Schwere Finanzkrise in Brasilien

Brasilianischer Real sinkt auf Rekordtief. Doch mittlerweile ist nicht mehr nur der linke Präsidentschaftskandidat schuld

PORTO ALEGRE taz ■ Wieder einmal geht in Brasilien das Gespenst des Finanzcrashs um: Dreizehn Tage vor der Präsidentenwahl fiel der Real auf den historischen Tiefpunkt seit seiner Einführung vor acht Jahren. Ein Dollar ist nun 3,57 Reais wert, Ende August waren es noch 3,01. Seit Januar beträgt die Abwertung bereits 35 Prozent.

Als Hauptgrund galt lange die Favoritenrolle des Linkskandidaten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Doch nun ist auch die internationale Großwetterlage ins Blickfeld gerückt – mit rezessiven Tendenzen, steigenden Ölpreisen, sinkenden Auslandsinvestitionen, allgemeiner Abneigung gegen „riskante“ Anlageformen.

1994 und 1998 hatte die mit dem Real erreichte Währungsstabilität dem Sozialdemokraten Fernando Henrique Cardoso und seiner Mitte-rechts-Koalition zu ungefährdeten Wahlsiegen verholfen. Doch nun steht sein damaliger Kontrahent Lula so gut da, dass selbst die absolute Mehrheit in der ersten Runde nicht mehr ausgeschlossen scheint.

Bereits im Mai wurde Lulas Führungsposition für die Schwäche des Real verantwortlich gemacht, denn als Präsident – so die Logik der Analysten – werde die Ikone der Arbeiterpartei PT ein Schuldenmoratorium verkünden. Zwar glaubt inzwischen niemand mehr, Lula könne linksradikale Experimente versuchen, denn er hat hartnäckig an seiner Rolle als möglicher Begründer eines „Sozialpaktes“ gearbeitet. Immer mehr Unternehmer sprechen dem Exgewerkschafter das Vertrauen aus: Als Einziger habe Lula das Zeug zu einem Staatsmann, der Brasilien aus der derzeitigen strukturellen Krise herausführen könnte, meint etwa Eugênio Staub vom Elektrokonzern Gradiente.

Doch die Gefahr, dass es zu einem Offenbarungseid kommen könnte, steigt trotz des Rekordkredits über 30 Milliarden Dollar, den der Internationale Währungsfonds (IWF) Brasilien vor kurzem zugesagt hat, und zwar unabhängig vom Wahlsieger. Schuld daran ist vor allem die Staatsverschuldung, die parallel zur Real-Abwertung in die Höhe schnellt und im Juli bereits 61,9 Porzent des Bruttoinlandsprodukts betrug – 1994 lag dieser Wert bei 30 Prozent. Verschärfend kommt die vom IWF verordnete Hochzinspolitik hinzu, die das Wirtschaftswachstum fast zum Erliegen gebracht hat.

IWF-Chef Horst Köhler machte bereits deutlich, dass er in jedem Fall mit einer Fortsetzung der derzeitigen Wirtschaftspolitik rechnet. Und fügte hinzu: „Wir werden uns in keinem Fall von Brasilien abwenden.“ Lulas Gefolgschaft wird es mit gemischten Gefühlen vernommen haben. GERHARD DILGER