Brüssel lässt nur scheinbar Luft

Währungskommissar Pedro Solbes will den Stabilitätspakt verschärfen. Zwar sollen die Euroländer nun erst bis 2006 statt bis 2004 ausgeglichene Haushalte erreichen, dafür sollen sie ihre Defizite nun jährlich verbindlich um 0,5 Prozentpunkte abbauen

aus Straßburg D. WEINGÄRTNER

In einer Mitteilung, die Pedro Solbes am Dienstagabend verteilen ließ, formuliert der Währungskommissar der Europäischen Union poetisch: „Der Zusammenbruch der Aktienmärkte, Kriegsgefahr im Irak und die US-Wirtschaft werfen einen Schatten auf die Weltwirtschaft.“ Dann allerdings stellt er sehr prosaisch fest: Die Wachstumserwartung von 3 Prozent für das kommende Jahr lasse sich nicht halten. Das Stabilitätsziel von 0,9 Prozent Neuverschuldung in diesem Jahr als Durchschnitt für die Eurozone sei jetzt weit verfehlt. Am Jahresende würden wahrscheinlich zwei Prozent Neuverschuldung zusammenkommen. Das ursprünglich angestrebte Ziel, dass ab 2004 in der Euro-zone keine neuen Kredite mehr aufgenommen werden sollten, lässt sich nach Solbes’ Überzeugung angesichts dessen nicht halten. Er schlägt deshalb vor, das Zieldatum um zwei Jahre bis 2006 zu verschieben.

Auf den ersten Blick zeigt sich der EU-Kommissar damit verständnisvoll gegenüber den vier Ländern, die er als Hauptschuldenmacher benennt: Deutschland, das dieses Jahr voraussichtlich die im Stabilitätspakt festgelegte Schwelle von höchstens 3 Prozent Neuverschuldung überschreiten wird, Frankreich, das inzwischen 2,6 Prozent statt der ursprünglich versprochenen 1,4 Prozent in diesem Jahr erwartet, und Italien, das sein Stabilitätsziel von 0,8 Prozent Neuverschuldung um einen Prozentpunkt verfehlen wird. Portugal hatte bereits letztes Jahr die 3-Prozent-Schwelle überschritten. Deshalb hat die Kommission am Dienstag ein Strafgeldverfahren gegen das Land eingeleitet.

Eine schadenfrohe Bemerkung kann sich Solbes bei allem Verständnis für die Konjunkturlage jedoch nicht verkneifen: In seiner Mitteilung, die nicht von der Kommission beschlossen, aber – wie auf dem Deckblatt vermerkt ist – mit Kommissionspräsident Romano Prodi abgestimmt wurde, kommt er nochmals auf die blauen Briefe für Portugal und Deutschland zu sprechen, die im Frühsommer auf deutschen Druck hin nicht verschickt wurden. Diese Frühwarnungen, die der Stabilitätspakt verlangt, seien „mehr als gerechtfertigt“ gewesen.

Und so sieht es auch nur auf den ersten Blick so aus, als gebe der Währungskommissar mit der Verschiebung des Zieldatums für das Ende der Neuverschuldung um zwei Jahre dem Druck der großen Schuldenmacher Deutschland, Italien und Frankreich nach, den Stabilitätspakt zu lockern. Denn in der Sache bleibt Solbes hart: Um mindestens 0,5 Prozentpunkte jährlich soll jedes Euroland künftig sein Defizit senken. Dieses Sparziel soll nicht – wie bislang das Zieldatum 2004 – ein zahnloses Lippenbekenntnis bleiben. Vielmehr sollen die Länder, die ihre Neuverschuldung nicht entsprechend reduzieren, Strafe zahlen. Sollte sich Solbes mit diesem Vorschlag bei den Finanzministern durchsetzen, hätte er also erreicht, dass der Stabilitätspakt nicht aufgeweicht, sondern gehärtet wird. Bislang mussten nur die Länder mit Sanktionen rechnen, deren Neuverschuldung 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes übersteigt.

Die Länder, die bereits jetzt in die Nähe dieser Marke geraten sind, werden bis 2006 mehr Disziplin aufbringen müssen, als die von Solbes unter Strafe gestellten 0,5 Prozent nahe legen. Vier Jahre lang 0,5 Prozent – damit könnte Deutschland seine Neuverschuldung bis 2006 keineswegs auf null bringen. Und schon das dürfte angesichts der Konjunkturlage nicht leicht zu schaffen sein.

Die Musterschüler der Eurozone in Sachen Sparsamkeit, Belgien und die Niederlande, reagierten verärgert auf die Vorschläge aus Brüssel. Sie fürchten, dass am Ende eine Mehrheit der Finanzminister gerne akzeptiert, dass der Stabilitätspakt durch die Fristverlängerung aufgeweicht wird. Solbes’ Vorstoß, die jährliche Spardisziplin zu verbessern, werde dagegen mit Sicherheit vom Rat abgelehnt.