Solaranlagen auf den Müll

Photovoltaik-Pläne für stillgelegte Deponien: In den nächsten Jahren müssen hunderte Mülldeponien geschlossen und versiegelt werden. Die riesigen Flächen lassen sich kaum vernünftig nutzen, aber für Photovoltaikanlagen wären sie ideal

„Solche Nutzungen drängen sich auf – nur fördern muss man sie noch“

Fritz Raab, Prokurist der Verwertungs- und Abfallentsorgungsgesellschaft mbH (EVA) im bayerischen Erbenschwang, findet Photovoltaikmodule auf einer stillgelegten Mülldeponie ausgesprochen gut platziert: „Es gab eine ganze Menge Gründe, die für unsere Anlage gesprochen haben.“ Die Fläche scheidet für normale Nutzungen aus, sie ist umzäunt und bewacht und verfügt obendrein über einen Anschluss an das Hochspannungsnetz, weil das unter ihrer Oberfläche gärende Methan zur Stromerzeugung genutzt wird.

Das Deponiegas wird allerdings in absehbarer Zeit erschöpft sein, und dann kann die in zwei Abschnitten (Dezember 2001 und Februar 2002) in Betrieb genommene 66-Kilowatt-Anlage den Betriebsstrom decken helfen, der unter anderem für die Sickerwasserreinigungsanlagen benötigt wird. Wirtschaftlich interessanter ist hier allerdings die Einspeisung zu dem vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierten Tarif – für die Ökobilanz macht das aber keinen Unterschied.

Aus all diesen guten Gründen übernimmt die bayerische Landesregierung nach Raabs Angaben auch 50.000 der insgesamt 370.000 Euro teuren Investition. Dieser Beschluss fällt angesichts der bei den politisch Verantwortlichen sonst eher reservierten Haltung gegenüber Solarstromanlagen auf freiem Feld zwar aus dem Rahmen, wird von Branchenvertretern aber erwartungsgemäß begrüßt: „Solche Nutzungen drängen sich auf, nur fördern muss man sie noch“, sagt Wolfgang Dollinger, Vorstandsmitglied der SES 21 AG. Die Weilheimer Firma hat den ersten Bauabschnitt der Anlage realisiert, den zweiten übernahm nach hartem Preiskampf die Gehrlicher Umweltschonende Energiesysteme GmbH aus München.

Die Erbenschwanger Deponie ist trotzdem ein Ausnahmefall. Sie verfügt nämlich über genügend große Flächen mit nur rund fünf bis sechs Prozent Gefälle, und so konnten die Module einfach – und standesgemäß – auf den aus Recyclingkunststoff gefertigten Montagewannen „ConSole“ der Firma Econergy befestigt werden. Sehr häufig aber sind die Bedingungen komplizierter: „Es ist technisch nicht so trivial, wie es zunächst scheint“, sagt Hans Martin Bucher, Geschäftsführer der Stuttgarter Voltwerk AG, die auf der Suche nach geeigneten Flächen für ihre hektargroßen „Solarparks“ auch schon die eine oder andere Deponiefläche untersucht hat. Der von Voltwerk geplante, knapp 600 Kilowatt leistende Solarpark Söchtenau kam auf einer ehemaligen Bauschuttdeponie unter, „und das war auch nicht ganz einfach“, wie Bucher berichtet.

Hausmüllkippen aber bergen oft noch weit größere Schwierigkeiten: Ihre Flächen weisen nicht selten Gefälle bis 40 Grad auf, der Untergrund ist alles andere als tragfähig und kann sich über die Jahre um einige Meter setzen. Gängige Montagesysteme sind hier nicht geeignet. Modulwannen würden abrutschen, Verankerungen aber verbieten sich von selbst: Die Müllberge sind mit Folien abgedeckt, die keinesfalls beschädigt werden dürfen.

