Kubanische Verhältnisse

In Venezuela beschuldigt die Opposition Präsident Chávez der Hetze gegen Journalisten. Außer Kraft war die Pressefreiheit allerdings nur während des kurzlebigen Aprilputsches

aus Caracas GERHARD DILGER

Vergangene Woche schlug Hugo Chávez wieder einmal zu – verbal. Bei der Eröffnung einer Schule in Caracas redete sich Venezuelas Präsident in Rage: Die großen Medien seien bis auf ein, zwei Ausnahmen von einer „putschfreudigen, faschistischen Perversion“ gekennzeichnet, „zu nichts nutze. Müll, Müll sind sie! Müll, nur Müll! Lügnerisch, pervers, unmoralisch!“

Solche immer wiederkehrenden Ausfälle haben Chávez den Ruf eingebracht, eine Bedrohung für die Pressefreiheit zu sein – denn immer wieder sehen sich seine Anhänger dadurch ermutigt, Journalisten der oppositionellen Medien tätlich anzugreifen. So geschehen drei Tage nach der Präsidentenrede: Mitten in der Hauptstadt attackierten acht bewaffnete Männer ein Team des großen Privatsenders „Globovisión“, schlugen den Chauffeur, rissen die Kamera an sich und „konfiszierten“ die Aufnahmen. Ähnliche Zwischenfälle gibt es fast jede Woche: Meist gehen Parteigänger des Präsidenten gegen Journalisten vor – manchmal aber auch oppositionelle Demonstranten.

Den „einschüchternden Schwarz-weiß-Diskurs“ des Präsidenten macht auch Antonio González von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Provea für die „soziale Gewalt“ gegen Journalisten verantwortlich. Außerdem werde dadurch „eine Stimmung geschaffen, in der die Selbstzensur gefördert wird.“ Im gleichen Atemzug stellt er jedoch fest: „Es gibt keine Zensur.“

Venezuelas ungewöhnliche Medienlandschaft spiegelt die Polarisierung der politischen Szene wider: Fast alle Medien haben sich auf die Regierung eingeschossen – sie sind das Sprachrohr jener Oligarchie, die Chávez 1998 an den Wahlurnen entmachtet hatte. Gemeinsam ist ihnen ein recht großzügiger Umgang mit den Fakten. Ihre Vehemenz erinnert an jene der – wenigen – oppositionellen Medien im sandinistischen Nicaragua der Achtzigerjahre, als etwa die Tageszeitung La Prensa offen den Krieg der Contras befürwortete. Zwischentöne finden sich nur vereinzelt, vor allem im Blatt Tal Cual des früheren Guerillero und Planungsministers Teodoro Petkoff. Eine ausgewogenere Position nimmt allein das Massenblatt Últimas Noticias ein. Die Regierung kontrolliert je einen Rundfunk- und Fernsehsender sowie die Agentur „Venpres“, die recht hölzern Propaganda verbreitet.

Am Montag druckte die größte Zeitung El Nacional auf der Titelseite ein langes Interview mit Jorge Fascetto, dem Vorsitzenden des Wiener „International Press Institute“ (IPI). Darin machte sich der Gast bereits zu Beginn seiner gemeinsamen Venezuela-Visite mit der „Interamerikanischen Pressevereinigung“ (Iapa) die Argumente des harten Oppositionsflügels zu Eigen: „Ihr Venezolaner seid auf dem Weg nach Kuba (…) Wenn dieser Prozess hier nicht unterbrochen wird, setzt Chávez sein revolutionäres Projekt fort.“

Differenzierter äußerte sich der Iapa-Vorsitzende Robert Cox, der die Meinungsfreiheit garantiert sieht. Das Schweigen der venezolanischen Anti-Chávez-Medien während des Putschversuchs vom 11. bis zum 14. April kommentierte der US-Amerikaner unmissverständlich: „Die Presse hat versagt, aus Angst oder aus anderen Gründen.“ Im Klartext: Monatelang hatte das mediale Quasimonopol die Stimmung für den Putsch heraufbeschworen und war folglich nicht bereit, ihr Projekt durch objektive Berichterstattung zu gefährden. Erst im Nachhinein hatten im April die Medien von dem Putsch berichtet. Der endete wegen der Brutalität der Putschisten in einem Fiasko, sodass der Präsident Chávez bereits nach 48 Stunden wieder in sein Amt zurückkehren konnte. Ins Visier der Putschisten rückten damals auch die neun unabhängigen Radio- und TV-Sender aus Caracas’ Armenvierteln: Der Radiojournalist Nicolás Rivera vom Stadtteilsender „Perola“ wurde verhaftet und gefoltert.

„48 Stunden lang haben die ökonomischen Eliten vieles von dem, was sie zu Recht an Chávez kritisieren, ins Groteske übersteigert“, sagt Menschenrechtler González. „Daher ist ihr Diskurs über Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit unglaubwürdig.“

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