Friedensszene unter sich

Fast täglich mobilisieren derzeit in New York die Initiatoren des Aufrufs „Not in Our Name“ zu Aktionen gegen den Irakkrieg. Eine richtig große Protestbewegung ist das bislang noch nicht

aus New York EVA SCHWEITZER

„Bush: Ein Mann ohne Augen, ohne Lippen, ohne Hals, ohne Gehirn, ohne gewählt, ohne legitimiert zu sein, ein Parasit“, ruft Tony Kushner in den vollen Saal hinein. Der Saal jubelt. „Eine Million Mal soll Gott verhindern, dass ich werde wie Bush, Cheney, Scharon, Hussein … die Engel im Paradies rasieren sich den Busch aus Protest gegen den Krieg.“ Kushner, der New Yorker Bühnenautor („Homebody/Kabul“, „Angels in America“) zählt zu den mehreren dutzend US-amerikanischer Promis, die die Kampagne „Not in Our Name“ (Nion) mittragen – nicht in unserem Namen (www.nion.us).

Im Saal der Cooper Union in New York drängeln sich mehr als tausend Besucher. Vorne, auf der Bühne, scheint es ein bisschen, als seien die Sechzigerjahre wiedergekehrt. Pete Seeger – weißhaarig geworden – trägt „If I Had a Hammer“ vor, zur Gitarre, das Publikum summt mit. JoJo Gonzales und Jessica Hagedorn singen „Your Tears Have Dried, My Country“. Drei Schauspieler – darunter Wallace Shawn – stellen ein Hearing vor McCarthys Ausschuss für unamerikanische Umtriebe nach. McCarthy zieht den Kürzeren. Zum Schluss kommen alle noch einmal auf die Bühne und lesen, angeführt vom Hollywood-Starlet Marisa Tomei, den Aufruf vor. „Lassen wir es nicht so weit kommen, dass man sagt, die Menschen in den Vereinigten Staaten wären untätig geblieben, als ihre Regierung einen uneingeschränkten Krieg verkündete und strikte Maßnahmen der Repression einführte.“

Nion ist eine Initiative der linken Bewegung gegen den Irakkrieg. Nun ist die Linke in den USA arg geschrumpft seit dem Ende des Krieges in Vietnam. Aber unter Bush scheint langsam wieder so etwas wie eine Protestbewegung zu entstehen: „Wir wollten eigentlich, dass eine Zeitung unseren Aufruf als Gastkommentar bringt, aber die New York Times und die Washington Post haben das abgelehnt“, erzählt Jeremy Pikser, einer der Initiatoren. „Aber der englische Guardian hat es gedruckt. Daraufhin haben sich tausende Unterstützer gemeldet, und so konnten wir es uns leisten, ein Stück Pressefreiheit zu kaufen und eine Anzeige in der Times zu schalten.“

Seitdem geht es rund bei „Not in Our Name“. Mehr als 4.000 Menschen haben unterschrieben, darunter so illustre Namen wie Oliver Stone, Robert Altman, Laurie Anderson, Claes Oldenburg, Noam Chomsky, Angela Davis, Gloria Steinem, Martin Luther King II, Jane Fonda, Terry Gilliam, Susan Sarandon, Gore Vidal und Kurt Vonnegut. Der Aufruf richtet sich nicht nur gegen den Angriffskrieg gegen den Irak, sondern auch gegen die israelische Besetzung des Westjordanlandes, die Einschränkung der Bürgerrechte in den USA und die Internierung tausender von Muslimen, die mit der Internierung von japanischstämmigen Amerikanern während des Zweiten Weltkriegs verglichen wird. „Was für eine Welt wird das sein, in der die US-Regierung praktisch Blankovollmacht besitzt, überall und wo immer sie will, ihre Bomben abzuwerfen, ihre Militärkommandos oder Mörder einzuschleusen?“, fragen die Verfasser.

Donnerstagabend war die Widerstandsgala in der Cooper Union, am Freitagnachmittag trat der grüne Präsidentschaftskandidat Ralph Nader bei einer Ralley an der Wall Street auf – Motto: Schützt „Main Street from Wall Street“ (etwa: Schützt die einfachen Leute vor dem Finanzkapital). Für Sonntag wird zu einer Kundgebung im Central Park aufgerufen. Aber wie viele US-Amerikaner – über die linke Szene in New York, Washington und Los Angeles hinaus – sind tatsächlich gegen einen Krieg? Umfragen zufolge hat Bush mehr als 60 Prozent Zustimmung – allerdings nur, wenn er die Unterstützung der Vereinten Nationen hat. Einen Krieg im Alleingang lehnen nicht nur zwei Drittel der US-Amerikaner ab, sondern auch die meisten großen Zeitungen.

Inzwischen gibt es auch konservative Stimmen gegen den Krieg, etwa der frühere Pentagon-Berater Leslie Gelb, der auf einer Veranstaltung der Zeitschrift New Yorker warnte, dass der Einsatz eine Kettenreaktion im Mittleren Osten in Gang setzen könne. Und New York Times-Kommentator Thomas Friedman, der kürzlich im Radio als Experte Stellung nahm, machte die Erfahrung, dass alle Anrufer gegen den Krieg waren.