„Hier zahlt man nur drauf“

Packen wir’s an: Berlins Kultursenator Thomas Flierl über die Fehler, die er in seinen ersten Monaten im Amt machte, warum er keinen Grund sieht, zurückzutreten, und über seine künftige Sparpolitik

Interview HENRIKE THOMSEN

taz: Herr Flierl, seit Sie zu Jahresbeginn Ihren Posten antraten, sind Ihre politischen Handlungsspielräume immer geringer geworden. In der Sommerpause hat Ihnen der Finanzsenator mit einer Haushaltssperre endgültig die Hände gebunden. Müssten Sie nicht ehrlicherweise aufgeben und zurücktreten?

Thomas Flierl: Da übernehmen Sie aber die Logik des Finanzsenators und schneiden den politischen Handlungsspielraum allein auf Zahlen zu. Die Diskussion um Profil und Aufgaben von Kultureinrichtungen muss weiter geführt werden. Wir brauchen einen Dialog mit der Öffentlichkeit, dem Bund und innerhalb der Koalition. Wir wollen daher als Nächstes ein Forum Kultur etablieren, dass die verschiedenen Problemfelder aufreißen soll. Wir werden Experten und Macher aus dem Kulturbereich einladen, über die verschiedenen Probleme in Theater, Musiktheater und all den anderen Gebieten zu sprechen und natürlich auch nach Lösungen zu suchen. Wir werden dabei auch frühere Konzepte zur Kenntnis nehmen. Es ist ja schon vieles angepackt und fallen gelassen worden hier in Berlin.

Sie nehmen für sich in Anspruch, wenigstens die richtigen Fragen zu stellen. In der Praxis glich Ihre Politik jedoch einem unsicheren Tasten. Erst kündigten Sie Kürzungen in der freien Szene Berlins an, beim Kulturzentrum Podewil und dem Künstlerhaus Bethanien zum Beispiel. Nach Protesten nahmen Sie die Spargebote aber wieder zurück.

Ich halte es grundsätzlich für gut und richtig, dass wir im ersten halben Jahr keine Strukturmaßnahmen aus dem Stegreif beschlossen haben. Die Sparmaßnahmen in Höhe von knapp 25 Millionen Euro, die wir im Haushalt 2002/2003 erbringen sollen, wurden als pauschale Minderausgaben vorgesehen. Sie sind vorerst also ein Druckmittel im Kulturhaushalt. Es hat aber keine übereilten Entscheidungen im großen Bereich gegeben. Die Entscheidungen über das Künstlerhaus Bethanien, das Podewil und die Kunst-Werke waren teilweise richtig und teilweise nicht durchdacht; dort haben wir sie zurückgenommen. Wir haben da sicher Fehler gemacht, auch in der Kommunikation mit der eigenen Verwaltung, als wir Vorschläge teilweise unabgestimmt an die Öffentlichkeit geraten ließen. So sind wir ins Handgemenge mit einer Szene geraten, die mir kulturell ja eigentlich viel näher steht.

Es blieb der Eindruck, als wollten Sie bei den Kleinen sparen, was Sie den Großen nicht zu nehmen wagten. Es hat ja auch Pannen bei der Finanzierung der freien Theater gegeben.

Ich bedaure, dass Gelder, die durch das Ende der Subventionen für das Schlosstheater und das Hansa-Theater frei wurden, nicht vollständig im Kulturetat verblieben sind und dass dadurch eine freie Oper (die Zeitgenössische Oper, A. d. Red.) weniger neue Zuwendung bekam als erhofft. Da habe ich mich nicht vollständig durchsetzen können. Das ist nicht gelungen, und das hat die Koalition insgesamt zu verantworten. Aber das ist für mich kein Grund, dass ich meine, ich müsste mein Wirken einstellen. Im Übrigen halte ich es durchaus für einen Erfolg, wenn auch einmal die Beendigung einer Förderung für ein Theater durchgesetzt werden kann. Das ist Berlin nicht gewöhnt; hier zahlt man sonst immer nur drauf, egal wie defizitär die Einrichtung ist. Aber glauben Sie mir: Bezogen auf die Probleme, vor denen wir kulturpolitisch in ganz Berlin stehen, würde ich all das eher als ein Warmlaufen bezeichnen.

Sie haben angekündigt, dass es bald auch größere Strukturreformen geben soll. Wo setzen Sie als Nächstes an?

