Härter geht nicht

Viele fordern härtere Strafen für Sexualstraftäter. Der Fall des Bremers Axel W. zeigt: Das geht kaum. Dem Krebskranken geben Ärzte noch drei Monate. Möglich, dass er die in Gefangenschaft erlebt

Käme er jemals frei – die Nachbarn würden sich vor Axel W. ekeln und ihre Kinder vor ihm verstecken. Axel W. ist verurteilter Sexualstraftäter. Vor 16 Jahren wurde der heute 46-jährige ehemalige Gastwirt und Fischbrater wegen Missbrauchs an einem 12-jährigen Mädchen zu viereinhalb Jahren Haft und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt – zur sogenannten Maßregel. Seither sitzt er auf einer geschlossenen Station im Zentralkrankenhaus Ost. Möglich, dass er dort bald stirbt. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte geben ihm noch drei Monate. Seit über zwei Monaten liegen sein Gnadengesuch und ein Antrag auf Entlassung wegen Haftunfähigkeit beim zuständigen Gericht auf der langen Bank. „Die lassen mich nur mit den Füßen zuerst hier raus“, sagt Axel W.. Sein Anwalt, Hans Meyer-Mews, schäumt: „Hier soll die Maßregel an einem Sterbenden offenbar über den Tod hinaus vollzogen werden.“ Axel W. trifft die volle Härte des Gesetzes.

„Maßregel an einem Sterbenden“

Als pädophiler Straftäter und Therapiefall mit Wiederholungsrisiko kam der damals 30-Jährige 1987 in die geschlossene kriminalpsychiatrische Abteilung des ZKH Ost, die so genannte Forensik. Bis zum letzten Tag des Prozesses, der ihn dort hin brachte, hatte der Angeklagte betont, dass er die Tat im Suff begangen habe. Er hatte eine 12-Jährige und deren 17-jährige Schwester in seine Wohnung gelotst und ihnen Cola-Weinbrand gegeben. Es folgten Pfänderspiele, Tatschen und Streicheln – bis der Angeklagte die Jüngere mit einem Dildo verletzte. Das Mädchen schrie. Geriet in Panik. Kind und Stuhl kippten. Das Mädchen erlitt innere Verletzungen. An den Folgen einer Infektion wäre es fast gestorben. Ein erschütterndes Szenario, das Gutachter damals – professionell und distanziert – widersprüchlich bewerteten. Die einen sprachen von „einer Art Unfall“, der sich „aus einer spielerischen Situation heraus“ ereignet haben könnte. Andere bewerteten das Geschehen und den Einsatz von Alkohol als zielgerichtet. Doch auch sie stellten fest, dass Axel W. nicht zu Gewalttätigkeit, Aggressivität oder Sadismus neige – auch wenn der „eindeutig Pädophile“ gegenüber Opfern wenig Mitgefühl zeige und seine Taten bagatellisiere. Anwälte, die sich an den Fall Axel W. erinnern, sagen: „Wenn der sich damals nicht so uneinsichtig angestellt hätte, wäre er kaum in der Psychiatrie gelandet.“

Axel W. war zur Tatzeit polizeibekannt: Dreimal vorbestraft – wegen Betrügereien. Allerdings waren zwei Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden, beide wegen Verdachts auf Kindesmissbrauch. Dann geschah das Unfassbare: Die Ermittlungen liefen noch, PsychologInnen sprachen noch mit den traumatisierten Schwestern, da exhibitionierte Axel W. sich mehrfach vor Kindern. Seit dem Urteil lebt er – bis auf eine kurze Zeit im Knast – in der Klinik. Er könnte der erste Bremer Sexualstraftäter werden, der dort auch sterben muss.

