Verortung halb gelungen

Westlichen Klischees gefährlich nahe: Drei litauische AutorInnen – Jurga Ivanauskaite, Renata Serelyte und Jurgis Kuncinas – lesen nach ihrem Buchmessen-Parcours in der Zentralabibliothek

von PETRA SCHELLEN

Man muss Perkunas nicht kennen. Den altpruzzischen Donnergott, der – mit Patrimpe (Krieg) und Pikoll (Tote) – in vorchristlicher Zeit das heutige Litauen bewohnte. Obwohl, ein Quentchen Historienkenntnis in puncto Baltikum kann derzeit nicht schaden, ist doch mit Litauen ein Land diesjähriger Buchmessen-Schwerpunkt, das 2004 zur EU gehören will und dessen Inflationsrate derzeit niedriger ist als die polnische.

In mittlerer Hektik haben deutsche Verlage daher Übersetzungen litauischer Werke auf den Markt geschoben. Denn wenig ist hierzulande bekannt – teils, weil gute Übersetzer rar sind, teils, weil mit „Lietuviskos knygos“ (Bücher aus Litauen) erst seit kurzem eine staatliche Übersetzerförderung existiert. Da hat es schon geholfen, dass das Auswärtige Amt einsprang und einen Teil des Risikos tragen half.

Und so liegen jetzt unter anderem drei Romane litauischer AutorInnen vor, die nächste Woche in Hamburg lesen werden. Universelles Thema: ideologische Verortung. Die Regression in Richtung Katholizismus moniert die 1961 geborene Jurga Ivanauskaite im Roman Die Regenhexe (1993). Drei ineinander montierte Handlungsstränge bilden den Roman, der drei Frauengestalten – Vika aus dem 20. Jahrhundert, die von der Inquisition verfolgte Marija Viktorija und die weiland in Jesu Trupp mitziehende Maria Magdalena – umkreist. Sie alle begehren einen Geistlichen; eine kurze reale Beziehung ist nur Vika beschieden.

Einen süffisanten Entwicklungsroman hat die Autorin hier geschrieben, dessen eigentliches Thema die gesellschaftliche Entwicklung Litauens ist. Wie Vika sich dem Priester an den Hals wirft, suchen weite Teile der litauischen Bevölkerung im endlich erlaubten Katholizismus ihr Heil. Perfide am Roman ist zudem, dass die Protagonistin glaubt, nach all ihren Leiden um ihren einst visionären, später versoffenen Ehemann ein Recht auf die Affäre zu haben. Und überdeutlich scheint durch, dass der Gatte für den ins Leere gelaufenen Realsozialismus steht, für den das Volk nach der Wende Entschädigung wünscht. Schade nur, dass die Schicksale so brav verflochten sind, noch dazu von wiederkehrenden, wortgleichen Textbausteinen durchsetzt – eine Technik, die ermüdet, begreift man doch schnell, dass es hier ums kollektive Unbewusste geht.

Ungeschickte Montagetechnik prägt auch Renata Serelytes Entwicklungsroman Sterne der Eiszeit: Dorfleben, die Brutalität der sozialistischen Gesellschaft sowie langatmige Pubertätsgeschichten finden sich in den Texten mit teils sehr dichten Dialogen. Unerklärlich bleibt allerdings, warum die Autorin ständig griechische Mythologie in die Texte flicht, als paktiere sie mal mit Hölderlin, mal mit Arno Schmidt. Anbiederung ans Abendland? Archaisch wirken auch die Pantheismen, die das Klischee vom naturnahen Litauen gefährlich bestätigen. Recht eindimensional auch folgende die Kapitalismus-Schelte.

Und schließlich – Jurgis Kuncinas, dessen Roman Mobile Röntgenstationen (1998) am modernsten wirkt, wenn auch leicht surreal und immer wieder von dandyistischem Timbre heimgesucht. Doch auch hier: ein Entwicklungsroman, der sehr durchsichtig autobiographisch ist. Depressives transportiert der Prolog, es folgen: Jugend, Pubertät im Pionierlager, abgebrochenes Studium, Angst vorm Einzugsbefehl. Dazwischen Bekenntnisse, dass man an einen sozialistischen Weg geglaubt habe, ironisch gebrochen im gleichen Atemzug. Auch auf einen Stil will sich Kuncinas nicht festlegen: Mal behäbig, mal ironisch, mal postmodern gibt sich der Autor. Doch all das ist leider keine virtuose Montage. Sondern eine mäßig gelungene Fingerübung.

Jurga Ivanauskaite: Die Regenhexe. München 2002. 300 S., 14,50 Euro. - Renata Serelyte: Sterne der Eiszeit. Berlin 2002. 320 S., 21 Euro. - Jurgis Kuncinas: Mobile Röntgenstationen. Oberhausen 2002. 205 S., 14.90Euro

Lesungen: Serelyte: 14.10.; Ivanauskaite: 15.10.; Kuncinas: 16.10. Jeweils 20 Uhr, Zentralbibliothek, Große Bleichen 25