Grün, aber nicht romantisch

Ihr hohes Wahlergebnis hat Fischer, Trittin & Co wirkliche Verhandlungsmacht beschert – die sie jetzt für einen konsequent ökologischen Regierungskurs nutzen müssen

Es sollte der Ökopartei zu denken geben, dass viele Jugendliche nur noch Gruppen wie Attac unterstützen

Ein verrückter Wahlabend. Nie hätte man das erwartet: Nach 18 Wahlschlappen, von der Union genau mitgezählt, gewinnen die Grünen sensationell hinzu. Und noch bitterer für das Stoiber-Team: Ausgerechnet das Feindbild Ökopax ist der Kanzlerwahlverein. Die Grünen entscheiden, wer regiert.

Aber werden sie auch entscheiden, wie wer regiert? Die Grünen haben jetzt erstmals wirkliche Verhandlungsmacht. Ihr Kurs wurde bestätigt, nicht der der SPD. Dies ahnten offenbar etliche Sozialdemokraten schon vor dem Urnengang. Wann immer sie im Wahlkampf nach ihren Erfolgen gefragt wurden, antworteten sie mit grünen Projekten. Man hätte meinen können, dass der Atomausstieg und die Homoehe zur ehernen SPD-Tradition gehörten und schon von Willy Brandt gefordert wurden.

Der grüne Wahlerfolg ist umso überraschender, als er sich mitten in einer Wirtschaftskrise mit hohen Arbeitslosenzahlen ereignete. Bisher galt Umweltpolitik eher als Luxuspolitik für die guten Zeiten. Das ist vorbei. Die Grünen sind nicht ewig gestrige Romantiker, sondern besetzen erkennbar ein Zukunftsthema. Was also sind Projekte, die durchgesetzt werden müssen?

Wie groß die neue grüne Macht tatsächlich ist – das wird sich an der Ökosteuer erweisen. Die SPD will sie stagnieren lassen. Dieses Programmziel hatte nichts mit rationaler Politik zu tun, nahm nur Rücksicht auf autoverliebte Sozialdemokraten. Denn Energie muss teurer werden, Arbeit billiger. Die Ökosteuer muss weiter steigen, muss die Sozialkassen entlasten und die Lohnnebenkosten senken. Außer den Grünen dürfte es mindestens einen Sozialdemokraten geben, der dies genauso sieht: Finanzminister Hans Eichel, auf den neue Einnahmenausfälle in den Sozialkassen zukommen, und der nicht weiß, wie er die EU-Defizitkriterien erfüllen soll.

Allerdings sollten die Grünen den richtigen FDP-Einwand großmütig aufnehmen, dass die vielen Ausnahmen von der Ökosteuer nicht überzeugen. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet besonders energieintensive Unternehmen weitgehend ausgenommen sind. Auch die Kohlesubventionen wirken deplatziert, wie die Liberalen zu Recht gern betonen. Hier braucht vor allem die SPD in Nordrhein-Westfalen noch Nachhilfe.

Wo die SPD bestimmt lernbereiter ist: beim Verbraucherschutz. Schließlich gibt es wenige Bauern, aber viele Esser. Renate Künast als Ökoengel der Fleischtheke – das wäre sicher eine Rolle, die auch ein Sozialdemokrat langfristig gern besetzen würde. Besonders schön am Thema Verbraucherschutz: Selbst von der Opposition wird sich künftig kaum Widerstand regen. So hat die Union in der letzten Legislaturperiode noch das Verbraucherinformationsgesetz im Bundesrat blockiert. Sie verhinderte, dass Kunden mühelos erfahren können, welcher Kochschinken mit Wasser verlängert ist. Dieser konsequente Antikurs war ein Fehler, was Stoiber wahrscheinlich jetzt erkennen dürfte. Verbraucherschutz ist kein Superkampfthema, um die Grünen als unbelehrbare Regierungsspinner zu überführen. Die Union verkannte die Serviceinteressen der Wähler, die vor allem täglich Käufer sind.