Alle Anstrengungen seines Anwalts Hans Meyer-Mews, Axel W. nach Jahren in Gefangenschaft aus der geschlossenen Psychiatrie in eine gelockerte Maßnahme zu bringen, sind erfolglos geblieben. Das Anwalts-Argument, dass die Verhältnismäßigkeit von Strafe und Tat von Jahr zu Jahr weniger gegeben sei, wiesen Gerichte und Gutachter bislang fast durchgängig zurück. Erschwerend kam hinzu, dass W. in der Klinik schon lange als Therapieverweigerer gilt. Er selbst sagt: „Die lassen mich ja sowieso nicht raus.“

Ärzte übernehmen für Verweigerer kein Risiko

Tatsächlich übernehmen Ärzte für niemanden Verantwortung, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Zudem gilt der kleine Mann mit dem nervösen, hektischen Auftreten als Querulant. Vom Rechtsratgeber bis zum Fachbuch hat er alles über den Maßregelvollzug gelesen. „Er berät darüber auch Mitgefangene“, sagt ein Gutachter. Auch hat W. aus seiner Wut übers Weggeschlossen-sein wenig Hehl gemacht. „Wartet, wenn ich rauskomme, was ich mit dem Richter mache“, drohte er vor Dritten. Eine Sachbearbeiterin beschimpfte er per Brief, als es um das Besuchsrecht seiner Töchter ging. Bei begleiteten Ausgängen lief er mehrfach weg. Jetzt käme er höchstens in Polizeibegleitung raus. Das lehnt er ab – und so blieb er die letzten sechs Jahre auf Station. Blankes Klinik-Linoleum, viel Glas und Beobachtung, überall Schlösser und Gegensprechanlagen. Vielleicht bis zum letzten Tag.

Immer mehr Männer bleiben länger drin

Dass die Zeichen für Männer wie ihn nicht auf Freiheit stehen, weiß Axel W. schon lange. Mit jeder Sexualstrafttat, die in der Zeitung stand, sah er seine Chance sinken. Mit jeder zumal, die ein Sexualtäter mit einschlägigen Vorstrafen und Hafterfahrung beging – in Bremen zuletzt der „Freigänger“ aus Oslebshausen, der im letzten Jahr eine Prostituierte umbrachte. Richter weisen Sexualstraftäter zunehmend in die Kriminalpsychiatrie ein – und wie überall bleiben sie auch in Bremen länger drin. In den nächsten Jahren will das ZKH Ost seine Plätze in der Forensik deutlich erhöhen. In wenigen Monaten auf 80, später auf mehr. Bald sind es doppelt so viele wie noch Mitte der 90er Jahre. Draußen toben unterdessen weiter Debatten um Verschärfung. So in der Bremischen Bürgerschaft. „Der Täter muss die Schwere der Tat fühlen“, forderte dort der CDU-Justizpolitiker Thomas Röwekamp. „Sexueller Missbrauch an Kindern ist immer ein Verbrechen.“ Der Schutz der Opfer stehe über den Rechten der Täter.

Das damalige Opfer von Axel W. ist heute 36 Jahre alt. Höchst wahrscheinlich leidet es noch unter der Tat. Der Täter hat seine zwei Töchter seit der Tat nicht mehr gesehen. Minderjährige Mädchen haben im Leben des Mannes dennoch eine Rolle gespielt. Sogar in Haft. So brachte eine Frau, zu der er als Brieffreund Kontakt bekam, ihre Tochter mit in die Besuchszelle des Oldenburger Knastes. Vor der 14-Jährigen kamen sich Häftling und Frau näher. Gutachter hatten auch deshalb ihre Warnungen immer erneuert. Während zweimaliger Fluchten hat Axel W. sich aber nichts zu Schulden kommen lassen.

