In der Weinschleife

Radeln zwischen Weinbergen, dort wo die „glücklichsten Menschen Deutschlands“ wohnen.Eine Säuseltour durch Weinfranken, im nördlichen Bayern, wo es dem Hessischen zugeht

von CHRISTEL BURGHOFF

Flüsse stimmen friedlich, heißt es, wenn sie nicht allzu breit, allzu tief, allzu aufgeregt daherfließen. Wie der Main an der Volkacher Mainschleife. Er umkurvt hier samt Nebenläufen, Tümpeln, Sandbänken einen einzigen großen Weinberg, seine Ufer säumen Gärten und Flussauen, eine naturbelassene Schönheit. Hier kappte man ihn seinerzeit vom Verkehrsstrom, ein Kanal erspart der Schifffahrt die Kurve um den Berg und dem Main den üblichen Wasserstraßenverbau. Und so abgehängt die Mainschleife nun ist, so still ist sie auch. Der Lärmsmog ist ganz weit weg.

Wir stehen mit unseren Fahrrädern an der Fähre zwischen Escherndorf und Nordheim und gratulieren uns zu der Idylle, in die wir geraten sind. Von gegenüber setzt sich die Fähre in Bewegung und entlässt einen einzelnen Radler. Zwar passen bis zu drei Pkws auf die Fähre, aber für 50 Cent fährt sie auch für jeden einzelnen Fußgänger. Ein Service aus einer anderen Zeit.

Wir reisen dem Wein hinterher, diesem trockenen fränkischen Silvaner, dem deutschen Traditionswein schlechthin, dem Bocksbeutel. Volkacher Kirchberg, Escherndorfer Lump, Nordheimer Vögelein. Dettelbacher Sonnenleite … Die alten Namen haben einen nostalgischen Touch. Sie erinnern an Zeiten, in denen im Bocksbeutelgebiet mehr Rebstöcke gepflegt wurden als in der Rheinpfalz oder in Rheinhessen. Berichte aus dem Mittelalter sprechen von 40.000 Hektar Rebfläche – gegenüber rund 6.000 Hektar, die heutzutage angebaut werden. Die Silvanerrebe selbst verlor ihre Vorrangstellung inzwischen an den Müller-Thurgau, sie macht nur noch ein Fünftel der fränkischen Weine aus. Mit französischen Weinen und nicht zuletzt mit Weinen wie dem Pino Grigio hat sich der Weingeschmack verändert. Geht der Niedergang des fränkischen Silvaners so weiter, dann ist es fast wie Artensterben.

Wir sind im Zentrum „Weinfranken“, im nördlichen Bayern, wo es dem Hessischen zugeht. Eine gute Gegend für eine Säuseltour mit vielen kleinen Weinpröbchen. Vom kleinen Bahnhof Seligenstadt bei Würzburg bis zu den Weinhängen am Fuße des Steigerwaldes haben wir rund 40 Kilometer geplant. Wohl wissend, dass auch homöopathisch dosiertes Verkosten in eine leicht beseligende Dauerstimmung versetzt, bremsen wir uns mit den Aktivitäten von vornherein. Und nicht zu vergessen: Wir sind zwar auf Silvaner gepolt, doch da gibt es neue Rotweinzüchtungen, es gibt die Obstbrände, alles will probiert werden.

Die Fähre setzt nach Nordheim über. Auch dieser Ort überrascht wie alle traditionellen deutschen Winzerorte mit mediterranem Flair. Winzerorte sind sonnenverwöhnt. Weinreben ranken sich an alten Gemäuern empor. In den Innenhöfen der Weingüter wird die Blumenpracht südländischer Pflanzen gepflegt. Hinter großen Toren liegen viele kleine Gärten Eden mit Palmen und Mandelbäumen und Oleander. Eingebettet in die reizarme Grafik der gezirkelten Weinberge wirken die Winzerorte und ihr Blumenreichtum um so üppiger. Die Häuser der alten Weingüter sind zumeist aus Stein gebaut, sie zeugen vom stabilen Wohlstand derer, die es früher nicht nötig hatten, mit Fachwerk zu bauen. Und es sich heutzutage leisten können, ihre Anwesen perfekt zu restaurieren.

„Glückliche Menschen“ sollen hier leben, recherchierte im Frühsommer der Stern. Nach einer bundesweiten Umfrage gehören die Menschen dieser Region zu den zufriedensten der Republik.

„Uns geht es gut“, sagt auch eine Biowinzerin. Obwohl Biowein erheblich mehr Arbeit mache als konventioneller Weinanbau, obwohl sich der Biowein gleichbleibend bei einem Prozent Marktanteil bewege. „Anfangs, das war vor 20 Jahren, galten wir hier als die grünen Spinner, heute sind wir etabliert, weil die Nachfrage da ist.“ Eine der Zauberformeln, mit denen die örtliche Fremdenverkehrswerbung die Region charakterisiert lautet „Bodenständigkeit.“

Obwohl diese Formel eher zum Wein gehört. Zum fränkischen Silvaner zum Beispiel. Ein natürlicher Wein, fruchtig bei wenig Säure, süffig. Ein „kerniger, urwüchsiger“ Wein, so begeistert sich ein Weinliebhaber, außerdem sei er „kraftvoll“ und „männlich“ wie die Bocksbeutelflasche, in die er traditionell abgefüllt wird. Die Bocksbeutelflasche nämlich, so die Legende, soll dem Hodensack des Ziegenbocks nachempfunden sein. Seit Jahrhunderten gilt der Bocksbeutet als Markenzeichen der Frankenweine. Man sagt diesem Wein nach, dass er vor gut 200 Jahren Herrn Goethe verführte: Der soll nach einer Weinreise ins Fränkische nur noch Frankenwein getrunken haben, mindestens drei Liter täglich.

