Tönender melting pot

„Bitte nicht so bremisch“: Jugendliche aus 14 Ländern werden mit kleinen psychologischen Tricks zum „Internationalen Jugendsinfonieorchester“

Die Polen sind zu spät. Als sie zu zehnt in die Aula der Waldorfschule platzen, proben die anderen Orchestermitglieder schon seit einer Viertelstunde. Hier probt sozusagen die Realisierung eines Traumes: „Wir wurden mit dem Jugendsinfonieorchester Bremen-Mitte bei unseren Konzertreisen in aller Welt immer so freundlich empfangen, dass ich die Idee hatte, ein Projekt mit Jugendlichen aus all diesen Ländern zu machen“, sagt Orchesterleiter Heiner Buhlmann. Es enstand das Internationale Jugendsinfonieorchester, das mittlerweile zum vierten Mal eine Woche lang ein Konzertprogramm erarbeitet.

Vierzehn Nationalitäten sind hier versammelt, über hundert MusikerInnen. Die Jüngste spielt Cello, ist gerade mal dreizehn und kommt aus Lettland. Buhlmann hüpft auf und ab, geht in die Knie, ruft „Tempo!“ oder „Pianissimo!“ in die Runde, meistens aber „Look at me!“ Er ist mit Leib und Seele dabei – das kommt bei den Jugendlichen an. Trotzdem verpennt Harfenistin Jenny ihren Einsatz. Sie muss das Gelächter der versammelten Mannschaft über sich ergehen lassen. Die Stimmung ist blendend.

Und das, obwohl hier neben Mentalitäten auch Arbeitsauffassungen aufeinander prallen. Gerade die Jugendlichen aus Osteuropa seien oft sehr ehrgeizig, sagen die Bremer Teilnehmer – die meisten von ihnen würden ihr Instrument gerne zum Beruf machen, üben bis zu acht Stunden täglich. „Die wollen natürlich auch im Orchester ihr Können beweisen“, sagt die 18-Jährige Hendrike Tischer, bereits zum vierten Mal dabei.

Mit einem kleinen psychologischen Trick wird Abhilfe geschaffen: In der Regel teilen sich ein Bremer Musiker und ein Ausländer ein Notenpult – und sind damit darauf angewiesen, aufeinander einzugehen. „Nach ein paar Tagen hat sich das mit dem übertriebenen Ehrgeiz meist erledigt“, meint Hendrike. Der Pole Bartlomiej Skrobot (23) hingegen findet Konkurrenzsituationen ganz natürlich: „In der Franck-Sinfonie werden zum Beispiel nur vier Hörner benötigt, wir sind aber sieben Hornisten – natürlich will jeder gerne dabei sein.“

Trotzdem lästert keiner über den anderen, Verständigungsschwierigkeiten werden mit künstlerischer Kreativität kompensiert. „Ich weiß, das ist so ein blödes Klischee“, sagt Hendrike fast entschuldigend, „aber wir können hier wirklich über die Musik kommunizieren.“ Ein Lächeln, ein paar angespielte Töne, eine gesungene Melodie – dasGegenüber versteht, was gemeint ist. Auch Buhlmann singt mehr, als dass er spricht. Er hat es auch nicht einfach: Wie sagt man bitte auf Englisch, dass das Orchester „nicht so bremisch“ spielen solle?

Am Anfang der Woche sei es schon eher so gewesen, dass die Nationalitäten unter sich blieben, erzählt Hendrike. „Aber dann interessieren sich die Spanier schon schnell für Schimpfwörter auf polnisch.“ Nach einer Woche hätte sich die Cliquen-Bildung ziemlich aufgelöst.

Allerdings gibt sie auch zu, dass sich Vorurteile manchmal „auf sympathische Art“ bestätigen. Apropos: Die Polen waren nicht die Spätesten. Die Italiener kamen noch später, und stürzten unter „Grazie, grazie, grazie!“ auf die Bühne. Daniel Schalz

Das Internationale Jugendsinfonieorchester spielt morgen (12.10., 20 Uhr) in der Glocke Werke von César Franck, Theodor Holtendorf und John M. Geddes