: Schwestern im Unglück
Drei sind einer zu viel – zumindest dann, wenn‘s um eine Liebesbeziehung geht. Goethe untersucht den fiesen Dreier in „Stella“. Im Stadttheater Bremerhaven ist aus dem Klassiker ein packender Theaterabend geworden
“Männer, Männer! Sie machen uns glücklich und elend!“ Das ist nicht von Doris Dörrie, sondern Originalton Goethe. Im ausverkauften Kleinen Haus des Stadttheaters startete am Wochenende „Stella. Ein Schauspiel für Liebende.“ Zu sehen sind ein glänzend aufgelegtes Ensemble und eine packende Inszenierung, in der Tempo und Intensität bis zum Schluss gehalten werden.
Georg Immelmann gelingt ein Drahtseilakt: Er kürzt Goethes frühes Drama gewaltig, streicht alle Nebenfiguren bis auf die Postmeisterin (souverän: Christel Leuner) und schält die Grundkonstallation heraus. Zwei Frauen sind von demselben Mann verlassen worden. Der Zufall will, dass sich alle drei treffen.
Da ist die Gattin Cäcilie (Hella- Birgit Mascus), die für ihre Tochter Lucie (Mareike Gries) eine Anstellung bei der allein lebenden Stella sucht. Stella (Heike Eulitz) hat ihren Geliebten seit Jahren nicht gesehen. Die beiden Frauen erkennen sich schon im ersten Gespräch als Schwestern im Unglück, noch ohne zu wissen, dass sie denselben Mann verloren haben. Da ist Fernando (Ulrich Gall), der aus irgendeinem Krieg zurückkehrt und sich plötzlich beiden Frauen gegenübersieht. Der Regisseur, der auch das Bühnenbild verantwortet, deutet die wechselnden Schauplätze mit sparsamsten Mitteln an: Auf der offenen Bühne stehen im Halbkreis mehrere große, bewegliche Spiegelwände, in ihrer Mitte befindet sich ein hölzernes Podest, vielseitig verwendbar, mal Esstisch (im Posthaus), mal Empfangsraum in Stellas Villa oder großes Bett.
Das Spiel mit diesen wenigen Elementen ermöglicht fließend-elegante Überleitungen zwischen den Szenen des Stücks. Es lenkt die Aufmerksamkeit ohne Umwege aufs innere Geschehen der Beteiligten, auf die permanenten Spiegelungen und Selbstbefragungen, auf die heftige Verwirrung der Gefühle, die das unerwartete Wiedersehen bei allen auslöst. Stellas nie geheilte Wunde bricht auf, sobald sie den Geliebten erkennt. Glaubhaft zeigt Heike Eulitz den grellen Moment der Entdeckung und Freude, das seltsame Überkippen der Gefühle, wenn alle Sicherheit verloren geht.
Viel gefasster reagiert Cäcilie. Sie ist die Ältere und scheint mehr über die Männer zu wissen. Der Mann, sagt sie, ist ein Gefangener. „Er wird aus seiner Welt in die unsere herübergezogen, mit der er im Grunde nichts gemein hat.“ Was hat Fernando von den Frauen begriffen? Georg Immelmann lässt Ulrich Gall sehr reduziert auftreten. Der Mann übt sich – durchaus distanziert – in Posen, in Bekenntnissen und Beschwörungen. Man kann und muss nicht unbedingt nachvollziehen, dass dieser Typ so viel Verwirrung stiftet, denn wichtig ist allein sein Bild in den Köpfen der Frauen.
Also gibt es gar keinen authentischen Mann in diesem Stück? Also ist auch der ein Lügner, der – halb entkleidet – mit Stella im Bett liegt und sie „Engel des Himmels“ nennt? Stella: „Wir glauben den Männern. In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst.“
Fernando verspricht beiden Frauen alles. Es ist schließlich die Ältere, die den Knoten zu lösen versucht, ohne auf Selbstmord als zeitgemäßen Ausweg zurückzugreifen. Cäcilie schlägt eine Ehe zu dritt vor. Sie erzählt zur Rechtfertigung eine alte Geschichte, die damit endet, dass zwei Frauen und ein Mann ihr Leben teilen, „Wohnung, Bett und Grab“. Hella-Birgit Mascus macht aus diesem schwierigen Moment eine ergreifende Ansprache, die alle Stärke der klugen und von ihrem Schmerz gezeichneten Frau bündelt. Was bedeutet das? Eine lebbare Alternative? Vorschein einer anderen Welt? In den Augen der Tochter - Mareike Gries als junges, schnippisches Mädchen: eine Illusion. Sie schüttelt bloß den Kopf, wenn sie die drei „Alten“ in gemeinsamer Umarmung sieht.
„Stella“: Ein Spiel über und mit starken Gefühlen, eine Inszenierung, die unter die Haut geht, die Fragen zurücklässt: Was ist Glück zwischen Männern und Frauen? „Glück?“ lässt Goethe Fernando fragen. Er gibt keine Antwort.
Hans Happel
Stadttheater Bremerhaven, Kleines Haus, Vorstellungen am 9., 12., 18., 25., 30. Oktober
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