Protestpremiere bei Siemens

Angesichts der geplanten 15.000 Entlassungen beim Elektronikriesen gibt es deutschlandweit Demonstrationen, auch vor der Firmenzentrale. Masseneintritte bei der IG Metall in München. Siemens sieht das Schüren „unbegründeter Ängste“

aus München OLIVER HINZ

Siemenschef Heinrich von Pierer residiert in einem rosafarbenen Prachtbau von 1825 im Zentrum von München, dem Wittelsbacher Palais. Hier an der Zentrale des Elektronikkonzerns gegen den eigenen Vorstandsvorsitzenden zu demonstrieren kam für Siemensianer noch vor kurzem einem Tabu gleich. Seit der Vorstand plant, 15.000 der 177.000 Stellen in Deutschland zu streichen, gehen die Beschäftigten dann doch auf die Straße. Erstmals in der Firmengeschichte protestierten gestern rund tausend Angestellte auf dem Wittelsbacher Platz gegen den geplanten Personalabbau.

Sambatrommler und Trillerpfeifen sorgen für ungewohnte Gewerkschaftsstimmung rund um die Reiterstatue von Kurfürst Maximilian von Bayern. Viele haben sich den Button „Arbeitszeitverkürzung statt Kündigung“ angesteckt. Die Parole lautet „Viertagewoche“. Vor dem Podium liegt ein mit einem schwarzen Tuch verhüllter Sarg. Darauf prangt der Schriftzug „Siemens- Unternehmensunkultur“.

Organisator Michael Leppek von der IG Metall freut sich: „So was hat es bei Siemens noch nie gegeben.“ Und der Druck auf Pierer soll zunehmen. Heribert Fieber, Betriebsratschef der Netzwerksparte in München-Sendling, ruft in die Menge: „Wenn sich der Siemens-Vorstand nicht endlich an seine soziale Verantwortung erinnert, dann kommen wir so lange, bis die gehen müssen.“ Lange genug habe die Belegschaft stillgehalten.

Der Organisationsgrad der Gewerkschaft ist unter Ingenieuren traditionell gering. Erst recht bei Siemens. Ein Job hier galt als sicher. Für die IG Metall organisierten sich wenige. Nur ein Drittel der Mitarbeiter des Siemens-Konzerns gehören der IG Metall an, erklärt deren Bundesvize und Aufsichtsrat des Unternehmens, Bertin Eichler, der taz. Die angekündigte Entlassungswelle – die Netzwerksparte droht komplett geschlossen zu werden – hat einen Run zur Gewerkschaft ausgelöst. Allein in der Sendlinger Niederlassung mit 2.600 Angestellten gewann die IG Metall seit August 800 neue Mitglieder. „Früher traten pro Jahr nur 25 ein“, sagt Fieber.

Bundesweit sind von den Stellenstreichungen etwa die Hälfte der 50 Standorte betroffen. Auch in Düsseldorf und Berlin gab es gestern Proteste. Unternehmenschef Pierer bekam gestern keinen Demonstranten zu Gesicht. Der Zentralvorstand tagte in Erlangen – turnusgemäß, so Firmensprecher Constantin Birnstiel. Scharfe Kritik übte Birnstiel an den Protesten: „Der Druck von außen ist kontraproduktiv, weil er in der Belegschaft unbegründete Ängste schürt.“