Der Gewinner auf der Kippe

Edmund Stoiber erklärt sich zum Wahlsieger 2002. Die Union sei „wieder auferstanden“. Sie verweist die SPD auf den zweiten Platz

von PATRIK SCHWARZ

Kommt er? Geht er? Bleibt er? Edmund Stoibers Zukunft als Bundespolitiker hing gestern so lange in der Luft, wie es wohl nicht mal seine engsten Berater erwartet hatten. Die ersten Prognosen der Meinungsforschungsinstitute wurden auf den Gängen des Konrad-Adenauer-Hauses schon lange vor Schließung der Wahllokale herumgereicht wie Hasch auf dem Schulhof: heiß begehrte Ware, deren Qualität jedoch alle mit Misstrauen beäugen. Mehrmals lag die SPD vorn, doch in den Hochrechnungen der ARD war es lange die Union.

Kommt der Bayer also als Bundeskanzler nach Berlin? CDU-Spin-Doctors versuchten vor 18 Uhr bereits vorbeugend, die FDP koalitionsfähig zu reden. Ganz einfach war das nicht angesichts einhellig gemeldeter katastrophaler Prozentzahlen für die Spaß- und Rechtspartei – und Jürgen Möllemanns Flirt mit dem Antisemitismus. Noch fehlte Schwarz-Gelb die Mehrheit.

18.43 Uhr – in der ARD-Hochrechnung geht die rot-grüne Mehrheit flöten, und erstmals wird der Jubel im Atrium der CDU-Parteizentrale fest, anhaltend und selbstbewusst. Minuten später steht der Kanzlerkandidat auf der Bühne, seine zwei treuesten Wahlhelferinnen im Schlepptau: Angela Merkel und Karin Stoiber. Die kurze Rede des Edmund Stoiber vermittelt vor allem einen Eindruck: Dieser Mann geht nicht mehr zurück nach München, egal ob es im Bundestag zu einer schwarz-gelben Mehrheit für ihn reicht. Bis zuletzt hatte der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident offen gelassen, ob er zur Not auch als Kanzler einer großen Koalition nach Berlin wechselt. Am Donnerstag vor der Wahl schloss er in der RTL-Sendung „Kreuzfeuer“ nicht einmal aus, Vizekanzler zu werden. Jetzt, um kurz vor 19 Uhr, ruft er über hunderte Köpfe vor der Bühne: „Eines steht jetzt schon fest: Die CDU, die CSU, die Union – wir haben die Wahl gewonnen!“ Gerhard Schröder, Kanzler auf wackligem Grund, hat sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich geäußert.

Noch ist alles im Fluss bei der CDU, und wie aus den Zuwächsen der Union eine Koalition werden soll, davon hat auch der Kanzlerkandidat keine rechte Vorstellung. „Wir werden aus diesem großartigen Ergebnis das machen, was wir machen können“, sagt er vieldeutig. Reicht es für Schwarz-Gelb, ist Edmund Stoibers Zukunft leicht vorhergesagt: Er wird der starke Mann der Republik. Spannender ist die Frage, was aus ihm wird, wenn Rot-Grün die Mehrheit knapp verteidigt oder Rot und Schwarz über eine große Koalition verhandeln müssen. Viel spricht dafür, dass er in jedem Fall der Langeweile entfliehen wird, in München seine Tage bis zur Pensionierung als Exkandidat auf dem Ministerpräsidentensessel zu fristen. Sein gestriger Kuss für die Ehefrau auf offener Bühne dokumentiert auch dies: Der Bayer ist in der Mediengesellschaft angekommen. Vom Politstammler bei Sabine Christiansen hat Stoiber sich im Wahlkampf zu einem bundespolitischen Schwergewicht gemausert, das es mit allen in der Union aufnehmen kann. Einmal mehr bewahrheitet sich im Fall Stoiber, dass der Wahlkampf die einzige Schule ist, die aus einem Landesfürsten eine nationale Größe machen kann.

Nicht ausgeschlossen scheint am heutigen Abend sogar, dass Stoiber wenn nötig den Oppositionsführer macht – als Kanzler in Wartestellung, bis ein wackliges rot-grünes Bündnis womöglich unter dem Druck einer zweiten Legislaturperiode zerbricht.

Damit freilich gerät er in Konflikt mit der Frau, der er bei seinem Auftritt als Erstes dankte: Angela Merkel. Die CDU-Vorsitzende, die stets auf Stoibers Rückkehr nach München spekuliert hat, erlebt gestern Abend einen CSU-Vorsitzenden, der sich in ihrer Parteizentrale gebärdet, als sei er der Hausherr. Zwar lässt es der Saal nicht an „Angie, Angie“-Rufen fehlen, doch nur beim „Edmund, Edmund“ steigert sich das Publikum zum Begeisterungssturm. So strahlt Merkel ein wenig schwächer als Stoiber, und etwas matter klingt ihr Ausruf „Wir haben gewonnen!“.