Lernen, wie man lehrt

Kürzer, praxisnäher und besser: An den Berliner Hochschulen soll ab dem Wintersemester 2003/2004 eine reformierte Lehrerbildung erprobt werden. Ein Grundlagenpapier ist bereits formuliert, aber es sind noch viele offene Fragen zu klären

von VERENA MÖRATH

Neun lange Jahre braucht durchschnittlich ein Lehramtsanwärter, bis Studium und anschließender Vorbereitungsdienst absolviert sind. Glaubt man Bildungsexperten und diversen Studien, ist er hinterher noch nicht einmal ein guter Pädagoge. „Man könnte sagen, viele deutsche Kinder lernen trotz Unterricht!“, so Paul Mangel, Lehrer und Psychologe vom Schulpsychologischen Beratungszentrum Marzahn-Hellersdorf, provokativ.

Zu viel Fachwissen

Schuld trägt zum Teil die ungenügende Lehrerausbildung hierzulande, darin ist man sich einig. Studenten häufen in der Uni zu viel überflüssiges Fachwissen an, anstatt zu lernen, wie man lehrt. Didaktik und andere Berufswissenschaften machen weniger als ein Fünftel des Studiums aus. Bekannt ist auch, dass Schul- und Unterrichtserfahrung während des Studiums zu kurz kommen. Ganze drei Monate sieht ein Lehramtsanwärter während der langen Studienzeit die Schule von innen. „Das Lehrerdasein ist primär ein Interaktionsjob“, meint Schulpraktiker Paul Mangel, „das trainiert sich aber nur über das Handeln, nicht über die Theorie.“

Das „Handeln“ kommt erst während der zweiten Phase der Ausbildung: Drei Tage die Woche Schule und Unterricht mit regelmäßigen Lehrproben, zweieinhalb Tage Fachdidaktik in Seminaren, wo es nun endlich um das Kerngeschäft des Lehrers geht: Wie bringe ich meine Schüler dazu, lernen zu wollen? Der Zeitpunkt, eine gründliche Reform der Lehrerbildung in Angriff zu nehmen, ist günstig. Erstens hat der Pisa-Schock einen enormen Reformdruck erzeugt. Zweitens schreitet nach der Bologna-Konferenz vor drei Jahren die europaweite Einführung eines gestuften Studien- und Abschlusssystems mit so genannten Bachelor- und Masterstudiengängen an den deutschen Universitäten voran.

Mittelfristiges Ziel ist ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum, in dem es einfacher wird, wechselseitig Studienabschlüsse anzuerkennen. Das Land Berlin hat im letzten Jahr Hochschulverträge abgeschlossen, die alle Berliner Hochschulen verpflichten, ihre Studiengänge bis 2003 zu modularisieren. Mit anderen Worten: Die Fächer, die für das Lehramt relevant sind, werden ohnehin umstrukturiert. Das birgt die Chance, die gröbsten Mängel der Lehrerbildung endlich zu beheben.

Die Vizepräsidenten-Runde der Berliner Hochschulen sowie der Bildungssenator Klaus Böger (SPD) einigten sich im Juli diesen Jahres auf die Entwicklung eines achtjährigen Modellversuchs, der ab dem Wintersemester 2003/2004 startet. In Zukunft soll die Lehrerschaft „kürzer, praxisnäher und besser“ ausgebildet werden.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, aber bis die Erprobungsklausel im Lehrerbildungsgesetz durch das Abgeordnetenhaus verabschiedet werden kann, sind viele offene Fragen zu klären. „Das Reformpapier ist noch im Fluss“, charakterisiert Angelika Hüfner, Referentin im Bildungssenat, den aktuellen Stand.

Derzeit konstituieren sich Facharbeitsgruppen, mit Mitgliedern aus den Berliner Hochschulen und der Bildungsverwaltung. Sie müssen rund 45 lehramtsrelevante Fächer nach noch abzustimmenden Vorgaben inhaltlich und strukturell beackern. Im Januar 2003 sollen erste Ergebnisse vorliegen.

„Ich hoffe, dass sich zukünftig die Studiencurricula endlich an dem Bedarf von Schulunterrichtswissen orientieren“, meint Alexandra Dinges-Dierig, Leiterin des Landesinstituts für Schulen und Medien (Lisum). Auch Schulreformer Heinz Klippert fordert „Lehrexperten statt Fachexperten.“

Nach seiner Methode des Eigenverantwortlichen Lernens und Arbeitens (EVA) reformieren gegenwärtig Schulen in der gesamten Bundesrepublik ihr Unterrichtskonzept. Klippert begrüßt die Reformansätze, zeigt sich aber skeptisch: „Die Hochschulen müssen liebe Gewohnheiten und Paradigmen auflösen, neue Berufungsverfahren und eine konkrete Personalentwicklung stehen an. Dazu gehört einiges.“ Lisum-Leiterin Dinges-Dierig ist „gespannt, was sich von all den Reformvorhaben durchsetzen wird“.

Kürzeres Referendariat

Parallel zur inhaltlichen Diskussion in Arbeitsgruppen prüft eine Rahmenplankommission die rechtlichen Voraussetzungen für die Verkürzung des Referendariats um ein halbes Jahr sowie für eine verpflichtende, berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung der Lehrer. Ganz einig sind sich die Entscheidungsträger bezüglich dieses Reformpunkts nicht. Hochschulreferentin Gisela Hüfner dazu: „Man schwankt, ob eine Fortbildung unter Zwang sinnvoll ist oder sich psychologisch eher kontraproduktiv auswirkt. Grundsätzlich ist heute ein Wille der Lehrer zu erkennen, sich fortzubilden.“

Das Lisum, in Berlin für die Lehrerfortbildung zuständig, verzeichnete im vergangenen Schuljahr 45.000 Seminarteilnehmer. Rein rechnerisch hätte jeder Berliner Lehrer 1,5 Lisum-Seminare besucht. Darüber hinaus erfahren Berliner Lehrerkollegien im Rahmen von Projekten wie der Pädagogischen Schulentwicklung (PSE) einen beträchtlichen Zuwachs an Sach- und Methodenkompetenz.

Ergebnis: Auch ohne den völlig „erneuerten“ Junglehrer gibt es in der Hauptstadt Erfolgsmeldungen von reformwilligen Lehrern.