Sozialisten erobern das Arbeitsamt

Die PDS-Bundestagsfraktion hat ihre Auflösung höchst offiziell den Vermittlern der Bundesanstalt für Arbeit mitgeteilt.160 Mitarbeiter sind auf Jobsuche. Viele fürchten wegen ihres Vorlebens eine Stigmatisierung auf dem Arbeitsmarkt

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Wolfgang Thierse forderte vor knapp drei Jahren die PDS auf, die Mitarbeiter der Bundestagsfraktion, Doris und George Pumphrey, zu entlassen. Der Grund: Der gebürtige US-Amerikaner und seine deutsche Frau, die vor der Wende für die Grünen-Fraktion gearbeitet hatten, waren wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit für eine fremde Macht“ zu je sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatten im Auftrag der Stasi die Grünen bespitzelt. Was dem Bundestagspräsidenten nicht gelang, haben nun die Wähler geschafft. Bis 15. Oktober muss das Paar, das seit 1991 den Pressespiegel erstellt, seinen Arbeitsplatz im Jakob-Kaiser-Haus, dem größten der drei Parlamentsbauten, räumen.

Nach der Wahlniederlage der PDS müssen nicht nur die 37 Abgeordneten ihren Hut nehmen, sondern auch die 160 Mitarbeiter der Fraktion und der Abgeordneten. Das entspricht der Insolvenz eines mittelständischen Betriebes. Deshalb hat die Fraktion dem Arbeitsamt ihre Auflösung gemeldet. Um Weiterbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen zu beschleunigen.

Reiner Oschmann, Pressesprecher der Bundestagsfraktion, befürchtet, dass ihr vorangegangener Job bei der Arbeitssuche ein „Stigma“ für die Mitabeiter sein könnte. „Leider. Trotz bester Qualifikation und hohen sozialen Gewissens.“ Als ein Sympathisant namens „Ossi“ im Büro des 54-Jährigen ehemaligen Chefredakteurs des Neuen Deutschlands anruft, um ihn auf seine Datscha einzuladen, lehnt Oschmann dankend ab: „Abwicklungsscheiß und Fulltime-Liquidation.“ Die Stimmung unter den Mitarbeitern beschreibt er mit vier Substantiven: „Betroffenheit, Enttäuschung, Ungläubigkeit, Fassungslosigkeit.“ Die meisten hätten geahnt, dass es „sehr eng“ werden würde. Aber mit dem „Worst Case“ habe kaum jemand gerechnet.

Vor den Büros liegen säuberlich zusammengebundene Unterlagen und Statistiken – beschriftet mit „Müll“ oder „Bitte entsorgen“. Hinter verschlossenen Türen rattern Papierschredder und auf den langen Gängen verliert sich die Stimme eines Mannes, der „Avanti Popolo“ singt. Ein Kampflied, das zur Büroleiterin von Fraktionschef Roland Claus passt. Die 47-jährige Bonnerin, die vorher bei der parlamentarischen Geschäftsführung der PDS beschäftigt war, gibt sich zuversichtlich. „In Berlin und Brandenburg kann die PDS durchaus eine Visitenkarte sein“, sagt sie, „nicht jedoch im Köln-Bonner Raum.“ Sie will vorerst bleiben und auf ihre langjährigen Verwaltungserfahrungen im Politikbetrieb setzen. Nur wenn sie in Berlin keinen Job finden sollte, will sie „alte Verbindungen in Bonn ausgraben“.

Sie hat aber auch einen Unterschied zu vielen Ostkollegen festgestellt. „Viele sind den Tränen nah. Aber wir haben alle schon mal einen Job gesucht.“ Keine Hoffnung auf eine Neuanstellung macht sich beispielsweise ein 51-jähriger Referent, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen will. „Was soll nach zehn Jahren in einem Tendenzbetrieb werden?“, fragt der Ökonom traurig. Und: „Ich kenne keinen über 50, der Arbeit hat.“

Doris und George Pumphrey hingegen, sie 53, er 56 Jahre alt, geben sich kämpferisch. „Wir haben schon so viele schwierige Situationen gemeistert. Wir werden auch damit klarkommen“, sagt Doris Pumphrey. „Der Kampf geht weiter“, ergänzt ihr Mann. Den ersten Gedanken nach dem Wahldebakel – nach Frankreich zu gehen, wo sie viele Jahre gelebt haben – haben sie vorerst auf Eis gelegt. Die sozialen Bedingungen seien in Deutschland einfach besser. „Wir werden uns aber auf jeden Fall noch stärker in der PDS engagieren“, kündigt Doris Pumphrey an. „Die Partei muss aufmüpfiger werden.“