Eines unserer größten Problem ist die Kostenspirale durch die Tarifsteigerungen an den Theatern. Wir brauchen dringend eine Lösung, um die Auswüchse der Personalkosten zu stoppen, und da bereiten wir gerade die Verhandlungen mit den Gewerkschaften vor. Ich hoffe, dass wir betriebsbedingte Kündigungen vermeiden und zur Verabredung mehrjähriger Zuschussverträge kommen können.

Sind neue Rechtsformen wie landeseigene GmbHs der goldene Schlüssel zur Reform?

Die GmbH-Lösung hat durch das Schicksal des Metropol-Theaters einen schlechten Ruf in Berlin. Deshalb glaube ich, dass solche Übergänge kaum noch stattfinden werden. Ich denke, dass das Beispiel der Philharmoniker interessant ist, die sich in eine Stiftung öffentlichen Rechts umgewandelt haben. Man könnte überlegen, ob man das zum Beispiel auch im Bibliotheksbereich macht, denn es hat sich als solide und seriös erwiesen. Ob man neben oder unter der Stiftung einen Betrieb macht, der als GmbH privatrechtlich organisiert ist, das müsste man prüfen. Am Ende geht es um die intelligente Kombination der Vorteile verschiedener Modelle.

Zu Ihren erklärten Zielen zählten bisher drei selbstständige Opernhäuser für Berlin, aber die können Sie nicht bezahlen. Auf der Streichliste des Finanzsenators steht explizit ein Opernhaus, nun gibt es Streit um die Deutsche Oper. Gilt Ihr Bekenntnis trotzdem noch?

Der Bund und die Länder sagen nicht zu Unrecht, dass wir an unserer Finanzmisere selbst schuld sind. Aber wir werden doch noch einmal prüfen müssen, was wirklich unsere Sache ist und was Sache des Bundes und der Länder. Es muss eine Neudefinition geben dessen, was eigentlich städtische Kulturpolitik in Berlin ist. Die aus der Geschichte erwachsenen Anteile, die aus der Historie Preußens und der Hauptstadtfunktionen stammen, müssen weiterhin diskutiert werden.

Der Bund wird Ihnen nach aller Wahrscheinlichkeit nicht noch einmal aus der Klemme helfen. Stehen Sie trotzdem zu allen drei Opern?

Richtig ist, dass Berlin an allen drei Standorten festhält, aber pauschale Bestandsgarantien gibt es nicht. Wir wollen genauer bestimmen, was die kulturellen und historischen Profile der drei Häuser sind, und die Debatte, welche davon besser zu städtischen oder staatlichen Aufgaben passen, in der nächsten Zukunft stärker führen. Wie ihre Zukunft konkret aussehen könnte, da gibt es verschiedene Modelle. Man kann ja auch aus gescheiterten Projekte lernen. Mein Vor-Vorgänger Christoph Stölzl hatte eine Fusion der Deutschen Oper mit der Staatsoper unter einer Generalintendanz angestrebt. Damit ist er nicht durchgekommen.

Das alles klingt sehr defensiv. Noch einmal zurück zum Ausgangspunkt: Wo sehen Sie Ihre Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten?

Unsere Instrumente und Konzepte von Kulturpolitik stammen aus einer Zeit, als die öffentlichen Kassen über steigende Einnahmen verfügten. Das heißt, der Gestaltungsspielraum ist in der Tat ein schrumpfender, wenn wie jetzt öffentliche Haushalte ständig abgebaut werden. Wir sind tatsächlich in einer sehr defensiven Position, und das wurde bisher von Seiten der Kulturpolitik wenig konzeptionalisiert.

Aber selbst in dieser Situation hat Kulturpolitik natürlich eine Verantwortung, den unmittelbaren Durchgriff der Finanzpolitik auf den Kulturbereich abzuwehren. Sie muss vermitteln und gegensteuern und eine andere Art der Logik gewährleisten. Ich möchte Suchprozesse organisieren und für eine transparente, dialogisch strukturierte Kulturpolitik stehen. Ich will meine Positionen erkennbar machen, aber sie nicht einfach so durchschlagen lassen. Es kann keine dominant Wert setzende Kulturpolitik sein, sondern eine, welche die unterschiedlichen Kräfte dieser Stadt zusammenführt. Das erfordert ein bestimmtes Maß an Neutralität.