Zwangsweise

Jeder, der Sozialhilfe bezieht, kann von Amts wegen zum Arbeiten verpflichtet werden. „Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nachzukommen, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.“ (Paragraf 25 des Bundessozialhilfegesetzes) In einem ersten Schritt wird die Hilfe um 25 Prozent gekürzt, nach drei Monaten komplett gestrichen. So genannte gemeinnützige und zusätzliche Arbeit wird als eine Form solcher zumutbaren „Maßnahmen“ angesehen.

Wer wird herangezogen? Das Sozialamt kennt vier Kategorien, nach denen die Hilfesuchenden „sortiert“ werden. Kategorie I: Die Person hat ohne Hilfestellung eine Chance auf dem Arbeitsmarkt und wird an das Arbeitsamt verwiesen. Kategorie II: Sie braucht leichte Hilfestellungen und kann an eine Qualifizierungsgesellschaft vermittelt werden. Kategorie III: Die Person kann mit Hilfe wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Für sie wird eine passgenaue Maßnahme gesucht, um sie zu motivieren, sie beruflich zu orientieren und zu qualifiziern. Und Kategorie IV: Die Person kann auch mit Hilfestellung mittelfristig nicht an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Erste Möglichkeiten: Maßnahmen zur Tagestrukturierung, gemeinnützige zusätzliche Arbeit, Orientierungskurse.

Die Eckdaten: Gezahlt wird den zur Arbeit verpflichteten Sozialhilfeempfängern neben der Sozialhilfe kein Lohn, sondern eine pauschale „Aufwandsentschädigung“. Die Entschädigung liegt meist zwischen 50 Cent und zwei Euro pro Stunde. Auch für die Arbeitszeiten sind die Grenzen klar abgesteckt. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 1989 braucht kein Sozialhilfeempfänger länger als achtzig Stunden im Monat gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hatte ein Sozialhilfeempfänger versucht, seine Mehrarbeit“ einzuklagen. Statt der zulässigen achtzig Arbeitsstunden im Monat waren ihm bis zu 239 Stunden abverlangt worden – und das über einen Zeitraum von fast drei Jahren. Der Kläger war verpflichtet worden, Müll einzusammeln. Vor Gericht argumentierte er, dass nur achtzig Stunden als gemeinnützige und zusätzliche Arbeit angesehen werden könnten. Alles, was darüber hinaus ginge, müsse nach Tarif bezahlt werden. Außerdem stünden ihm Weihnachts- und Urlaubsgeld zu. Die Richter entschieden, der Kläger habe keinen Anspruch auf Lohn im Nachhinein. Immerhin habe er die Arbeit mehr oder weniger freiwillig geleistet. (AZ: 7 Sa 1515/00)

Beispiel Essen: Im Essener Stadtrat war die gemeinnützige und zusätzliche Arbeit eine Zeit lang heftig umstritten. Kritik an der SPD-Linie übten Grüne und PDS, unterstützt von der Gewerkschaft ÖTV. Mit den Sozialhilfeempfängern würden billige Arbeitskräfte zur Erfüllung kommunaler Standardaufgaben missbraucht. Die Grünen im Stadtrat rieten den Betroffenen, gegen die Verpflichtung zu den so genannten „Zweimarkjobs“ zu klagen: Den Kommunen würde der Nachweis kaum gelingen, weshalb das Müllsammeln ein Beitrag zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt darstellen solle.

Beispiel Offenbach: Bei 314 Sozialhilfeempfängern wurde überlegt, sie zur gemeinnützigen Arbeit zu verpflichten, 178 wurden tatsächlich herangezogen. Mageres Fazit des Arbeitsberichts 2000: Ein Großteil war wegen Krankheit und Ähnlichem nicht verfügbar, 105 Hilfeempfängern wurden die Leistungen gekürzt oder gestrichen. Lediglich bei 26 Sozialhilfeempfängern wurde eine „Anschlussmaßnahme angebahnt“, also der Status quo gehalten. MARTIN MAIER