Vergangenheit ist nie vorbei

Die spitzen Pointen, die kommen meist hinterrücks, die Lieder sind leise, die Stimmen sanft, die Gesten winzig und die Dialoge knapp: Mit „malediva leuchtet“ arbeiten Malediva in der Bar jeder Vernunft die Tristesse der Provinz ab, aus der sie kommen

von AXEL SCHOCK

Wer in der Provinz aufwachsen musste, schleppt sie ein Leben lang mit sich herum. Manche arbeiten dies erfolgreich öffentlich ab. Tetta Müller und Lo Malinke taten dies beispielsweise in ihren ersten beiden Chansonprogrammen „Schaulaufen“ und „Große Kundsd“. Zwei Bühnenabende voll mit kleinen fiesen Geschichten aus dem Leben mit Kühen und schlechten Busverbindungen im Bergischen Land. So ganz aber sind die bösen Erinnerungen an die Tristesse noch nicht verblasst.

Auch wenn es in ihrem neuen Programm „malediva leuchtet“ hauptsächlich um die allermenschlichsten Dinge – die Liebe und das Streben nach Glück geht: Die Vergangenheit ist nie vorbei. Und so singen Malediva von boshaften, großen, fetten Kusinen, die den Nachbarskindern die Finger brachen. Von Mutter, die so stolz darauf ist, dass sie einst als Göre von Hitler geküsst worden war. Und von der Verschwörung der dicken Mädchen, die bald die Weltherrschaft übernehmen werden – und alle sofort erschießen, die sich beim Italiener einen kleinen Salat bestellen.

Die große Kunst von Malediva besteht darin, die feine Gratwanderung zwischen ironisch gebrochenem Realismus und ihrer grotesken Überzeichnung zu vollbringen. Ihre genauen Beobachtungen des Alltags komprimieren die beiden zu punktgenauen, sprachlich spitz geschliffen Geschichten und Liedern. Die Boshaftigkeit zeigt dabei stets ein mildes Gesicht und das Kratzen in den Wunden geschieht stets mit einem verständnisvollen Lächeln. Und die Pointen, die kommen meist leise, hinterrücks.

Maledivas Lieder sind Popsongs fürs Herz, und solche mit ziemlich langer Halbwertszeit. Schon jetzt haben Malediva mindestens ein halbes Dutzend Lieder für die Chansonewigkeit geschrieben. Nicht nur, wie ihre Texte voll schillernder Poesie stecken, die den Mut zum Sentiment wagen, ohne den Kitsch zu streifen. Sondern auch, weil ihre Geschichten immer wieder ins Absurde abgleiten, sie geradezu groteske Bahnen wählen. Da kommen 91-jährige Altersheimbewohnerinnen durch stolpernde Tanzbären ums Leben, Leni Riefenstahl und Idi Amin werden ein glücklich Paar und Pommeskartoffeln lehnen sich gegen ihr drohendes Friteusenschicksal auf.

Gerade einmal vier Jahre lang gibt es das Duo Müller/Maline und ihrem begnadeten Komponist und Pianist Florian Ludewig. Mit ihren ersten beiden Programmen haben sich Malediva schnurstracks an die Spitze der deutschen Kleinkunstszene gespielt, fast jeden erdenklichen Preis abgeholt und ein stattliches Stammpublikum gewonnen. Eigentlich verwunderlich in Zeiten, wo sich Brachialhumor und flachbrüstiger Comedy-Spaß vermeintlich das Maß der Heiterkeit bestimmen. Denn reduzierter als Malediva kann man ein Chanson-Kabarett-Programm kaum abliefern. Sitzen hier doch zwei androgyne Wesen fast unbewegt auf ihren Barhockern, singen mit sanften Stimmen eher leise Lieder und begnügen sich mit winzig kleinen Gesten und sehr knapp gehaltenen Dialogen.

Malinke und Müller sind auf der Bühne ein Paar, das sich liebt und neckt. Das sich aber auch auf intelligente, wortgewandte und bisweilen heimtückische Art und Weise kabbelt und triezt. Das die Peinlichkeiten des anderen arglistig ausplaudert, um den Partner vor den Zuschauern bloßzustellen. Zwei Männer, die perfekte Projektionsflächen liefern. Das Bühnenpaar Lo und Tetta ist offen für jede Interpretation. Aufs Notwendigste reduziert liefern sie poetisch überhöht die Essenz der menschlichen Existenz zwischen Alltagswahn und Liebestaumel. Wenn Samuel Beckett auch Chansonprogramme geschrieben hätte, vielleicht hätten seine Protagonisten Lo und Tetta geheißen.

Bis 16. Oktober, Di–So 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf