Vertrackt-vergnügliche Kippspiele

Sinnhafte Phänomene ganz eigener Art, denen der vermeintliche Universalschlüssel psychoanalytische Lesart nur zur Hälfte gerecht würde: Eine diese Woche startende Reihe im Metropolis geht dem Verhältnis von Film und Traum nach

Interessant ist jedoch auch, was der Film mit dem Traum über sich selbst sagt.

von JAKOB HESLER

„Alles nur Traum?“, so fragt der Titel der Filmreihe im Metropolis rhetorisch. Naheliegende Antwort: natürlich nicht. Schon die Frage ist ja schief, denn was heißt hier „nur“? Träume sind keine Schäume, sondern sinnhafte Phänomene, wenn auch ganz eigener Art. Mit Freud: (zensierte) Wunscherfüllung. Ganz wie der Film, dachten sich einige dessen Theoretiker, und analysierten ihn fortan in Freudianesisch.

So reduzieren sie Kino aber oft auf Traumfabrik und infantile Selbstbefriedigung. Interessant ist jedoch nicht nur, was der Film über den Traum sagt, sondern auch, was der Film mit dem Traum über sich selbst sagt. Dieses selbstreflexive Potential erschließt sich gerade in den vermeintlichen Kinderfilmen der Reihe. Sie entpuppen sich als vertrackt-vergnügliche dekonstruktive Kippspiele – auch ohne Anwendung des psychoanalytischen Codes, dieses mythologischen Universalschlüssels, der einem esoterischen Dietrich manchmal verdächtig ähnelt.

Sherlock, Jr. (1924) ist vielleicht der lehrreichste Film über den Film, der witzigste allemal. Buster Keaton, ein unglücklicher Filmvorführer, schläft ein und träumt sich in den laufenden Film, den er im Wortsinn projiziert. Zunächst kommt er mit der Eigengesetzlichkeit filmischer Traumarbeit nicht zurecht, stolpert als Fremdkörper durch heimtückisch montierte Einstellungen: Der Schnitt wird sichtbar. Dann erhebt sich der Träumer selbst zum Helden, Busters absurdes Pech verwandelt sich in ebensolches Glück: eine gloriose Selbstentlarvung des Kinos als Wunscherfüllungsmaschine. Die Produktionsfirma des Films im Film heißt „Veronal Company“: Kino ist Opium fürs Volk. Und Keaton Aphrodisiakum fürs Stammhirn. Sogar das gute Erwachen als Rückkehr zum Realitätsprinzip unterwandert er noch. Als der erwachte Buster zum Happy End die Geliebte umarmen will, guckt er sich die nötigen Handgriffe vom Leinwandidol ab.

Da wirkt The Wizard of Oz (1939) schon ideologischer. Dorothy ist 12 und flieht vor Alltagskonflikten aus dem sepia-schwarz-weißen Kansas in eine Traumwelt aus Technicolor, köstlich opulentem Studionippes und Musicalmelodien, wo sie das Abenteuer Jugend symbolisch durchspielt, nach Besenstielen jagt und böse Hexen entmachtet. Zugegeben, für Psychoanalytiker ein gefundenes Fressen. Der Film-Traum endet wieder mit dem Aufwachen, in schwarz-weißer Wirklichkeit. Das staatstragende Fazit: There‘s no place like home! Aber auch The Wizard of Oz unterläuft die eigene belehrende Geste, denn ist er als Film nicht von der selben trügerischen Machart wie die Magie des Zauberers von Oz, der seine imposante Erscheinung einer Art kinematographischem Apparat verdankt, den die freche Dorothy entzaubert, was jeder Traum- und Filmdeutung spottet?

In John Boormans Point Blank (1967) interessiert nicht ein erzählter Traum, sondern die traummäßige Erzählweise. Sie dient zur psychologischen Aufheizung des brutalstmöglichen Rachefeldzugs von Lee Marvin als einer Art Kohlhaas der Unterwelt. Ähnlich traumartig Hitchcocks Vertigo (1958), wo aber vom Psycho-Score bis zur magisch glimmenden Optik alles auf atmosphärische Irreführung zielt. Wir sollen das Mystery-Szenario schlucken und uns mit Scottie (James Stewart) identifizieren, damit uns Hitchcock später dessen Fetischismus gegenüber Judy/Madeleine um so quälender als unseren eigenen gegenüber Kim Novak servieren kann. Als traumhafte Wunscherfüllung eben; egal, ob es sich dabei auch drehbuchlogisch um einen Traum handelt, wie das Metropolis meint.

Ähnliche Motive zeigt Edgar G. Ulmers B-Movie Detour (1945). Der Held trampt nach Kalifornien, wechselt seine Identität mit einem Toten und wird unfreiwillig zum Mörder. Der Film könne als Schuldtraum, die Off-Erzählung als Rationalisierung gelesen werden, so der Filmkritiker Andrew Britton. Das passt zu den surreal billigen Rückprojektionen und Nebelschwaden. Film noir ohne Glamour und Coolness, nur Leere, Schwäche, Zynismus. Ein schwärzeres noir kann man sich nicht vorstellen und sollte es deshalb keinesfalls verpassen. Noch ein Film noir über Tod und Identität: Otto Premingers Laura (1944), dessen Zusammenhang mit dem Thema die Programmacher sicher in der Einführung zum Film erläutern.

Sherlock Jr.: Mi, 2.10., 21.15 Uhr + Do, 17 Uhr; The Wizard of Oz: Sa, 17 Uhr, So, 21.15 Uhr + Di, 19 Uhr; Laura: Sa + 10.10., 19 Uhr, Mo, 17 Uhr + Di, 21.15 Uhr; Detour: 11.10., 17 Uhr, 12.10., 19 Uhr + 14.10., 21.15 Uhr; Vertigo: 11. + 12.10., 21.15 Uhr, 13.10., 19.15 Uhr + 15.10., 17 Uhr; Point Blank: 13.10., 21.30 Uhr, 14.10., 17 Uhr + 15.10., 19.15 Uhr; die Traum-Reihe wird im November fortgesetzt