Ostdeutscher Wein auf Weltniveau

An Saale und Unstrut gibt es eine alte Weinkultur mit neuen Erfolgen. Denn der Wein aus Sachsen-Anhalt schmeckt immer besser und die einheimische, traditionsreiche Sektkellerei Rotkäppchen expandiert. Ein Besuch der Weinstadt Freyburg unter der Neuenburg und der Domstadt Naumburg

von BARBARA GEIER
und EDITH KRESTA

„Suche den Teufel und sein Schlafzimmer. Die Küche kenne ich schon“, lautet die Kontaktanzeige in der biederen Naumburger Lokalzeitung. Ein erstaunlich unkonventioneller Text für eine Region in der mausgrauen Provinz zwischen Halle und Jena. Wer hier nicht die A 9 verlässt, die sich von Berlin nach Nürnberg an dieser Stelle durch triste, flache Landschaft schlängelt, wird nie die verborgenen Hügel des Saale-Unstrut-Tals entdecken. Gepflegte Rebstöcke, grüne Flusswiesen, trutzige Burgen, aufgeräumte Dörfchen – das Tal von Saale und Unstrut ist deutsche Romantik pur. Oder wie es pfiffige Werbemanager nennen: die „Toskana des Nordens“ mit tausendjähriger Weintradition.

Lediglich 2,5 Prozent der Ernte sollen der Bevölkerung zu DDR-Zeiten als „Bückware“ zugute gekommen sein. Kein Wunder, dass man hier vor allem Bier trinkt. Seit der Wende aber geht’s bergauf. 1993, zwei Jahre nach dem Beitritt zum Deutschen Weinbauverband, stellt die Region mit Sandra Hake aus Freyburg erstmals die Deutsche Weinkönigin. „Sie war die erste Bewerberin, die Russisch sprechen konnte“, erinnert sich Wolfgang Wiegand stolz, der die Studentin entdeckt und gefördert hatte.

Der Freyburger Hobbywinzer, jahrzehntelang Laborchef der ortsansässigen Sektkellerei Rotkäppchen, muss es wissen. Keiner kennt Land und Leute, alte Zeiten und neue Gepflogenheiten so gut wie er. Als er seine Weinkönigin präsentierte, galt der Saale-Unstrut-Wein noch als exotisches Getränk, milde belächelt von der Konkurrenz an Rhein und Mosel. Dass neun Jahre später das ostdeutsche Anbaugebiet bei der Bundesweinprämierung auf einen Schlag 26 goldene, 15 silberne und zehn bronzene Preise gewinnen würde, hätte bei Branchenkennern damals vermutlich Lachsalven ausgelöst. Doch die Zeiten schlichter DDR-Produktion ist längst überstanden. „Die jungen Winzer heute bilden sich fort und arbeiten mit den neuesten Techniken“, erzählt Wiegand.

Auch den Aufstieg der alten Sektmarke Rotkäppchen hat Wiegand persönlich miterlebt, ein bisschen sogar mitgestaltet. Mitten in Freyburg, heute touristisches Zentrum der Saale-Unstrut-Region, liegen die über 100 Jahre alten Gewölbe der Rotkäppchen-Kellerei, in die sich täglich Busladungen von Besuchern ergießen. Sie bestaunen das riesige Cuvée-Fass, das 1896 aus 25 Eichen für 120.000 Liter Wein gezimmert wurde. Sie lassen sich durch die modrigen, nach Maische riechenden Gänge führen. Sie betrachten die Luxuskreation von Rotkäppchen, die handgerüttelten Sektflaschen mit den weißen Punkten am Boden, den Rotkäppchen-Champagner aus einheimischen Weinen, der so nicht genannt werden darf. Und sie verkosten live ein Glas Sekt.

