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Karthago ist überall

Der „Hannibal“ von Johan Simons in Stuttgart entwirrt die Schlachtenbilder von Grabbe und erzählt von den Kriegen, die man nur verlieren kann

von JÜRGEN BERGER

Wie unsinnig die Rede vom unspielbaren Stück ist, zeigt sich immer dann, wenn solche Stücke in klugen Inzenierungen entschlüsselt werden. Das gilt auch für Christian Dietrich Grabbe. Vor zehn Jahren gelang Martin Kusej am Theater Stuttgart mit Grabbes „Herzog Theodor von Gothland“ der Aufstieg in die Spitzengruppe europäischer Regisseure. Jetzt, da das Stuttgarter Staatsschauspiel Johan Simons und mit ihm das Regieteam des holländischen „Zuideljik Toneel Hollandia“ auf Grabbes „Hannibal“ angesetzt hat, erwartet man dies Wunder wieder von einem Regisseur, der schon als einer der besten Europas gilt. Mit dem Komponisten Paul Koek hat Simons einen Mitregisseur, der Geräusch- und Musikcollagen als zweite Erzählebene einbaut. Im Falle von Grabbes zerklüfteter Historientragödie über Punische Kriege sowie Aufstieg und Fall des Heerführers Hannibal liefert Koeks Soundtrack mit exotischen Gesängen ein entscheidendes Bindemittel zwischen Gegenwart und Historie.

Fertig gestellt hat Grabbe das Stück 1835 – ein Jahr vor seinem Tod. Schuld war die Leber. In „Hannibal“ erlaubte sich der Berserker aus Detmold die Erzählung ausufernder Schlachtverläufe und rasante Szenenwechsel. An die hundert Figuren packte er in das unübersichtliche Stück. Simons allerdings gliedert so geschickt, dass die Zuschauer nicht ratlos einem Historiengewirr ausgeliefert sind. Grabbes Not ausufernder Epik verwandelt er in eine inszenatorische Tugend und lässt die Schauspieler Szenenanweisungen mitsprechen. Das macht einen Text überhaupt erst spielbar, in dem das Geschehen zwischen dem nordafrikanischen Karthago, italienischen Schlachtfeldern und dem römischen Kapitol wechselt. Als sich Hannibals Kriegsglück in Europa wendet, wird er in Karthago von nur aufs Geschäft bedachten mächtigen Familien im Regen stehen gelassen. Am Ende entwischt er vor römischen Legionen ins kleinasiatische Bithynien, nur um dort vom eitlen König Prusias verraten zu werden.

Simons bannt diese Schauplätze zwischen den Kulturen in das Bild eines mit Lumpen und Kleidern übersäten Schlachtfeldes. Gräben öffnen sich, hinten steht ein Container mit Satelittenschüssel für die römischen Heerführer. Vorne links sitzen Karthagos korrupte Oligarchen und entpuppen sich als Handicap der Inszenierung. Sie lümmeln sich derart verwahrlost in abgewetzten Sesseln, dass man nicht so recht verstehen will, worauf ihre Macht gründen könnte. Simons Hang zur Karikatur markiert gleichermaßen Stärke und Schwäche der Inszenierung: Einerseits gliedern plakative Mittel die Abläufe; andererseits mogelt er sich damit aber auch an den Gehalten des “Hannibal“ vorbei und zeigt nicht wie in seinen früheren Inszenierungen, dass politisches und sinnliches Theater eins sein können.

Im „Hannibal“ prallen zwei imperialistische Mächte aufeinander: Rom ist eine Kriegsmacht und finanziert seine Feldzüge, indem es Kolonien ausbluten lässt; Karthago ist eine Handelsmacht, deren Geschäfte irgendwann vom Krieg empfindlich gestört werden. Das ist Hannibals „Pech“. Reibungsverluste, die entstehen, wenn eine große Wirtschaftsmacht plötzlich nur noch machtpolitische Expansionsgelüste zur Staatsräson erhebt, markieren eine untergründige Linie, die die Punischen Kriege und den demokratischen Imperialismus der heutigen Bush-Regierung verbindet.

Derartige Analogien wollte Simons aber nicht zu ausgiebig beleuchten. Lediglich einmal, wenn Hannibal und Scipio der Jüngere aufeinander treffen, stößt die Inszenierung konzentriert ins Zentrum machtpolitischer Strategiespiele vor. Da hat Fedja van Huet (Hannibal) in Philipp Otto (Scipio, der Jüngere) einen Gegenspieler, der ihn fordert. Ansonsten wandelt Stuttgarts Hannibal allerdings wie eine Mischung aus Scharping und altersmildem Schwarzenegger über Schlachtfelder und würde wohl lieber in der Toskana auf Elefanten ausreiten als in trasimenischen Sümpfen mit Römern und Malariafliegen kämpfen. Van Huet ist ein hervorragender Schauspieler, aber kein Hannibal; Simons ist ein bemerkenswerter Regisseur, bleibt im Falle des „Hannibal“ aber auf halbem Wege stehen.

Wo ihm der Sprit ausging, wird an einer Stelle besonders deutlich. Da treffen römische Usurpatoren auf iberische Eingeborene in Baströckchen. Der Naive aus Keltiberien hebt freundlich an zu singen, plötzlich allerdings geht die Melodie über in Billy Joels „Good Night Saigon“ aus dem Jahr 1982. Der iberische Tor hat sein ganz eigenes Vietnam hinter sich, will man uns sagen, vergisst aber, dass Billy Joel noch texten konnte: „We came in spastic/Like tameless horses/We left in plastic/As numbered corpses“. Afghanistan lehrt, dass die USA aus Vietnam gelernt haben. Opfer sind inzwischen fast ausschließlich unter der Zivilbevölkerung zu beklagen.

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