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Abi für wetterfeste Persönlichkeiten

Wer einen Schulabschluss verpasst hat, kann ihn auf dem zweiten Bildungsweg in Tages- oder Abendschulen nachholen. Allerdings ist die Abbrecherquote relativ hoch, weil viele der Doppelbelastung von Arbeit und Unterricht nicht standhalten

von TILMAN VON ROHDEN

Die verpassten Chancen im Leben sind immer die ärgerlichsten. „Hätteste doch. Warum haste nicht?“ Diese Frage bewegt immer mehr Menschen, wenn sie auf ihre Bildungsbiografie blicken. Denn Zeugnisse aller Art werden bei ausbildungsgeregelten Jobs immer wichtiger. „Ohne Schulabschluss läuft praktisch nichts mehr. Selbst der Versuch, eine Lehrstelle zu finden, ohne einen Hauptschulabschluss in der Tasche zu haben, ist aussichtslos“, sagt Angelika Mette-Dittmann, Koordinatorin bei der Einrichtung Frauenbildung und Beratung im Wedding.

Menschen, die in ihrer Jugend keinen geradlinigen Bildungsweg gegangen sind, können Schulabschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg absolvieren. Und davon machen immer mehr Berliner Gebrauch. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes haben im vergangenen Jahr 5.400 Männer und Frauen einen der angebotenen Lehrgänge besucht. Das waren fünf Prozent mehr als im Jahr 2000. Die meisten der Schüler – nämlich knapp 3.000 – bereiteten sich auf das Abitur vor. Migranten nutzen den zweiten Bildungsweg vor allem, um einfache und mittlere Schulabschlüsse nachzuholen. Unter den 700 Kandidaten für einen Hauptschulabschluss waren 45 Prozent ausländischer Herkunft.

Zulassungskriterien

Auf dem zweiten Bildungsweg können sämtliche Schulabschlüsse nachgeholt werden. Jedoch nur, wenn die Interessenten die vom Land Berlin festgelegten Zugangsvoraussetzungen erfüllen. Ein Hochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg setzt beispielsweise voraus, dass der Kandidat das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Hauptschuhlabschluss oder einen gleichwertigen Bildungsstand nachweisen kann und die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht. Des weiteren muss der Kandidat eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine mindestens dreijährige Berufstätigkeit nachweisen, wobei Zeiten bis zu eineinhalb Jahren aus der Erziehung eines Kindes, aus Arbeitslosigkeit, Zivil- oder Wehrdienst oder einem sozialen Jahr angerechnet werden können.

Um das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zu erwerben, gibt es in Berlin sieben staatliche Einrichtungen, darunter zwei Abendgymnasien. Der abendliche Schulbesuch ist jedoch nur möglich, wenn der Bewerber seine Berufstätigkeit nachweislich fortsetzt. Für die Fachhochschulreife kann unter 34 Oberstufenzentren, die in Tagesunterricht zum Abschluss führen, oder zwei Einrichtungen, die Abendunterricht erteilen, gewählt werden. Die Fachhochschulreife kostet in der Regel zwei Jahre Zeit.

Durchhaltewillen

„Unser Bildungssystem hat keine Sackgassen, es bietet für alle hervorragende Chancen, sich persönlich weiterzuentwickeln“, kommentiert Bildungssenator Klaus Böger die für den zweiten Bildungsweg gut ausgebauten Möglichkeiten. Doch der organisatorische Rahmen ist nur die eine Seite. Für den persönlichen Erfolg sind in gleichem Maße die individuellen Voraussetzungen wichtig. „Neben Intelligenz, Durchhaltewillen und einer relativ hohen Frustrationsschwelle müssen die Bewerber die Bereitschaft mitbringen, sich ständig auf Neues einzulassen“, sagt der Leiter des Kollegs Schöneberg, Lothar Treder-Schmidt.

Ob einem Bewerber Tagesschule oder Abendschule zu empfehlen sei, hält sein Kollege vom Berlin-Kolleg, Rainer von Paris, für eine „sehr individuelle Entscheidung“. An Tagesschulen sei das Kursangebot wesentlich breiter. Am Berlin-Kolleg könne man selbst Kurse in Philosophie oder Latein belegen. „Diese Auswahlbreite kann eine Abendschule nicht bieten, da sich dort sämtlicher Unterricht auf wenige Zeitstunden konzentriert“, so von Paris. Treder-Schmidt sieht die Problematik ähnlich. Die Abendschule sei in erster Linie für Kandidaten geeignet, die „einen so guten Job haben, dass es hart wäre, ihn für die Schulbank aufzugeben“. Eine Abendschule sei aber auch für beruflich Erfolgreiche eine nicht gerade leichte Hypothek, denn die Doppelbelastung von Arbeit und anschließendem Unterricht würden nur „wetterfeste Persönlichkeiten“ überstehen.

Trotz einer Unterstützung durch staatliches Bafög in vielen Fällen muss ein möglicher Misserfolg von vornherein einkalkuliert werden. Am Schöneberg-Kolleg gibt in den ersten paar Monaten rund ein Drittel aller Kollegiaten wieder auf. „Das liegt nicht nur an den Leistungsanforderungen, sondern ebenso an persönlichen Umständen wie einem neuen Jobangebot, einem Umzug oder Veränderungen im familiären Umfeld“, sagt Treder-Schmidt. Doch wer die Anfangshürden genommen habe, falle schließlich seltener durch das Abitur als im ersten Bildungsweg, ergänzt von Paris.

Manchmal kann ein Erfolg auch ungeahnte familiäre Auswirkungen haben: Mit dem höheren Bildungsniveau, so von Paris, würde sich unter dem Einfluss des erweiterten Horizontes auch die Persönlichkeit verändern. Im privaten Bereich führe dies am Ende oft zu Beziehungskrisen und Trennungen.

www.das-neue-bafoeg.de, www.bebis.cidsnet.de/weiterbildung/zbw/index.htm

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