Am Abend gibt es in Rotkäppchens Keller Sekt und Kultur, wenn regionale Stars auf der Kleinkunstbühne ihr Können zum Besten geben oder Manfred Krug aus seinem „Programm für Ossis, Wessis und Zusammenwachsende“ singt und liest. Im hundert Jahre alten Lichthof der Sektkellerei spielt gern die Musi auf: Volksweisen, aber auch Populärklassiker Justus Frantz, das texanische Jugendorchester aus Dallas oder der Trientiner Bergsteigerchor.

„Wir sind hier der Kulturmittelpunkt“, weiß Rotkäppchen-Gesellschafter und -Geschäftsführer Gunter Heise. „Die Stadt hat mit Rotkäppchen Glück. Wir machen Freyburg berühmt.“ Um dieser Berühmtheit gerecht zu werden, wird die ergraute Schönheit neu poliert. Überall wird gehämmert, gepinselt und gebaut. Die Naturschöne am Fuß der mittelalterlichen Neuenburg mausert sich zur Stadtidylle.

Rotkäppchen, das ist eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Zu dieser mittlerweile größten deutschen Sektfabrik gehören Marken wie Mumm und MM. Ein Fünftel aller 500 Millionen Sektflaschen, die deutschlandweit verkauft werden, stammen aus dem Hause Rotkäppchen. Der knappe Saale-Unstrut-Wein kann solche Mengen natürlich nicht füllen. Der Cuvée wird größtenteils aus südeuropäischen Weinen gemacht, nur im raren „Weißburgunder Extra Trocken bA. Saale-Unstrut“ finden sich die heimischen Reben wieder.

Teil regionaler Weinkultur bei Rotkäppchen ist auch die ehemalige Weinkönigin Nancy Boy, zuständig für Kommunikation, denn das hat sie in ihrer einjährigen Herrschaft über das Saale-Unstrut-Anbaugebiet erprobt. „Es ist anstrengend, Weinkönigin zu sein“, gesteht sie, „andauernd Empfänge und Wein. Aber es hat unheimlich Spaß gemacht.“

„Die tausendjährige Weintradition prägte hier nicht nur den Wein, sondern auch Land und Leute“, so der Prospekt des Weinbauverbandes Saale-Unstrut. Das erschließt sich nicht auf den ersten Blick, auch nicht unbedingt auf den zweiten in der Gastronomie. Im Hotel Unstruttal findet man durchaus einen gepflegten, einheimischen Schoppen und dazu köstlichen Rostbraten. Den aber in echt schwäbischer Tradition, denn von dort kommt die Wirtin. Die Küche hat einen Eintrag im Gault-Millau.

Das Hotel Rebschule, viel versprechend mitten im Weinberg gelegen, ist davon noch weit entfernt. Zwar bietet es von seinen Höhen einen wunderbaren Blick auf das Unstruttal, doch das Niveau der Küche liegt wesentlich niedriger.

Dicht hinter der „Rebschule“, hoch über Freyburg, liegt die Neuenburg. Sagenumwoben. Hier lebte die Heilige Elisabeth, vollbrachte Wunder und gute Taten, geliebt von ihrem Mann, gehasst von seiner Familie, die sie nach dessen Kreuzritter-Tod von der Burg verbannte. Jörg Peukert kann solche Geschichten auf Mittelhochdeutsch rezitieren. Mit seinem langen Pferdeschwanz und dem dichten Haupthaar scheint er einem Ritterspiel entstiegen. Er ist aktives Mitglied des „Vereins zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg“ und stellvertretender Direktor des Schlossmuseums. Wenn der Germanist Geschichte und Geschichten bei seinen theatralischen Führungen durch die Burg vorträgt, möchte frau gerne Ritterfräulein sein.

