Glamour für die Geographie

Nach der Plackerei des Studiums steht den AbsolventInnen eine würdevolle Abschlussfeier zu. Das finden immer mehr Fachbereiche, aber noch längst nicht alle. In der 50ern gab‘s nur einen Händedruck

von MATHIAS WÖBKING

Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Sieben Jahre lang war Sonja Lamers Geographie-Studentin. In Bonn, in Buenos Aires, in Hamburg. Nach ihrer letzten Prüfung im Juli machte sich die 27-Jährige in den vierten Stock des Geomatikums auf. Dort bekam sie einen Umschlag in die Hand gedrückt. „Wir brauchen noch ein paar Unterlagen von Ihnen“, sagte die Sachbearbeiterin. Und: „Ach ja, herzlichen Glückwunsch.“

„Das war total traurig“, sagt die Absolventin über ihre letzte Begegnung mit dem Uni-Betrieb. Doch eine solche Abfertigung nach Jahren des Lernens war lange Zeit die Regel. Als Bernhard Dahme, Professor für Psychologie und heutiger Prodekan des Fachbereichs, 1969 sein Studium abschloss, fand er seine Urkunde im Briefkasten. „Das hat etwas menschenverachtendes“, sagt er heute.

Seit drei Jahren ist es in Dahmes Fachbereich anders. Jetzt werden die Prüflinge eines jeden Semesters feierlich verabschiedet. „Manche kommen mit der Oma, manche mit dem eigenen Kind“, erzählt der Professor. Und lassen sich hochleben. Zwei Drittel der Lehrenden sind auch da. Es gehe um einen „würdigen Abschluss nach all der Plackerei“.

Die Studierenden sind schicker als die Lehrer

Unter den ersten, die das schon Ende der 80er so sahen, waren die HistorikerInnen. Auf ihrer Feier in der repräsentativen Bibliothek des Aby-Warburg-Hauses liest Dekan Jürgen Sarnowsky die Themen der Abschlussarbeiten vor und verteilt Rosen. „Jetzt habe ich das Gefühl, dass auch andere merken: Der hat sein Studium abgeschlossen“, sagt Oliver Trede, seit kurzem Magister der Geschichte.

Fast alle haben sich herausgeputzt. Ganz freiwillig, ohne Kleiderordnung. „Mittlerweile sind die Studierenden deutlich besser angezogen als ihre Lehrer“, sagt Eckart Krause, Planer am Fachbereich Geschichtswissenschaft und Philosophie. Angst vor einer Rückkehr der Talare, gegen deren Muff sich viele der heute Lehrenden zu ihrer Studienzeit wehrten, besteht nicht. Statt repräsentativem Prunk, so Christian Hild, Sprecher der Hochschule für Wirtschaft und Politik, zeichneten sich die Feiern durch eine „lockere Atmosphäre“ samt abendlicher Disco aus.

Es ist ohnehin ein Irrtum, dass mit den Festen eine Tradition wieder entdeckt würde, die nach 1968 verschwunden war. Zwar erinnert Lothar Streitferdt, Dekan der Wirtschaftswissenschaftler, dass er 1983 vom Asta-Vorsitzenden vor einem „Rückfall in bürgerliche Traditionen“ gewarnt worden sei, als er Abschlussfeiern einführen wollte. Tatsächlich wurde die Ehrung von AbsolventInnen jedoch erst vor wenigen Jahren erfunden.

„Ritualisierte Feiern gab es in den 50ern und 60ern nicht“, sagt Krause, Spezialist für Uni-Geschichte. Bestandene Examen wurden allenfalls mit einem warmen Händedruck des Dekans gewürdigt. Die heutigen Feiern gestalten sich, so Krause, nach US-amerikanischen Vorbild. Das gilt auch für das Fest, das Technische Universität und Handelskammer seit Mitte der 90er im Michel celebrieren, auch wenn Sprecher Rüdiger Bendlin es als „sehr barock“ beschreibt.

Die WirtschaftsingenieurInnen, AbsolventInnen eines gemeinsamen Studiengangs der TU und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), laden zu ihrem jährlichen Absolventen-Ball sogar mögliche Arbeitgeber ein: Sponsoren und ehemalige Studierende. Die AbsolventInnen kämen nicht auf die Idee, die Abendgarderobe zu Hause zu lassen.

Jetzt bemerken auch andere: ich bin fertig

Auch einige Fachbereiche der Uni suchen den Kontakt zur Wirtschaft. Die Lebensmittel-ChemikerInnen lassen sich ihr Fest vom Unilever-Konzern sponsern. Insgesamt 5000 Euro gibt es für die AutorInnen zweier Diplom- und zweier Doktorarbeiten. Im Fachbereich Informatik werden die drei besten Abschlüsse finanziell belohnt. Der „Systematics-Award“ ist rund 4000 Euro wert. An der HAW veranstalten mehrere Firmen parallel zu den Abschlussfeiern sogar regelrechte Messen.

Bald sollen sogar Geographie-Diplome nicht mehr ohne Glamour verliehen werden. „Wenn man die Energie mitkriegt, mit der die Studierenden ihre Examen angehen, kann man unseren glanzlosen Abschied nicht mehr rechtfertigen“, sagt Geographieprofessor Jürgen Oßenbrügge. Wenn Ende nächsten Jahres ein bisschen Prunk ins Geomatikum einkehrt, wird die frische Diplom-Geographin Sonja Lamers davon zwar nichts mehr haben. Dafür will sie jetzt aber bald auf eigene Faust zur großen Party einladen.