Nachdenken über dieses Problem lohnt sich auf jeden Fall, denn schon jetzt bieten nicht mehr genutzte Müllkippen reichlich Platz. Durch die Neufassung der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (TASI) mit ihren strengeren Kriterien für die Ablagerung wird zudem ein Großteil der noch bewirtschafteten 474 Deponien spätestens im Jahr 2005 geschlossen. Ob ein kleiner Teil dieses Riesenpotenzials womöglich nicht, wie von der TASI gefordert, begrünt, sondern mit Solarmodulen bedeckt werden könnte, sollte zumindest überlegt werden.

Bleibt indes das Problem der Abdeckfolie, für das die TASI aus gutem Grund keine Kompromisse vorsieht. Eine Lösung zeichnet sich aber auch hier ab, denn die Ettlinger ELS Genius GmbH, eine mit Bau- und Ingenieurdienstleistungen befasste Tochter der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, hat ein speziell für Mülldeponien konzipiertes Montagesystem entwickelt und mit einer 10-Kilowatt-Anlage auf der Deponie des Landkreises Karlsruhe in Bruchsal auch bereits seit letztem Oktober in Betrieb. Die 96 monokristallinen 110-Watt-Module von Würth Solar haben den ersten Winter zur Freude der Ingenieure genauso gut überstanden wie ihr Unterbau.

Den Anstoß für das Projekt lieferte interdisziplinäre Kooperation. ELS Genius-Geschäftsführer Willy Zumak ist auch in der Leitung der Betreibergesellschaft der Bruchsaler Deponie tätig, und als ELS dann 1999 den Bau der Dünnschicht-Modulfabrik von Würth in Marbach betreute, kamen Photovoltaik- und Baufachleute schnell ins Gespräch über die jeweiligen Arbeitsgebiete. So entstand die Idee für das inzwischen patentierte Montagesystem.

Es besteht aus drei Komponenten: Die Modulhalter sind über ein Kugelgelenk mit einem Gewindestab verbunden, der wiederum mit einem Standfuß aus PEHD (Polyethylen hoher Dichte) verschraubt wird. Jeweils drei Standfüße tragen ein Modul. Auf diese Weise entsteht eine Konstruktion, die nicht nur bestehende Unebenheiten, sondern auch nachträgliche Verwerfungen des Untergrunds ausgleichen kann, ohne dass die Module unter Spannung geraten. „Ein dreibeiniger Tisch steht immer stabil“, meint Zumak zu dem einfachen Grundprinzip.

Damit nicht jeder Standfuß einzeln in Stellung gebracht werden muss, sind je sechs von ihnen – also zwei Module – auf einem ebenfalls aus PEHD bestehenden Bodenstück vereint. Auch die Abdeckfolien der Deponien sind aus PEHD, und so können die Trägereinheiten am Aufstellort leicht per Schweißverbindung fixiert werden. Die weiteren Bodenplatten lassen sich über eine Verzahnung leicht zueinander positionieren; die Module liegen rund 15 Zentimeter über dem Boden mit zwei bis drei Zentimetern Seitenabstand – und zwar, wie Zumak versichert, „unverschiebbar“. Die Gewindestäbe erleichtern die Nivellierung und erlauben auch eine nachträgliche Höhenkorrektur. Kiesschüttungen zwischen den Modulstrings können als Wartungsstraßen und zur Kabelverlegung dienen sowie gleichzeitig die Beschwerung gewährleisten.

Bei der Bruchsaler Anlage macht das Montagesystem nach Zumaks Schätzung etwa acht bis zehn Prozent der mit rund 120.000 Euro reichlich hohen Gesamtkosten aus, was aber keineswegs die letzte Entwicklungsstufe sein soll: „Wir gehen davon aus, dass sich das wesentlich reduzieren lässt.“ Dafür bedarf es natürlich vor allem höherer Stückzahlen, doch die Chancen zu deren Erreichung stehen wohl gar nicht schlecht. Die Möglichkeit, ausgerechnet Müll als Fundament zur umweltfreundlichen Stromerzeugung zu nutzen, scheint zu gefallen. „Es gibt zumindest viele Anfragen“, meint Zumak mit Blick auf die in nächster Zeit anstehenden Besichtigungstermine. JOCHEN SIEMER