: Erfolgreich gescheitert
von BERNHARD PÖTTER
Drei Tage nach der Wahl kam der Warnschuss. „Oje, was grünt uns da?“, titelte die Bild-Zeitung am Mittwoch vor einer Woche: „Noch mehr Ökosteuer?“ Der Fraktionschef der SPD, Franz Müntefering, reagierte umgehend. „Es wird keine weitere Erhöhung der Ökosteuer geben“, stellte Müntefering fest, bevor die Verhandlungen zur Ökologischen Steuerreform (ÖSR) überhaupt begonnen hatten. Offiziell wird das Thema erst am nächsten Mittwoch behandelt.
Eine breite Debatte über die Ökosteuer wollen die rot-grünen Koalitionäre auf jeden Fall verhindern – zu schlecht ist das Image der Steuer. Bereits vor knapp zwei Jahren hatte sich nach der Kampagne von CDU, ADAC und Teilen der Wirtschaft gegen die „Ö.Ko-Steuer“ Bundeskanzler Gerhard Schröder festgelegt: Eine weitere regelmäßige Erhöhung der Ökosteuer nach dem 1. Januar 2003 werde es nicht geben. Diese Formulierung findet sich auch im SPD-Wahlprogramm. Und auch die Grünen haben erkannt, dass die Widerstände gegen eine Ökosteuer in ihrer jetzigen Fassung schwer zu überwinden sind.
Damit legt Rot-Grün einen zentralen Baustein des ökologischen Umbaus der deutschen Industriegesellschaft und ein finanzpolitisches Erfolgsmodell zu den Akten. Denn die Ökosteuer ist weitaus besser als ihr Ruf. Sie hat alle Erwartungen erfüllt, zeigen die Zahlen von Wirtschaftsforschungsinstituten, Finanzministerium und Umweltbundesamt (UBA).
So hat die Ökosteuer den Anstieg der Lohnnebenkosten gebremst. Die neue Steuer senkte 1999 zum ersten Mal den Anteil der Rentenversicherung am Bruttolohn, und zwar von 20,3 auf 19,7 Prozent. Bis 2001 sank der Anteil auf 19,1 Prozent. Jetzt führen schlechte Konjunktur und mehr Arbeitslose dazu, dass der Beitragssatz wieder auf 19,3 bis 19,5 Prozent klettern wird. Ohne die Ökosteuer wäre dieser Satz weitaus höher.
Die Ökosteuer zeigt nach Angaben des UBA „erste ökologische Lenkungswirkungen“. So meldeten Busse und Bahnen im Jahr 2000 erstmals wieder mehr Fahrgäste, auch die Nachfrage nach effizienter Technik und sparsamen Autos stieg. Die Emissionen aus dem Verkehr sanken 2000 um 1,1 Prozent, in 2001 um weitere 1,5 Prozent. Die privaten Haushalte lagen noch 1998 bei ihrem CO2-Ausstoß 8 Prozent über dem Niveau von 1990, heute liegen sie 11,5 Prozent darunter.
Die Ökosteuer schafft mehr Jobs als sie kostet. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und anderer Institute entstehen durch die steuerliche Entlastung der Unternehmen netto zwischen 100.000 und 250.000 Arbeitsplätze.
Die Ökosteuer sorgt für eine massive finanzielle Entlastung der deutschen Wirtschaft. Weil das produzierende Gewerbe nur ein Fünftel der Ökosteuer zahlt sowie durch Ausnahmen für energieintensive Unternehmen, bekommen diese mehr Geld zur Senkung der Lohnnebenkosten, als sie an Ökosteuer zahlen. So belaufen sich die Ausnahmen für die Firmen laut Subventionsbericht der Bundesregierung 2002 auf 4,2 Milliarden Euro. Trotzdem bekommen die Unternehmen im Jahr 2002 etwa 7 Milliarden Euro zur Senkung der Rentenversicherung, zahlen aber insgesamt nur 5,7 Milliarden Ökosteuer.
Gewinner der Ökosteuer sind daher vor allem das verarbeitende Gewerbe (plus 952 Millionen Euro), der Dienstleistungssektor (plus 726 Millionen) und der Staat (1,3 Milliarden). Nach der Modellrechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaft (RWI) hat die ÖSR eher zur Stärkung als zur Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geführt. Selbst private Verbraucher, die mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr am stärksten belastet sind, profitieren nach Berechnungen des UBA von der Senkung der Lohnnebenkosten. „Immerhin ist die Ökosteuer die einzige Steuer, bei der der Einzelne durch effizienteren Umgang mit Energie seine Abgaben legal mindern kann“, sagt Ingrid Hanhoff, Ökonomin am UBA.
Lob gibt es für die Ökosteuer von vielen Seiten. Außer von den Grünen und den Umweltverbänden auch vom Sprecher des Wirtschaftsministeriums. „Eigentlich ist das Prinzip honorig und die Ökosteuer volkswirtschaftlich das richtige Instrument“, sagt er. Trotzdem ist Wirtschaftsminister Werner Müller gegen die Fortsetzung der Steuer, weil „das Signal für die Wirtschaft in der augenblicklichen schlechten Wirtschaftslage Gift ist“. Steuern heißen eben Belastung der Firmen, kommentieren reflexartig auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bund der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Diskussion um die Ökosteuer. Von einer Entlastung der Betriebe wollen sie nicht sprechen. Und sie warnen davor, den privaten Haushalten die Kaufkraft zu entziehen. Dass die Verbraucher nicht weniger Geld haben und durch sparsameren Umgang mit Energie sogar noch etwas verdienen könnten? Gegen solche „Globalrechnungen“ habe man „Vorbehalte“, heißt es vom BDI.
