „Die Terroristen, sie hassen Eisenhüttenstadt, Wurzen, Greina, Niederzier. Schlimm steht es auch um Duderstadt, Pausa, Greiz und Ruppertsgrün. Am meisten jedoch hassen sie Oelsnitz und Lichtentanne und zwar, meine Herren, genauso wie London, Paris, Hamburg, New York und Washington!“

Hätten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber die Hass-Gebiete besucht, um „sich selbst ein Bild von der Lage“ zu machen? Nein. Wohl eher, um mit den so herzlich Gehassten siegessicher vor Fernsehkameras zu posieren. Und dann ein Sofortprogramm mit Ausgleichszahlungen für nicht oder zu wenig gehasste Gebiete in die Wege geleitet.

Vor allem aber wäre eine gekommen: Cindy Crawford! Mit ihrem Parfüm: „HATE – der duft einer irren zeit“. Besucherstürme, Touristenschwärme, Devotionalien. Die Völker der Welt hätten wallfahren wollen zu den Gehuldigten. Besonders der Mittelstand hätte profitiert.

Wie nun aber profitiert Berlin von der salbungsvollen Nennung seines Namens in einem Atemzug mit den Metropolen der westlichen Welt? Manch Eingeborener wird gedacht haben: „Nüscht für unjut, dit is ebm Weltstadt.“ Sonst nichts? Keine Freudentränen, Jubelstürme, Tänze ums Brandenburger Tor? Gab es je eine bessere Gelegenheit, den Fernsehturm zu besteigen, um anderen Bewerbern des Kosmopolitismus eine Nase zu drehen: „Ihr Seefahrer aus Hamburg, die ihr reich seid, jedoch … Ihr adornen Frankfurter, die ihr wohl gebildet scheint, allein … Ihr Münchener möget die äh-loseste Weißwurst euch zurechnen dürfen, gleichwohl … – nur uns zürnt man wie New York, Washington, London und Paris.“

Gab Gregor Gysi zu früh auf? Hätte er den jetzt aufwallenden Hassboom abwarten sollen, um die deutsche Hauptstadt zu nie gekanntem Wohlstand zu führen. Ein Wohlstand, in dem kein Berliner mehr arbeitet. Worauf wartet Berlin? Ist es Eitelkeit, die die Stadt wie eh und je ihre Chancen verschlafen lässt? Fordert der kapitale Hochmut einen intensiveren, einen bedingungslosen, gar unvergleichbaren Hass?

Die Freude jedenfalls, sie mag so recht nicht aufkommen. Selbst die Berlin Tourismus Marketing GmbH will die Möglichkeiten des Hasspotenzials nicht erkennen: „Wir können nicht ausschließen, dass es mit den Besucherzahlen weiter abwärts geht“, ließ ihr Geschäftsführer dieser Tage verlautbaren. Und der Berliner? Er übt sich in bekannter Misanthropie: „Wir hassen uns schon selbst jenuch!“, so schreit es stullengedämpft aus biergeblähten Tränensäcken, denen in puncto Hass keiner so schnell etwas vormacht.

ANDRÉ PARIS