berliner szenen Die 80er in Ost und West

Retroschleifen

Sie stehen am Ku’damm gegenüber von Douglas an der Ampel. Wahrscheinlich sind es zwei Professionelle, das sieht man an der Art, wie sie mit neonfarbenen Frotteeringen ihre Haare keck zu Türmen hochgezwirbelt haben. Außerdem sehen ihre Fußkettchen nach protzteuren Nuttenaccessoires aus. Am besten aber ist ihr Partnerlook: Die eine im roten, die jüngere im grauen Jogginganzug, der mit einem Bund am Knöchel abgesetzt ist; dazu tragen beide Pumps.

Als die Frauen über die Straße gehen, umarmen sie sich, wie es sonst nur Freundinnen auf Helmut-Newton-fotografiert-Yves-Saint-Laurent-Modestrecken oder in der Werbung für After-Tennis-Joghurts getan haben, früher in den Achtzigerjahren. Dann ist die Zeitschleife perfekt: Das Erinnerungsprogramm wird Ihnen präsentiert von Maredo-Steakhouse und Möbel Höffner.

Kein Zweifel, in Westberlin wirkt der Eighties-Schick anders als in Mitte. Während sich im Kurvenstar am Hackeschen Markt die Frisur von Mias Mieze und die entsprechenden Electropunk-Sounds durchgesetzt haben, hat sich am Ku’damm die Welt noch nicht um die Retroachse gedreht. Sie steht einfach nur still. Hier gilt als Überbleibsel aus Vorwendezeiten, was im neuen Zentrum der Hauptstadt gerade erst entdeckt wird: ein monströser Stilmix aus Leggings, Schulterpolstern und marmor-washed Jeans. Dabei waren diese modischen Verbrechen im Osten doch schon vor dem Mauerfall schwer en vogue – wer kann sich nicht an die vielen Zonies in Billigjeans erinnern? Offenbar sind es eine ganze Menge, die jetzt als Mitte-Hippe in Secondhand-Kisten aus DDR-Beständen kramen – stets der Zukunft zugewandt. Im Westen warten derweil die letzten Originale auf russische Kundschaft. HARALD FRICKE