Manchmal allerdings verlieren bei dem Thema auch die Konzernlenker den Überblick. Opel-Chef Carl-Peter Forster etwa verlor im März eine Wette gegen Wirtschaftsminister Müller. Forster hatte behauptet, Opel werde durch die Ökosteuer belastet. Er ließ nachrechnen und musste eingestehen: Durch die Senkung der Nebenkosten sei „tatsächlich eine Nettoersparnis entstanden“.
Trotz dieser guten Argumente für die Ökosteuer findet sie in der Regierung kaum Verteidiger. Kanzler Schröder fürchtet, dass eine weitere Anhebung der Ökosteuer ihre soziale Schieflage vergrößern könnte. Beamte, Selbstständige, Arbeitslose, Rentner und Sozialhilfeempfänger werden durch die Zuschüsse zur Rentenversicherung nicht entlastet, zahlen aber die höheren Preise. Doch gerade diese Gruppen wurden durch die Finanzierung der deutschen Einheit begünstigt, weil sie die „versicherungsfremden Leistungen“ nicht mittragen mussten. Und die Erhöhung der Nettolöhne führt mit Verzögerung auch bei diesen Gruppen zu höheren Einkommen. Das aber sei schwer zu erklären, fürchtet vor allem die SPD.
Denn das Grundproblem der Ökosteuer ist ihre schlechte Vermittelbarkeit. „Nach realen Preisen ist Benzin heute so teuer wie 1960“, sagt Kai Schlegelmilch, Ökosteuer-Experte beim Umweltministerium. „Aber die Menschen an der Tankstelle sehen oft weder das noch ihre Entlastung durch die niedrigen Rentenbeiträge noch die Chance, Energie und damit Kosten zu sparen. Sie sehen meist nur den gestiegenen Preis.“
Die Ökosteuer ist zu wenig „öko“, fand auch das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie bei Befragungen von Bürgern. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass „die ökologischen Ziele der ÖSR sinnvoll und verständlich erschienen. Die arbeitsmarktpolitischen Effekte der Reform hingegen wurden weitenteils nicht verstanden oder als sekundär bewertet“. Es gebe eine relativ hohe Bereitschaft der Verbraucher, Geld für Umweltpolitik auszugeben, aber „die geringe Akzeptanz der Ökosteuer ist eher im mangelnden Verständnis der Funktionsweise, im geringen Vertrauen in die Politik und in der Kritik an der Ausgestaltung der Reform begründet“.
Die schönste und effektivste Steuerreform nützt also nichts, wenn die Menschen sie nicht verstehen. Die Wuppertaler Wissenschaftler kommen daher zu dem Schluss, dass die Ökosteuer nach ihrem Ende auf EU-Ebene 1992 „in Deutschland ein zweites Mal gescheitert ist“. Das „einfache verbrauchssteuerliche Konzept“ habe sich im „Verhau des politischen Kampfes verfangen“ und als „populistisch ausbeutbar erwiesen“.
Nach dem Scheitern der Ökosteuer fordern die Grünen nun eine „ökologische Finanzreform“, die das System von Steuern und Abgaben einem Umwelttest unterzieht. Dazu gehören auch klassische umweltpolitische Maßnahmen: eine höhere Steuer auf Heizöl etwa, deren Aufkommen in die Sanierung von Altbauten fließen könnte, um den Energieverbrauch zu senken und den Geldbeutel zu schonen. Der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Reinhard Loske, schlägt ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor, um den Abschied von der Ökosteuer („das zentrale umweltpolitische Steuerinstrument von Rot-Grün“) zu kompensieren. So soll nach seinen Vorstellungen die Kfz-Steuer in Zukunft nicht nach Hubraum, sondern nach CO2-Ausstoß berechnet werden. Die Bahn soll für ihre Tickets nur den halben Mehrwertsteuersatz bezahlen, um die Fahrpreise zu senken. Wenn Firmen wie bisher von der Ökosteuer ausgenommen werden wollen, sollten sie dafür ökologische Gegenleistungen erbringen: „Wer den ermäßigten Steuersatz zahlen will, muss sich verpflichten, am Emissionshandel der Wirtschaft teilzunehmen“, so Loske. Der europaweite Handel mit Verschmutzungslizenzen, den deutsche Unternehmen bisher ablehnen, soll das Mittel sein, um den Klimaschutz in der EU voranzubringen.
Vor allem aber zielen die Grünen auf den Abbau von umweltschädlichen Subventionen. Auch dort hat die SPD den dicksten Brocken bereits für sakrosankt erklärt, bevor die Verhandlungen richtig losgehen: die Steinkohlesubventionen. Aber auch sonst ist die Liste der ökologischen Sünden mit der staatlichen Gießkanne lang. Das UBA hat in einem „keineswegs vollständigen Überblick“ Subventionen wie die Eigenheimzulage, die Fahrtkostenpauschale, Begünstigungen für Wohneigentum, geringere Steuern auf Dieselkraftstoff und die Steuerbefreiung des Flugbenzins aufgelistet. Pro Jahr verzichtet der Staat hier auf Einnahmen von etwa 30 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: Momentan sucht der Finanzminister verzweifelt nach 10 Milliarden Euro, um das Haushaltsloch zu stopfen.
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