Fast wäre es um die Burg geschehen gewesen. Verrottet und verfallen, vernagelt und verschlossen bröckelte sie zu DDR-Zeiten vor sich hin. Nach der Wende ist sie auferstanden aus Ruinen, denn die Bürger Freyburgs wurden aktiv. Sie gründeten den rettenden Verein. Das Ergebnis kann täglich außer montags besichtigt werden. Die Burg gehört heute zur Straße der Romanik. „Dies hat uns sehr geholfen“, weiß Jörg Peukert. „Letzes Jahr haben wir 100.000 Besucher gezählt.“

Von der Neuenburg nach Naumburg. Den Weg schlug auch Hans-Jürgen Krieger ein. Der ehemalige Gesellschafter und Marketing-Chef von Rotkäppchen, nach eigenen Worten als „Wessi weggemobbt“, hat schließlich Aufgabe und Raum im Schatten des Naumburger Doms gefunden. Hier im Steinweg kreiert er seine eigene Marke: Bocks Espressobar, Bocks Restaurant und Bocks Schönheitssalon.

„Was macht man, wenn man bei Rotkäppchen weggeht? Mit Mitte fünfzig hat man noch genug Power, etwas Neues aufzureißen“, sagt Krieger. Von Kindheit an mit der Gastronomie vertraut, verwirklicht er sich heute selbst. „Der Steinweg war eine tote Straße. Wenn es eine Chance gibt, hier irgendetwas zu beleben, dann kann das nur in dieser Straße sein. So haben wir ein Haus nach dem anderen gekauft, denn diese Buden sahen fürchterlich aus.“ Krieger wollte seine „Qualitätsgastronomie“ nicht „neben Ruinen setzen, in denen Ratten fröhliche Feste feiern“. Acht Gebäude gehören nun ihm.

Stefan Weiland, Bürstenbinder von nebenan, gehört nicht zu denen, die ihm das neiden. Ihn interessiert vor allem, dass Touristen kommen. 180.000 marschieren jährlich auf dem Steinweg zum Dom. Einige bleiben in seinem Lädchen hängen. Touristen machen immerhin 95 Prozent seiner Kundschaft aus. Der enge Laden quillt über von selbst gezogenen Pilzbürsten, Gemüsebürsten, Schrankbürsten, Kratzbürsten, Staubwedeln bis hin zu industriell gefertigten Rasierpinseln und Fegern. Ein Bürstenparadies.

Der Bürstenbinder Weiland, einer der Letzten seiner Branche, arbeitete zu DDR-Zeiten im Untertagebau der Region. Dann kam die Umschulung zum Bürstenbinder. Er sitzt in dem schmalen Lädchen, fädelt die Borsten in den Holzgriff und erzählt von der Arbeitslosigkeit der Naumburger, die sich seine Qualitätsbürsten nicht mehr leisten können, von den steigenden Weltmarktpreisen für mongolisches Ziegenhaar, das er für seine wirkungsvollen und formschönen Staubwedel braucht, von Agavenfasern für die hitzebeständigen Töpfeschrubber, die durch die globale Lust auf Tequila immer teurer werden. Seine Bürsten jedenfalls und der Espresso bei Bocks, gebräut nach „Kriterien des geprüften Qualitätsmanagements“ sind die touristischen Höhepunkte des Steinwegs.

Und natürlich der 700 Jahre alte Dom. Wie heißt die Stifterfigur im Naumburger Dom? Uta, richtig! Diese notorische Frage in vielen Kreuzworträtseln ist oft das Einzige, was Westdeutsche von Naumburg kennen. Was sie nicht wissen: Bischofssitz seit dem 11. Jahrhundert, blühende Handels- und Messestadt im 15. und 16. Jahrhundert, eine so genannte Bachorgel in der Stadtkirche Sankt Wenzel, ein Haus, in dem Nietzsche mit seiner Mutter wohnte, und nicht weit weg der mittelalterliche Marktplatz, auf dem sich seit über 130 Jahren Taubenzüchter Deutschlands treffen.

Und natürlich hat auch Naumburg, in der Mitte des Naturparks Saale-Unstrut-Triasland sein traditionelles Weinfest am letzten Wochenende im August. Und wer immer noch glaubt, dass so hoch im Norden, so weit im Osten kein guter Wein wachsen kann, der sollte sich bei einem Glas vom Landesweingut Kloster Pforta, allein in diesem Jahr mit acht goldenen DLG-Preisen bedacht, eines Besseren belehren lassen.