: Bambi, halbtrocken
Mit mildem Rotkäppchen-Sekt feiern sich die Kultur- und Fernsehschaffenden der neuen Länder im Friedrichstadtpalast bei der „Goldenen Henne“. Eindrücke von einem ostalgischen Heimatabend
aus Berlin ROLAND HOFWILER
Tausende wollten rein, nur 800 bekamen Karten. Schließlich füllten schon an die 1.200 Geladene die Ränge. Der Friedrichstadtpalast war am Mittwochabend die Glamour-Meile der Hauptstadt schlechthin. Einer fast schon wieder geteilten Hauptstadt allerdings: Die Verleihung der „Goldenen Henne“ ist eine eigentümliche Mischung aus ostalgischem Heimatabend und professioneller Mediengala.
Um dem entgegenzuwirken, gingen die politischen Hennen denn auch an zwei deutsch-deutsche Hähne, für ihre „Verdienste beim Brückenschlag zwischen Ost und West“: Brandenburgs Exministerpräsident Manfred Stolpe (SPD-Ost) und Jenoptik-Chef Lothar Späth (CDU-West), einst Landesherr von Baden-Württemberg und heute Schattensuperminister im Kompetenzteam von Edmund Stoiber, stemmten souverän ihre Goldbroiler in die Kameras.
Wer als Normalsterblicher vor dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter der Fotografen keine Gnade fand und mangels Karte wieder nach Hause geschickt wurde, hatte immerhin einen Trost: Erstmals wurde das Bambi des Ostens live im Fernsehen übertragen. Nicht nur vom mitveranstaltenden Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), sondern auch vom einstigen „Frontstadt“-Sender Freies Berlin (SFB).
Seit acht Jahren wird der ostdeutsche Medienpreis verliehen, neben dem MDR mischen die Neuländer-Illustrierte Super-Illu und deren Programmableger Super TV mit. Beide Titel gehören zum Burda-Konzern, und so sind die Parallelen zu Burdas „Bambi“-Verleihungen bei aller DDR-Nostalgie unübersehbar.
Publikumslieblinge
Zehntausende Super-Illu-LeserInnen beteiligen sich alljährlich bei der Vorauswahl und entscheiden, wer „zu unseren Größten gehört“, zu den „bekanntesten Deutschen“, wer einfach „eine Henne verdient hat“ (Orginalton Super-Illu) – in der Praxis also die Publikumslieblinge der neuen Bundesländer.
„Henne“ steht für die 1991 verstorbene ostdeutsche Entertainerin Helga „Henne“ Hahnemann, ein immer mehr verklärtes Original des „aufrechten Gangs“, einer Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm und in ihren Theater- und Fernsehspielen mit spitzer Zunge aussprach, wo das Volk der Schuh drückte. So musste die Hahnemann auch in diesem Jahr mehrmals herhalten, wenn Moderator Jörg Pilawa nicht mehr weiterwusste und nach einer passenden Überleitung von einem Sketch zum nächsten suchte. Die fünffache Europameisterin Franziska van Almsick wurde für das „Comeback des Jahres“ gehennt und wusste gleich, wie sie ihren Landsleuten Mut zusprechen konnte: „Nimmt euch ein Beispiel an mir, manchmal ist man ganz tief unten und muss sich wieder aufrappeln, und das müssen alle, die die Flutkatastrophe schwer getroffen hat – und das werden wir auch schaffen.“ Lang anhaltender Applaus.
Das Wir-Gefühl, das Gefühl, alle Ostler sind eins und vielleicht auch etwas Besonderes gegenüber den Westlern, stand über die ganzen drei Stunden in der etwas stickigen Palastluft. Bei jedem Musikstück, jeder Preisvergabe, jeder Tanzeinlage, immer wieder wurde an patriotische Gefühle appelliert: „Und jetzt begrüßen wir den ersten Deutschen im Weltraum, den Astronauten Sigmund Jähn.“ Oder: „Hier kommt der erste deutsche Fernsehsprecher und von uns allen geliebte Schauspieler Herbert Köfer“ oder auch: „Einen Applaus für Deutschlands bekannteste Sängerin, unsere werte Stefanie Hertel“.
Stimmt das alles auch? Nannte sich Jähn einst nicht Kosmonaut und lobte die technischen Errungenschaften der Sowjetunion, begann das DDR-Fernsehen mit seinen Programmen nicht erst Monate nachdem im Westen die ARD schon auf Sendung war, und erzählt man über Hertels Ehemann Stefan Mross nicht allerlei Geschichten ums falsche Trompetenspiel?
Kochender Revuetempel
Egal, der Revuetempel kochte, die Stimmung war ausgelassen, das Publikum begeistert. Der 81-jährige Köfer wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet, Trainer Rudi Völler bekam stellvertretend für die Fußball-Vizeweltmeister-Elf die dreieinhalb Kilogramm schwere Trophäe, und die Witwe des Löschmeisters Frank Köckritz wurde stellvertretend für den Einsatz aller freiwilligen Feuerwehrleute bei der großen Flut geehrt.
Doch dann gab es doch noch eine Überraschung, bevor die Gala völlig zur Kitschveranstaltung abrutschte: Ein goldener Vogel ging an die Ärztin Jenny de la Torre für ihren aufopfernden Einsatz für Obdachlose. Die Peruanerin kam vor einigen Jahren in den Osten Berlins und gründete dort eine Praxis zur kostenlosen Behandlung von Menschen, die aus dem sozialen Netz der Krankenversicherung herausfielen.
Die Charity-Henne überreichte übrigens Sabine Christiansen, eine Hand voll Westler wollte man schon auf der Gala sehen, als Zeichen, dass „zusammenwächst, was zusammengehört“.
Und diese Rolle nahm dankend auch Entertainer Udo Jürgens ein, der schon zu DDR-Zeiten im Friedrichstadtpalast auftrat, damals unter anderem mit dem Lied „Ein Riss durch Berlin“. Als er Mittwoch zum Ausklang am Plexiglasflügel seinen neuesten Song „Berlin im Sommer“ sang, war alles dann fast schon wieder „Bambi“. Mit „Aber bitte mit Sahne“ ging’s dann ans Buffet. 40 Kilo Räucherlachs und 35 Kilo Kalbsrücken gingen weg – nebst 500 Flaschen Sekt, Marke Rotkäppchen, dem einstigen Edelgetränk der DDR.
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