kommentar: Neuer Kopf mit altem Inhalt - die SPD wagt im Westen nichts Neues
Für die Grünen ist die Nominierung Peer Steinbrücks zum neuen Ministerpräsidenten durchaus das kleinere Übel. Ob sie an ihm ihre Freude haben werden, darf zwar trotz demonstrativer Liebesbekundungen des künftigen Landesvaters bezweifelt werden, denn Steinbrück ist die Fortsetzung Clements mit anderen Mitteln. Der notwendige ökologische Umbau des Landes lässt sich mit ihm ebenso wenig verwirklichen wie mit seinem Vorgänger. Der Spielraum der Grünen wird klein bleiben. Ob in der Wirtschafts-, der Sozial- oder der Verkehrspolitik – Steinbrück steht der FDP weit näher als Höhn, Vesper & Co. Auch wenn er das nun nicht mehr so offen zeigen darf. Doch hätte es für die Grünen schlimmer kommen können.
Die Genossen an Rhein und Ruhr hätten nämlich auch eine andere Wahl gehabt und sich für ihre Landesvizechefin Birgit Fischer entscheiden können. Die Gesundheits- und Frauenministerin aus Bochum tritt nicht nur aus taktischen Gründen für das rot-grüne Modell ein – sie hätte den Grünen möglicherweise deren Alleinvertretungsanspruch auf die Themen Bürgerrechte und Ökologie streitig gemacht. Für die Sozialdemokraten in NRW hätte sie einen Neuanfang bedeutet, für die Grünen wäre sie eine echte Herausforderung gewesen. Doch autoritätshörig wie eh und je, hat der nordrhein-westfälischen SPD der Mut für eine selbstbewusste Entscheidung gegen den Willen Clements, der seinen Freund Steinbrück als seinen Nachfolger wollte, gefehlt. Ihrer konservativen und verstaubten Parteibasis wollten sie keine progressive und moderne Frau zumuten. So bleibt alles beim Alten: In den Kommunen wird der Filz wuchern, da lassen sich die alteingesessenen Provinzfürsten nicht von dem unterkühlten Zugereisten reinreden. Auf Landesebene wird eine Mischung aus konservativer und neoliberaler Standortpolitik betrieben, die es der CDU unter Jürgen Rüttgers weiterhin ermöglicht, sich als sozialere Alternative anzubieten. Die Genossen setzen auf ein „weiter so“. Dabei brauchten sie nichts dringlicher als einen Neuanfang.
Seit Mitte der 90er-Jahre verliert die SPD in ihrem Kernland an Zustimmung. Unter Clement haben sich die Absetzbewegungen drastisch beschleunigt. Auch diejenigen Genossen, die jetzt wortreich den Weggang Clements beklagen, sollten nicht übersehen: Mit ihm als Ministerpräsidenten holte die Partei bei der vergangenen Landtagswahl das schlechteste Ergebnis seit 1958. Ob ausgerechnet Steinbrück mit seinen Rezepten, die schon unter Clement nicht fruchteten, den Abwärtstrend der Genossen stoppen kann, ist mehr als fraglich.
PASCAL BEUCKER
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