Nicht so populär, dafür wichtiger, ist der Kampf gegen die Agrarsubventionen. Sie strangulieren die Dritte Welt, die sich gegen die künstlich verbilligte und industrielle Nahrungsproduktion nicht wehren kann.

Dieser komplexe Zusammenhang, so fern vom Direktmandat und vom eigenen Wahlkreis, interessiert die meisten Sozialdemokraten zwar kaum – aber für die Grünen ist das Thema strategisch wichtig. Hier können sie an die Antiglobalisierungsbewegung anschließen. Denn es sollte der Ökopartei schwer zu denken geben, trotz des Wahlerfolgs, dass viele Jugendliche lieber nur noch Nichtregierungsorganisationen wie Attac unterstützen.

Wiederum beliebter bei der SPD dürfte das Erneuerbare-Energien-Gesetz sein. Kaum eine Geschichte rührte das Publikum bei Joschka Fischers Wahlkampfveranstaltungen so sehr wie sein kolportiertes Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Dessau. Kurz zusammengefasst war die Botschaft, dass im Industriedreieck von Sachsen-Anhalt alle Firmen brach liegen, nur eine Branche boomt: der Bau von Windkraftanlagen.

Die Grünen haben errechnet, dass sie damit 120.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. Die Windkrafträder und Solardächer waren das erfolgreichste Symbol für den angegrünten Wandel in Deutschland. Das werden sich die Sozialdemokraten merken. Da stört es nicht, auch nicht die Grünen, dass die erneuerbaren Energien nur einen geringen Teil des Energiebedarfs decken und dass die Abhängigkeit vom Öl weiterhin bei 40 Prozent liegt. Es handelt sich weitgehend um symbolische Politik – aber sie kann Wahlen entscheiden.

Ökologisch viel effektiver, aber nicht so populär, wäre eine konsequente Verkehrspolitik. Nach ihrem Wahlerfolg steht den Grünen ein vierter Ministerposten zu. Sie sollten versuchen, das Verkehrsressort zu erobern. Es würde das grün-ökologische Machtkartell in der Regierung abrunden – und außerdem wäre der jetzige Amtsinhaber Bodewig leicht zu verdrängen, hat er doch wenig aufs Gleis gebracht. Aber auch eine grüne Ministerin könnte schnell scheitern. Denn so wahnsinnig es ist, die Deutschen wollen nicht darauf verzichten, dass ein Aus-Flug nach Mallorca weitaus günstiger ist als ein Bahntrip in den Harz.

Renate Künast als Ökoengel der Fleischtheke – dies ist auch für Sozialdemokraten eine reizvolle Rolle

Apropos die Brocken des Hartz: Es gibt Themen, die bleiben kontrovers, was immer die Koalitionsverhandlungen ergeben. Dazu gehört die Arbeitsmarktpolitik. Die hohen Arbeitslosenzahlen haben der Union triumphale Zuwächse beschert. Und wie viele Menschen ohne Job sind – das wird alle Wahlen entscheiden, die demnächst in den Bundesländern anstehen. Die Hartz-Konzepte sind zwar radikal und weitgehend neoliberal, dennoch werden sie nur wenige neue Arbeitsplätze schaffen.

Die Kernfrage für die deutsche Gesellschaft bleibt: Wie verhalten wir uns zu den Arbeitslosen, die Opfer der Modernisierung sind und die eine hochproduktive Wirtschaft nicht mehr braucht? Bestrafen oder alimentieren wir sie? Diese Alternative wird nicht nur die SPD beschäftigen, sondern auch die CDU. Für die Grünen wäre es eine Chance, ihr Konzept der Grundsicherung endlich wieder aus den bleiernen Tiefen ihrer früheren Programme zu bergen.

Genauso jenseitig der Parteigrenzen ist ein anderes zeitnahes Thema: der Krieg gegen den Irak. Diese Gewissensfrage wird nicht nur die Grünen zerreißen, sondern auch Union und SPD.

DANIEL HAUFLER
ULRIKE HERRMANN