Große Hoffnungen auf Freiheit machte sich Axel W. im letzten Jahr. Sein Anwalt hatte Beschwerde eingelegt, nachdem die Richter ihn bei der alljährlichen Prüfung seines Falls weiter in der Maßregel behalten wollten – obwohl das Gutachten zweier erfahrener Sachverständiger das nicht hergab. Darin hieß es nämlich, dass von Axel W. zwar weiter pädophile Delikte zu erwarten seien, „zunächst im Sinne der Nutzung pornographischen Materials, dann als Exhibitionismus vor Kindern und auf längere Sicht als weitere Steigerung auch in Form sexueller Handlungen vor und an Kindern, wie vollendete Onanie ...“ Doch den weiteren Forensik-Aufenthalt rechtfertigt das nicht, zumal Gutachter schrieben, dass der Verurteilte für zukünftige Straftaten „strafrechtlich voll verantwortlich“ sei. Er gehe bewusst vor, wisse aber nach dem langen Klinikaufenthalt genau, „worauf er sich einlasse und was ihm drohe.“ Also intervenierte der Verteidiger: Damit sei die Maßregel hinfällig, die eine „schwere, unkontrollierbare seelische Abartigkeit“ voraussetze. Doch die Gutachter durften nachbessern: Nur unter dem Einfluss der Klinik sei W.s Steuerungsfähigkeit gegeben, nicht etwa allgemein – wie sie missverständlich geäußert hätten. Auch sei W. nur „für weitere Straftaten pädophilen Charakters innerhalb des Maßregelvollzugs“ verantwortlich. Warum sie allerdings dann – als gäbe es doch einen Spielraum – geschrieben hatten, dass nur das Gericht über die Verhältnismäßigkeit der weiteren Maßregel gegen W. entscheiden könne, klärten die Gutachter nicht mehr auf. Ein Fehler, wie später die Generalstaatsanwaltschaft befand. Die begründete auf zehn Seiten ungewöhnlich detailliert, warum ein ein solch unkonkretes Gutachten nicht reiche, um einen Verurteilten länger als zwölf Jahre in einer psychiatrischen Klinik zu behalten. Richter müssten nachvollziehbar feststellen, „ob die vom Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag“, rügte auch das Oberlandesgericht und übertrug die Beschwerde gegen die weitere Maßregel ausnahmsweise einer Bremerhavener Kammer. Schon der Generalstaatsanwalt hatte dies befürwortet, „um dem – im vorliegenden Fall nicht unverständlichen – Misstrauen des Verurteilten gegenüber den Richtern Rechnung zu tragen.“ Dann entschied auch die Vollstreckungskammer Bremerhaven: Axel W. muss drinnen bleiben. Sie folgte einer Gutachter-Prognose, wonach W. in Freiheit schwere Straftaten aufgrund seiner Veranlagung begehen würde.

„Mit jedem Gutachten wurde er gefährlicher“

„Mit diesem Gutachten stirbt er jetzt“, sagt Anwalt Meyer-Mews. Er bleibt dabei: „Mit jedem Gutachten wird mein Mandant als noch gewalttätiger eingestuft.“ Es hätte doch immer nur um Lockerung gehen sollen.

Jetzt geht es bald um die letzten Lebensstage. Den Antrag auf krankheitsbedingte Entlassung seines Mandanten hat er vor zehn Wochen gestellt. Der zuständige Generalstaatsanwalt aber hält bei W. eine Entlassung für nicht möglich – weil die Gefährdung der Allgemeinheit durch W. nicht ausgeschlossen werden könne. In seiner Beschwerde dazu schrieb Meyer-Mews: „Mit Verlaub: Eine Gefährdung der Allgemeinheit durch Ihre Person, sehr geehrter Herr Oberstaatsanwalt, kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für jede beliebige andere Person auch.“ Dies genüge nach Maßstäben des Verfassungsgerichts nicht, um einen Sterbenden weiter einzusperren. Vielmehr müsse Gefährlichkeit eindeutig prognostiziert werden.

Zuständig im weiteren Verfahren ist wieder die Kammer, die Axel W. auch mit dem missverständlichen Gutachten hinter Gittern behalten hätte. Nachdem sich wochenlang nichts getan hat, hat der Anwalt jetzt einen Befangenheitsantrag gegen die immer wieder zuständige Vollstreckungskammer gestellt, die eine rechtskräftige – und damit anfechtbare – Entscheidung bislang nicht traf. Eva Rhode