Brasiliens vierte Gewalt

Der Metallarbeiter Luiz Inácio da Silva stand vor 13 Jahren schon einmal kurz vor einem Wahlsieg. Damals verhinderte Lateinamerikas größter TV-Sender den Erfolg. Dieses Mal blieb Globo neutral

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Mit über 46 Prozent der Stimmen geht Luiz Inácio „Lula“ da Silva als Favorit in die Stichwahl. Und schon einmal stand der Metallarbeiter aus kleinsten Verhältnissen kurz davor, brasilianischer Präsident zu werden. Es war die erste Direktwahl des Staatsoberhauptes nach der Militärdiktatur (1964–85). Drei Tage vor der Stichwahl gegen seinen Kontrahenten Fernando Collor lag der Kandidat der Arbeiterpartei PT in den Umfragen einen Prozentpunkt hinter dem smarten Aufsteiger aus der nordöstlichen Provinz. Damals hatte Lula die erste TV-Debatte elf Tage zuvor für sich entschieden, in der zweiten setzte sein Kontrahent auf Konfrontation: Am Wahltag werde er „das Durcheinander, die Randale, das Chaos, die Intoleranz, die Unnachgiebigkeit, den Totalitarismus, die rote Fahne endgültig stoppen“, so Collor.

Am Abend darauf brachte das „Jornal Nacional“, Nachrichten- Flaggschiff des unangefochtenen Marktführers TV Globo, einen höchst einseitigen Zusammenschnitt der fast dreistündigen Debatte. Sechs Minuten lang wurde Lula regelrecht vorgeführt. „Es war ein Massaker“, erinnert sich Ricardo Kotscho, damals wie heute Lulas Pressechef. Collor siegte mit knapp fünf Prozent Vorsprung.

Die Manipulation, vom greisen Globo-Chef Roberto Marinho höchstpersönlich angeordnet, war der Abschluss einer systematischen Kampagne des Konzerns gegen Lula. Der heute 97-jährige Medienmogul befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht. „Der Staatspräsident ist die Nummer zwei“ lautete ein geflügeltes Wort. 25 Jahre zuvor hatten Roberto Marinhos Radiosender und Zeitungen dem Militärputsch gegen eine linksnationalistische Regierung publizistisch den Weg bereitet.

Parallel zum nationalen Integrationsprojekt der Militärs, die auch die abgelegensten Gegenden des riesigen Landes erschließen wollten, erzeugte der Sender Zusammengehörigkeitsgefühl über die Mattscheibe. Das dabei vermittelte Brasilienbild war so ganz nach dem Geschmack der Generäle: „Jeden Abend bin ich glücklich, wenn ich die Nachrichten sehe“, bekannte Präsident Emílio Médici auf dem Höhepunkt der politischen Repression 1972. „In den Globo-Nachrichten ist die Welt ein Chaos, doch in Brasilien herrscht Frieden.“

In den Neunzigerjahren übertrug Marinho die Leitung des Konzerns, der weltweit auf Rang 12 vorgerückt war, seinen drei Söhnen. Auch 1994 und 1998 unterstützte Globo, ebenso wie sämtliche etablierten Medien, offen die Kandidatur des Establishments: Gegen den Sozialdemokraten Fernando Cardoso hatte Lula keine Chance.

Noch Anfang diesen Jahres schien es, als könnte Globo bei der Nachfolge Cardosos ein gewichtiges Wörtchen mitreden: Fast nahtlos gingen die malerischen Sanddünen des Bundesstaats Maranhão aus der Seifenoper „O Clone“ und die Wahlwerbung von Roseana Sarney ineinander über. Die telegene Gouverneurin eben jenes Bundesstaates, Tochter des Expräsidenten José Sarney, führte in allen Umfragen. Doch dann stolperte sie über einen Korruptionsskandal. Der Sarney-Klan, der die lokale Globo-Dépendance kontrolliert, vermutete dahinter eine Intrige des Rivalen José Serra. – Die Regierungskoalition zerbrach, die Sarneys liefen zu Lula über.

Und Globo – entschied sich dieses Mal für eine faire Berichterstattung. Neben der Schwäche des Regierungskandidaten Serra dürfte auch dazu beigetragen haben, dass der Konzern von einem Präsidenten Lula nichts zu befürchten hat. Mancher hält sogar einen Deal zwischen Lula und Marinho für möglich.

Wie fast die gesamte Konkurrenz ist das Globo-Imperium in eine schwere Finanzkrise getaumelt. Nach einer Verfassungsänderung dürfen sich ausländische Investoren mit maximal 30 Prozent an brasilianischen Medien beteiligen. Lulas Arbeiterpartei hatte keine Einwände.

Wie vor 13 Jahren fand in der vergangenen Woche die letzte Debatte am Donnerstag vor der Wahl statt – bei TV Globo. Um dem Vorwurf der Manipulation zu entgehen, versprach Globo, weder den „Sieger“ per Meinungsumfrage ermitteln zu lassen noch Ausschnitte aus der Debatte zu senden.

Zweieinhalb Stunden lang debattierten die vier Kontrahenten – auf überraschend hohem Niveau. Immer wieder spielten sich die drei Oppositionskandidaten die Bälle zu, so dass erneut Regierungskandidat Serra den schwersten Stand hatte.

„Wir arbeiten ständig daran, die Demokratie zu vervollkommnen“, hieß es 1989 in der Abmoderation des berüchtigten Globo-Debattenzusammenschnitts. Damals klang das zynisch. Heute könnte etwas daran sein.