philipp maußhardt über Klatsch
: Die Neuigkeiten der Kollegen

Das Essen kann noch so schlecht sein, die Kantine ist zu besuchen: Denn dort erfährt man, wer mit wem und so

Seit wann genau Sibylle W. nicht mehr in die Firma kam, lässt sich heute gar nicht mehr sagen. Aufgefallen war es mir erst nach Wochen, vielleicht weil ich sie nie recht leiden konnte. Sie tat immer so geheimnisvoll, als wisse sie mehr, als sie sagte. Dabei wusste jeder, dass es eher umgekehrt war. Ihr plötzliches Verschwinden riss also keine große Lücke, dennoch fragten wir uns, warum sie nicht mehr da war. Einer meinte, sie hätte einen „Riesenbock geschossen“, eine Geschichte verbaselt sozusagen, also einen Fehler gemacht, den man ihr nicht verzieh. Genaueres war ihm nicht zu entlocken. Die Kollegin vom Zimmer gleich neben dem Aufzug war sich allerdings sicher, dass es mit ihren Nebeneinkünften zusammenhing und dass die Affäre, die sie vor Jahren mit einem der Chefs gehabt hatte, nichts damit zu tun hätte. Die Geschäftsleitung schwieg zu S., so, als wolle sie sie mit ihrer demonstrativen Nichtbeachtung noch einmal gering schätzen. Es gibt sie nicht mehr und es hat sie nie gegeben. Guten Morgen, setzen, weitermachen.

Der im Zimmer neben mir sitze, sei tablettensüchtig. Dem, der mir das in der Kantine erzählte, konnte ich nur aus meinen mitgehörten Telefonaten berichten, dass er tatsächlich häufig mit seinem Hausarzt spricht und dabei immer wieder betont, es gehe ihm schon viel besser. Ich hingegen glaube, dass ein anderer, Kollege E., Koks nimmt. Wie aufgedreht der an manchen Tagen ist. Und dann wieder so down. Kaum belastbar. „Dem musst du nur sagen, dass er morgen den Aufmacher schreiben muss, dann kriegt er Grippe.“ Wie unter solchen Umständen eine sexuelle Beziehung mit Kollegin C. funktioniere, haben wir oft beim Kaffee beredet und sind doch nicht dahinter gekommen.

Nach einem einwöchigen Urlaub sprach mich G. auf dem Flur an. Eigentlich sprach er gar nicht, er lachte und prustete und brachte die Wörter nur stockend heraus. „Die T., weißt du, was die mir sagte? Kannst du dir das vorstellen? Die lief hier herum und erzählte jedem, du seist mit deiner Freundin in die Toskana gefahren. Und deine Frau hätte nix gemerkt.“ Ich war nicht amüsiert und überlegte kurz, sie zur Rede zu stellen. Ließ es dann aber. Stattdessen erwähnte ich später einmal beiläufig, dass ich auf einer Party den Arzt getroffen hätte, bei dem sich T. liften ließ.

Außer dem festen Einkommen ist es nur dieser Betriebsklatsch, der mir fehlt, seit ich wieder für mich alleine arbeite und der Einzige, über den ich lästern kann, ich selber bin. Wenn es mir eng ums Herz wird, rufe ich einen Kollegen von damals an und frage ihn, ob er etwas Neues wisse. Ich würde so gerne erfahren, wer auf der Abschussliste steht, wer wieder vor versammelter Mannschaft angebrüllt wurde oder wen sie sturzbetrunken vom letzten Geburtstagsumtrunk nach Hause bringen mussten. Doch stattdessen muss ich mich mit Belanglosigkeiten abfinden und schmerzhaft erkennen, dass ich nicht mehr dazugehöre.

Der Flur. Das Café am Eck. Aber vor allem die Kantine. Das Essen kann nirgendwo so schlecht sein, als dass man nicht doch täglich hinginge, weil der Hunger nach Klatsch sich dort noch immer am besten befriedigen lässt. Man redet über die Kollegen zwei Tische weiter, darf aber nicht hinstarren, sonst merken sie es. Was ich diesbezüglich einmal in einer Stuttgarter Theaterkantine innerhalb einer Stunde über das Sexualleben der Anwesenden erfuhr, war besonders eindrucksvoll und muss bei anderer Gelegenheit erzählt werden. Wie ein Schmarotzer schlich ich vergangene Woche durch das nächtliche Berlin und setzte mich schließlich in der „Paris Bar“ an einen Tisch zu Kollegen. Ein Redakteur aus der schwäbischen Provinz hatte an diesem Abend den „Theodor-Wolff-Preis“ gewonnen, und ihm gegenüber saß der große Bild-Wagner. „Du bist so echt, so unverdorben“, schleuderte Bild-Wagner dem verlegenen Provinzredakteur über das Rotweinglas hinüber. „Solche Leute wie dich gibt’s nicht mehr viele.“ Dann wandte er sich einer Kollegin zu und sagte: „Wir gehen vögeln.“ Irgendwann standen die beiden auf und gingen tatsächlich. Ich traute meinen Augen nicht. Das musste ich am anderen Tag unbedingt im Büro erzählen. Aber da saß ich wieder ganz alleine in meinem Zimmer.

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