Dieser Wein gehört zur fränkischen Küche. Im Gasthaus, in dem uns Dirndlträgerinnen begrüßen, kombinieren wir den Silvaner mit fränkischen Bratwürsten, Sauerkraut und Speck. Heftig, deftig.

Eine Steigerung fürs Weingefühl ist ohne Zweifel Sommerach auf der anderen Seite der Maininsel. Frankens „schönst gebautes Dorf“, so die Werbung, prunkt mit schmiedeeisernen und goldenen Verzierungen der Gasthäuser und Weingüter und mit viel perfekt präpariertem, altem Gemäuer. Es ist Weinfest. Der Ort ist geschmückt. Rot- und blau-weiße Wimpelnschnüre überziehen Tische und Bänke, die Buden für Wein und deftiges Essen und natürlich die Podien für die Volksmusiker.

Obwohl ziemlich im Norden wähnen wir uns hier eher tief in Bayern, wo Krachledenerne und Blasorchester den Ton angeben. „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, diesen urdeutschen Evergreen hatten wir schon lange nicht mehr gehört. Weintrinkers Genusssucht wird hier mit Brauchtum versüßt, sehr viel Brauchtum. Für später am Tag wird die Weinkönigin angekündigt. Ein Programm wie im Bilderbuch zum Fröhlichen Weinberg. Doch Klischee hin, Klischee her: Man feiert. Und bei aller touristischen Professionalität sicher nicht nur für Touristen.

Alles wird in dieser Region gefeiert: Die Spargelzeit, die Pilzzeit, die Karpfenzeit, der Federweißer, die Weinlese. Unter den rund 200 Festen Mainfrankens, die sich nur um den Wein drehen, bringt es allein die Volkacher Mainschleife auf über 20 sommerliche Weinfeste, hinzu kommen fast ebenso viele „Weinmärkte“ und dann noch die „Marktplatzkonzerte“. Und richtig sinnlich wird es im Herbst, wenn sich unter die Weinseligen die verführerischen Gerüche der Weinverarbeitung aus Kellern und Obstbranddestillen mischen …

Die Radtour am Main entlang geht auf ruhigen Straßen und neu angelegten Radwegen, durch Obstgärten und Spargelfelder, beidseitig des Flusses erheben sich die Weinberge. Es macht Spaß.

Auf dem Weg zum Steigerwald machen wir Halt in Volkach, dem Zentrum an der Mainschleife. Der Ortskern erinnert an die biedermeierlichen Idyllen des Malers Spitzweg, jede Mauerritze scheint Historie zu atmen. Vor allem in der Nachkriegszeit, als der Bocksbeutel als etwas Besonderes galt, war Volkach beliebt als Ziel Kulturschaffender. Zur Lebensart von Bonvivants gehörte es, sich diesen Wein zu leisten.

Dass sich etwa die „Schwane“ ein „Romantikhotel“ nennt, erscheint geradezu überflüssig: Man bewegt sich hier ohnehin zwischen ausgesuchten Antiquitäten. Das historische Ratsherrnfass im Keller ist allerdings längst nicht mehr in Gebrauch, die empfindlichen weißen Weine vergären heutzutage in hochmodernen Edelstahlfässern, temperaturgesteuert.

Erstaunlich ist dann aber doch, wie schnell das Wohlleben verblasst, wenn man den Main verlässt. Zum Steigerwald geht es über eine weitläufige Hochebene mit Äckern und Feldern. Ohne den entsprechenden Tipp wären wir am Bimbacher Schloss glatt vorbeigeradelt. Der Ort scheint verlassen, das Gasthaus hat aufgegeben, kein Geschäft weit und breit, touristenfreie Zone. So aber biegen wir in das Tor des alten Schlosses ein, stellen die Räder am Schlossteich ab und fragen nach Wein.

Im kühlen Gewölbe der Probierstube schmeckt der Silvaner besonders gut. Draußen brennt die Sonne, und Schwalben schwirren über dem See, an dem das alte Anwesen gelegen ist. Hier müsste noch viel renoviert werden, um so glanzvoll wie etwa Sommerach dazustehen. Allein das Dach decken zu lassen, habe so viel wie ein Einfamilienhaus gekostet, klärt uns die Gastgeberin auf, und es sei schwierig, die nötigen Mittel zu beschaffen. So liegt das Schloss wie verwunschen im berühmten Weingebiet. Man muss es kennen, um es zu finden.

Am Fuße des Steigerwaldes hat uns einige Kilometer weiter die Weinszene wieder. Gerade hier, wo der Wald beginnt, wo die Straße in eine Sackgasse mündet, wo man tote Hose vermutet, weil danach nichts mehr kommt, was sich mit Pkws befahren ließe, herrscht wieder das Flair eines Weindorfes mit Gasthäusern und Publikum. Oberhalb Handthals, auf Frankens höchstgelegenem Weinberg, blicken wir von der Ruine Stollberg hinunter auf die Mainebene. Ein weiter Blick. Ein friedliches Bild. Wir überdenken die Formel vom Fluss, der friedlich stimmt, und kommen zu dem Ergebnis, dass dazu auch der Wein gehört. Wo Wein produziert wird, gehen die Uhren einfach anders.

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