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: Der neue Karasek ist da: „Karambolagen – Begegnungen mit Zeitgenossen“

Ich bin’s, Hellmuth!

Früher war Hellmuth Karasek ein so genannter Großkritiker: Leiter des Kulturressorts des Spiegels, Theaterkritiker, Kinokritiker, Literaturkritiker und Ende der Achtziger dann neben Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler Stammspieler im Literarischen Quartett des ZDF. Heute ist Hellmuth Karasek kein Kritiker mehr, sondern selbst ein Star, ein Promi auch außerhalb des Kulturbetriebes: Selbst „Blitz“- oder „Explosiv“-Gucker können dem Namen Hellmuth Karasek ein Gesicht zuordnen.

Allerdings ist Karasek noch nicht so weit, einfach nur Karasek sein zu können und bloße Präsenz walten zu lassen. Karasek gehört zu der Kategorie von Prominenten, die Gegenleistungen für ihre Prominenz liefert. Er repräsentiert sozusagen die hard workende B-Klassen-Prominenz, die sich ihren Aufstieg in die A-Klasse noch verdienen muss.

Also schreibt er Bücher: Erfolgsromane wie „Das Magazin“ und „Betrug“ oder Lexica wie „Mein Kino“ und „Kanonen auf Spatzen“. Sein neuestes Buch heißt „Karambolagen – Begegnungen mit Zeitgenossen“ und versammelt Kolumnen, die Karasek als Herausgeber des Tagespiegels in dessen Sonntagsbeilage geschrieben hat (und die er weiterhin schreibt, genug Stoff also für „Karambolagen II“). Thema der Kolumnen: Ich, Hellmuth Karasek. Thema dieses Buches folglich: Ich, Hellmuth Karasek. Konkreter formuliert: Wie ich Ulla Hahns Zukunft voraussah. Wie ich in Marilyn Monroes Bett schlief. Wie ich mit Otto Sander und Bruno Ganz finnisches Bier trank.

Allerdings hat Karasek seine Begegnungen nicht einfach nur kunterbunt in ein Buch reingepackt, so wie sie ihm auch gerade aus der Feder flossen, sondern er hat ihnen einen schlüssigen Bogen gegeben: Ich, Hellmuth Karasek, mein Leben. „Karambolagen“ lehnt sich so nicht zufällig an das Erinnerungsbuch seines Freundes und großen Vorbildes Marcel Reich-Ranicki an: „Mein Leben“. Ein Bestseller, wie wir alle einschließlich Karasek wissen. Auf einen zweiten Versuch kommt es in jedermanns Leben an.

Das von Karasek beginnt, als er 1938 im schon stämmigen Alter von vier Jahren Adolf Hitler auf dem Balkon des Wiener Hotels Imperial zujubelte und zu seiner Mutter sagte: „Mutti, er hat so wunderbare blaue Augen.“ Es folgen Begegnungen mit Heinz Rühmann, Theodor Eschenburg und Konrad Adenauer, Lehrjahre bei der Stuttgarter Zeitung und am Theater, schließlich der Sprung in die Gewichtsklasse von Kulturarbeitern wie Klaus Wagenbach, Billy Wilder oder Woody Allen. Beneidenswert das, immer der Rede wert.

Natürlich, das hat die Kolumnenform so an sich, da hilft auch keine Zeitleiste, lassen sich aus „Karambolagen“ nicht wirklich die Veränderungen der Bewegungsrichtungen dieses Lebens herauslesen, wie es der Klappentext verspricht.

Eine späte Begegnung, die vorletzte in diesem Buch, hat diesem Leben dann doch noch einen Sinn gegeben: Die mit einem Schaffner, der Karasek im Mai 2000 im Regionalexpress von Cottbus nach Berlin fragte, ob es für ihn eine Überraschung gewesen sei, den Nobelpreis bekommen zu haben? Der Schaffner hatte Karasek im Fersehen gesehen, wie dieser zur Preisverleihung an Günter Grass befragt wurde. Zapper’s Delight halt. Nicht aber für Karasek: „So traf ich Grass in mir selbst.“

GERRIT BARTELS

Hellmuth Karasek: „Karambolagen“, Ullstein 2002, 287 Seiten, 16,95 €