Jede Menge Fluchtwege

Von der Seelenlandschaft zur Gedankenlandschaft: Jürgen Heiters Filmessay „Raccolta di pezzi facili“

Am Anfang steht so manche romantische Illusion. Etwa über die Wirkung des Reisens: „Man muss sich nur bewegen, dann kommen die Losungen von selbst.“ Jürgen Heiter, dessen filmischer Essay über die Zeit, Mes Amis, erst im April im Metropolis zu sehen war, besucht nun Hamburg mit seinen DV-Reflexionen zur Toskana, der heroischen Landschaft der deutschen Romantiker, betitelt Raccolta di pezzi facili (Sammlung von einfachen Stücken) – Paare und Steine. Anlass und Gelegenheit war das Villa Serpentara Stipendium der Akademie der Künste, das Heiter als erstem Filmemacher zu einem dreimonatigen Aufenthalt in Olevano verhalf.

Eine Malerin, Vera, die in Olevano arbeitet, ihr Mann, Hans, der ihr nachreist, ein Freund, Robert, den gerade seine Frau verlassen hat und der Hans auf der Reise zu Vera begleiten wird: Das sind bloß Motive, die dieser Film aufgreift und eher stotternd verfolgt. Wie das Drehbuch, das uns als Rohmaterial aus dem Off präsentiert wird und in den Bildern keine Entsprechung findet. Wir hören Texte von Bassani, Hölderlin („Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen.“), gar Jünger, mal sehen wir den Körper zur Stimme, mal nicht. Und wieder das Stotternde: Der Amerikaner, der aus einer deutschen Übersetzung von Albert Camus vorliest, ist in dieser Sprache so wenig zuhause wie die radebrechenden Deutschen in der italienischen. Und Dialoge sind verdächtig, vielleicht, weil sie immer schon Grenzen des Denkbaren nach zwei Seiten hin abstecken, miteinander gesprochen wird daher wenig in Raccolta di pezzi facili.

Essayistische Filme wie dieser werden hierzulande selten gemacht. Heiter nimmt die Seelenlandschaft der deutschen Künstler der Romantik und baut sie gründlich um zu einer Gedankenlandschaft, aus der alles Romantische gewichen ist, bis auf die offen gelassene Frage: Wie ist das, Autor seiner selbst zu sein. Das Stottern, wie hier den Bildern und dem Ton das Fragende zurückgegeben wird, wie Gedanken in diesem Film Fluchtwege bekommen, dies alles hätte Deleuze sehr gefreut.

Christiane Müller-Lobeck

morgen (in Anwesenheit des Regisseurs), 21.15 Uhr, Metropolis