piwik no script img

leben in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über eine bessere Welt

Fußball wie zu Omas Zeiten

Einen der wenigen Trost spendenden Momente in dieser hektischen Zeit der Reizüberflutung schenkt uns die Lektüre des so genannten Warenkatalogs von Manufactum. „Es gibt sie noch, die schönen Dinge“, heißt der ermutigende Slogan des Versandhauses – und diese Behauptung wird mit aller Berechtigung aufgestellt. Ein Stück Erbauung liegt in dem Wissen, dass es noch Teekannen aus japanischem Gusseisen, Oberbetten gefüllt mit Pilsener Gänseflaum oder Stabtaschenlampen zu kaufen gibt, deren Bauweise sich seit acht Jahrzehnten nicht geändert hat. Hier ist nichts neu, sondern alles von beruhigender Klassik, wie man in den wunderschönen Wortschmiedestücken lesen kann, deren stille Pracht erst das ganze Aroma der annoncierten Produkte entfalten lässt.

Wie oft habe ich nicht schon über die Lorbeerseife aus Aleppo gelesen und Halt gefunden, wenn einem das Leben gerade zu entglitschen droht. „Aleppo, das heute in Syrien gelegene biblische Helbon, ist der arabische Geburtsort der Kunst, aus pflanzlichen Ölen feine Seifen herzustellen“, heißt es da unter anderem, „in Aleppo hat sich die Seifensiederei als ein Teil der hochentwickelten arabischen Körper- und Schönheitspflege erhalten.“ Wer träumt nicht gleich von der zarten Haut arabischer Schönheiten, an die nur die „auf neuem Wasser“ erzeugten Produkte fleißiger Siedemeister gelangen dürfen? Die Gedanken fliegen weiter über ein Land des Verlustes all der Schönheiten der Vergangenheit, den es auch im Fußball zu beklagen gilt.

Nun gibt es im Katalog von Manufactum leider nichts für den Freund des Fußballsports, nicht einmal Trikots aus schwerer Baumwolle, wie sie einst Fritz Walter trug. Dabei würde man sich manchmal von Manufactum gar ein ganz im Geiste des Unternehmens ausgestaltetes Stadionereignis wünschen, wo man auf ein seit der alten Oberliga unverändertes Kassenhäuschen zutritt, in dem ein pensionierter Herr im Fischgrätmantel die Eintrittskarten von der Rolle reißt und das Wechselgeld einer Zigarrenbox entnimmt. Der noch ältere Herr mit dem erkalteten Stumpen im Mundwinkel und der goldenen Ehrennadel am Revers entwertet die Karte entlang der dafür vorgesehenen Perforation und gibt den Weg frei, den, so sei’s geklagt, heutzutage nur noch anonyme Sicherheitsdienste kontrollieren.

Oben im Stadion wird gerade verlesen, wer den Ball für das heutige Spiel gespendet hat, was man aber kaum verstehen kann, weil der Wind die Ansage aus den Schalltrichtern fast verweht, deren Knarzen auch eine verknappte Verlesung der Mannschaftsaufstellung gebietet: Nummer, Familienname. Junge Menschen in langen Schals, die ihnen Mutter, Oma oder Freundinnen gestrickt haben, werfen derweil Konfetti aus selbst zerrissenen Telefonbüchern öffentlicher Fernsprecheinrichtungen in die Luft, als die Mannschaften auf den Rasen laufen. Dort rennen fortan leicht übergewichtige Profis hinter ihrem Gegenspieler her und müssen sich den Kopf nicht beschweren mit überkandidelten taktischen Anweisungen ihrer Trainer, die vierschrötig am Seitenrand stehen und das Fressen von Gras einfordern.

In der Halbzeitpause gibt es neben echter Metzgerbratwurst gleich zwei tolle Unterhaltungen, denn nicht nur die Motorradstaffel der Polizei dreht auf der Aschenbahn ihre Runden und führt im Stile einer Hollywood-Revue vor, wie viele Leute auf einer Maschine mitfahren können. Auf dem Rasen hat derweil auch der Führer einer Hundestaffel die verblüffend hohe Holzwand aufgestellt, über die sein Schäferhund mit größter Leichtigkeit hinwegsetzt, auf der simulierten Jagd nach einem Bösewicht in einer Wattierung, die man sonst von Eishockey-Torhütern kennt. Darin verbeißt sich der rasende Köter und lässt erst los, als die Mannschaften zurückkommen.

Dann gilt es wieder richtig aufzupassen, denn verpasste Tore kann man abends in der „Sportschau“ nicht ansehen. Gut, dass der Nachschub an „Zigarettenbonekampkaugummi“ vom Mann mit dem Bauchladen direkt angeliefert wird, während die Kinder schon mal die leeren Bierflaschen einsammeln, um sich vom Pfand köstliches Brausepulver zu kaufen. So könnte es immer weitergehen, doch dann heißt es, heim zu gehen, Tee im japanischen Kesselchen aufzubrühen und unter Pilsener Daune von einer besseren Welt zu träumen.

Fotohinweis: Christoph Biermann (40) liebt Fußball und schreibt darüber.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen