Verlust der Privatheit

„Es war ein Albtraum“: Durch die Rasterfahndung geriet die deutsch-marokkanische Familie S. ins Visier von Polizei und Öffentlichkeit

von HEIKE DIERBACH

Sieht so die Frau eines fundamentalistischen Moslems aus? Claudia S. sitzt in Blue Jeans und rosa Business-Bluse vor den Journalisten, und erzählt, wie ihr Leben nach dem 11. September aus den Fugen geriet. Wie ihr Telefon abgehört, ihr Haus beschattet wurde, wie Polizisten an ihrem Arbeitsplatz auftauchten: Denn die Hamburgerin ist mit einem Marokkaner verheiratet, der am 3. Juli dieses Jahres unter dem Verdacht festgenommen wurde, einer islamischen terroristischen Vereinigung anzugehören.

Dass an den Vorwürfen gegen Abdelhak S. und sechs weitere Männer wahrscheinlich nichts dran ist, bestätigte inzwischen die Bundesanwaltschaft (siehe Bericht S. 8). Die Familie S. kämpft jetzt um ihre Rehabilitierung, und deshalb trat sie gestern vor die Presse. Betroffen ist neben Abdelhak S. auch sein Bruder Abdelkader: In seiner Buchhandlung „Attawhid“ in St. Georg sollte sich die Fundamentalistengruppe heimlich getroffen haben. Gegen ihn wird allerdings nicht ermittelt.

Auch gegen Claudia S. nicht – aber als Verfolgte fühlt sich die Journalistin, die für einen Hamburger Verlag arbeitet, dennoch. Sie sei nach dem 3. Juli „vom Glauben abgefallen“, wie schnell man ins Visier der Fahnder und der Öffentlichkeit geraten kann: „In unserem Treppenhaus lauerten die Journalisten. Und als die Polizei an meinem Arbeitsplatz erschien, haben das alle Kollegen mitbekommen.“

Nachbarn und sogar Eltern seien plötzlich misstrauisch geworden: „Es war furchtbar, wie schnell man auf einen bloßen Verdacht hin verurteilt wird.“ Ihr Mann glaubt gar, dass er das zerstörte Vertrauen nie wieder aufbauen kann – vor allem in seiner Heimat Marokko könne er sich erstmal nicht mehr blicken lassen: „Mein Foto war auch dort mit Namen in allen Zeitungen.“ Zum Glück hätten seine Eltern nichts davon mitbekommen.

Auch hier in Hamburg ringt Abdelhak S. um seinen Ruf: „Sie können gern alle in den Buchladen kommen, mit einem Dolmetscher, und sich die Bücher ansehen“, sagt er zu den Journalisten, „Sie werden dort keinen Fundamentalismus finden.“ Er habe höchstens einmal im Scherz gesagt, wenn es laut Staatsschutz fundamentalistisch sei, seine fünf Gebete am Tag zu verrichten, „dann bin ich auch Fundamentalist“. Die Männer, mit denen er eine Terror-Gruppe gebildet haben soll, kenne er zum Teil nicht einmal.

Seinem Bruder Abdelkader hat die Vermieterin die Räume des Buchladens gekündigt – mit großem Bedauern, weil er doch ein „ganz besonders angenehmer Mieter“ gewesen sei. Für seinen Rechtsanwalt Manfred Getzmann haben die Ermittlungsbehörden mit der übereilten Razzia „das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen vergiftet“ – und die Familie S. grundlos und gegen ihren Willen „in die Öffentlichkeit gezerrt“.