: Textilien der Macht
Heute wissen Sie, wer die Politik der kommenden vier Jahre bestimmt. Was deren Kleidung über sie verrät, kann man in Oldenburg erfahren
Unser Gerhard, porträtiert von Herlinde Kölbl. Cool, direkt in die Kamera blickend, Hand in der Hosentasche, die andere mit der Cohiba an die Stirn fassend, der Brioni-Anzug. Manager, Macher, individueller Geschmack, Kapitalistenaccessoires, Arbeiterhemdsärmeligkeit: Voilà, die nationale Integrationsfigur.
Daneben in der Vitrine nimmt sich die original Rothirsch-Lederbundhose des Ehrenleutnants der Gebirgsschützenkompanie Wolfratshausen von Edmund Stoiber irgendwie fossil aus. Aber das ist schließlich die Geschichte von Nationalkleidung und Tracht: Der Staat, das ist der Anzug. Und dann gibt‘s da noch so‘n paar Querulanten.
Kleider, die Staat machen, präsentiert das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte jetzt in einer umfassenden, bislang einzigartigen Schau. Zwei Jahre Vorbereitungszeit nahm das Kooperationsprojekt in Anspruch, ein Schwerpunkt liegt im 18. und 19. Jahrhundert bei der Frage, wie durch Kleidung und Accessoires Nationalgefühle und politische Hoffnungen in Staaten oder Gegenbewegungen benannt wurden.
Schließlich waren die „Sansculottes“, die „ohne Hosen“, Revolutionäre, und auch die rote Jacobinermütze – in Oldenburg original zu sehen – war mehr als modischer Schnickschnack. Das Übergreifen der französischen Mode auf das „Frauenvolk“ anderer europäischer Staaten sollte unbedingt eingedämmt werden.
Die vielen prachtvollen Exponate und hervorragenden Katalogtexte verdeutlichen, wie Kleidung als aufständisches, stures Identitätsmerkmal gegen fremde Herrscher gelebt wurde und andererseits – mit der altdeutschen Tracht des 19. Jahrhunderts oder der Weimarer Reformkleidung – übergreifendes, klassenloses Nationalgefühl stiften sollte. Dieses Wechselspiel ist im Prinzip im 20. Jahrhundert erhalten geblieben – wenn auch auf anderer Bühne. Das „Frankfurter Modeamt“ der Nationalsozialisten entwarf funktionale High-Tech-Linien für die Frau, inklusive hochmodern anmutender Plexiglasabsätze. Auch das BDM-Kleid aus dem (weißen) Werkstoff „Organdy“ spielte in fließender, hoch geschlossener Präzision mit dem Gegensatz technologischer, pragmatischer Kühle und Überlegenheit und keusch betontem, sexuellem Reiz.
Ein Blick in einen 60er-Jahre-Kleiderschrank der DDR-Durchschnittsfrau räumt mit einem Klischee auf: So viel anders war die Mode innerhalb des „eisernen Vorhangs“ auch nicht. Sicher: Gut, nützlich und praktisch sollte die Mode laut Richtlinie sein, Zweckmäßigkeit sollte für die berufstätige Frau im Vordergrund stehen. Doch mit neuen Materialien wie Polyester entsteht zwischen Ostvorgaben und internationalen Trends eine lebendige Alltagsmode. Die DDR-Frauen gestalten ihre Mode individuell nach ihren Bedürfnissen, um den Mangel an Angeboten auszugleichen.
Der Vermassungsversuch also bringt mehr Individualität hervor als die westliche Mode von der Stange – ein Impuls gegen den überformenden Staat.
Marijke Gerwin
„Kleider machen Politik“: Bis zum 24. November (Di-Fr 9-17, Sa/So 10-17) im Oldenburger Schloss
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