berliner szenen Konditorei Cafe 2002

Familiäre Probleme

Irgendwann musste es ja mal passieren. Die Fassaden rund um den Arnimplatz sind längst alle piekfein saniert, das Fassbier in den Schultheiss-Eckkneipen schmeckt nach Warsteiner, die dünnen Brikettschwaden der letzten Kohleöfen riechen auch nicht besonders nach Wiedererkennungswert. Doch plötzlich war auch der zentrale Identitätskern des Kiezes bedroht: die Ost- Schrippe. Die alteingesessene Bäckerei gegenüber backt sie schon seit Kaisers Zeiten. Jeden Monat hält ein riesiger Mehl-Tankwagen in unserer Straße und schüttet die Zutaten kubikmeterweise durch einen staubigen Schlauch in den Keller der Backstube. Okay, auch der vietnamesische Spätkauf an der Ecke hat mittlerweile „Brötchen“ im Angebot, aber na ja, „Brötchen“ eben. Der Markt war doch eigentlich perfekt segmentiert: links Schrippen und Gebäck, rechts Schnaps, BZ und Bier.

Doch dann eröffnete direkt zwischen Spätkauf und Bäckerei plötzlich die Filiale einer Backshopkette aus dem Wedding. Das geräumige „Konditorei Cafe 2002“ bietet Stehtische, Musik aus Deckenlautsprechern, ja sogar eine Fototapete mit Schwarzwaldmotiven: Erlebnisgastronomie! Und Dumpingpreise – die Schrippe für 10 Cent. Die unsichtbare Hand des freien Marktes wird’s schon richten, dachte sich wahrscheinlich die Westberliner Konzernzentrale. Doch die netten türkischen Verkäuferinnen in ihren roten T-Shirts mit Firmenlogo hatten nicht viel zu tun. Wie eh und je gruppierten sich die Nachbarn beim Kiezbäcker zur Warteschlange. Das hieß für mich: täglich billige Schrippen – ohne Wartezeit. Doch jetzt ist schon wieder Schluss damit. Seit zwei Wochen ist das Erlebniscafe „wegen familiärer Probleme vorübergehend geschlossen“.

ANSGAR WARNER