daumenkino: Lustlose Lügen
Vielleicht muss man einen solchen Film „Lies“ nennen, um als südkoreanischer Filmregisseur in die Verleihzirkulation der Warner Bros. zu avancieren und im Berliner X-Filmverleih mit Arthouse-Appeal beworben zu werden. Vom „jungen Godard“ über den „letzten Tango“ bis zu „Intimacy“ werden da Referenzfilme bemüht, um dem Film den cineastischen Adelstitel des subversiven Tabubrechers anzuheften.
Aber „Lies – Lust und Lügen“ fehlen die Geheimnisse, die seinen Titel rechtfertigen würden. Er ist ein mechanisches Stressprogramm, das einen nur in eine hektisch eskalierende Nummerfolge in öden Hotelzimmern mitnimmt. Es geht ausführlich naturalistisch und distanzlos um gegenseitiges Hintern-Versohlen mit ausgewählten Stahlruten, Hölzern und Stöcken. Scheiße lecken funktioniert da fast wie ein erlösendes Intermezzo der wechselseitigen Gunstbezeugung – unterlegt mit einer Techno-Schleife, deren einzige Textzeile den Tiefgang eines Dr.-Motte-Slogans hat: „Flesh is fantasy“.
Angesichts der angestrengten Freizügigkeit ist doch erstaunlich, dass die klassischen Bilder-Tabus unangetastet bleiben: Der Schwanz ist auch in diesem pseudodokumentarischen Konzept so gut wie nicht da. Also bilden die schmuddeligen Suburb-Zonen von Seoul zwar den Hintergrund, doch stilwütig kokettiert der Film noch mit dem Fluchtort Paris. Der Mann tritt als Künstler auf, der seiner Frau zeitweilig nach Frankreich folgt, um der sexuellen Obsession zu seiner sadistisch-masochistischen Partnerin in Seoul eine dramaturgische Zäsur zu gewähren.
Diese Partnerin ist eine achtzehnjährige Schülerin, die tagsüber in engelhafter Uniform auf dem Schulhof über ihre Geilheit schwätzt und danach im universellen Jeans-Outfit zu ihren Schmerz-Rendezvous aufbricht.
Einmal suchen die beiden passende Stöckchen in einem Park und räsonnieren in einem Satz darüber, dass die Straßenarbeiter Schicht schieben. So leicht ist das mit der Gesellschaftskritik. Hanif Kureishi (Autor von „Intimacy“) bemerkte, dass die einstige Kultur des Geistes und des Schönen sich in eine Kultur des Physischen und des Hässlichen gewandelt habe. „Lies“ belegt diesen Befund.CLAUDIA LENSSEN
„Lies“, Regie: Jang Sun-Woo. Mit Lee Sang-Hxun, Kim Tae-Yeon, Korea 2000, 115 Min.
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