piwik no script img

strahlend durch die ukraine von FLORIAN HARMS

Ich war gerade in der Ukraine unterwegs – so, wie man dort unterwegs zu sein pflegt: mit einem zähen Kater im Großhirn und einer ordentlichen Portion Röntgenstrahlung an Haut und Haaren nach einem Herbstausflug in Tschernobyl.

Gemessen wird die Strahlung in Röntgenmikrogramm pro Stunde, und 40 Einheiten gelten bereits als riskant. Wir hatten 800 abbekommen. Nun sah ich ergeben dem Rückflug in den Westen entgegen. Die Zeit bis zum Abflug gedachte ich mir mit dem Monatsmagazin der internationalen Atomenergielobby zu versüßen. Der Kleinbus, in den man mich gemeinsam mit etwa 20 weiteren, ebenfalls mit einer soliden Grundstrahlung behafteten Kollegen gepfercht hatte, fuhr direkt vor den „VIP-Terminal“ des Kiewer Flughafens. Das Fertigbauhäuschen, als das der Terminal für besonders wichtige Personen sich entpuppte, ließ sich erst nach einer ausgedehnten Röntgendurchleuchtung von Körper und Koffern betreten. Dazu wurde eine so genannten X-Ray-Maschine eingesetzt, durch die unsere Strahlung aufgefrischt wurde.

In Habtachtstellung hieß man uns neben dem Gepäck warten, um auf Namensnennung „Jawoll!“ zu bellen und den eigenen Koffer nochmals zu identifizieren. Anschließend durften wir uns einem weiteren Röntgentest unterziehen. Sicherheitshalber natürlich. Endlich wurden wir abkommandiert, in hellbraunen Kunstledersesseln Platz zu nehmen.

„Drink Coffee!“, befahl die robuste Flughafensicherheitsbeauftragte. Doch schon nach drei Tässchen kam die nächste Anweisung: „Now duty free shopping!“ Gehorsam ließen wir eine neuerliche Röntgenstrahlung durch unsere Leiber dringen und zwängten uns in ein Gefährt, um über das Flugfeld kutschiert zu werden. An irgendeiner Eisentür hielt der Wagen abrupt, und es ging hinein in ölige Katakomben, in denen schwitzende Männer tausende von Koffern schichteten. Dazwischen ein verwirrter Russe, einen Anflug von Panik im Gesicht: „Geht’s hier nach Amsterdam?“ Der Russe hatte wohl schon zu viel Strahlung.

Ein Stockwerk höher wartete nochmals eine Röntgendurchleuchtung, die die individuelle Dosis endgültig in rekordverdächtige Höhen trieb. „It’s for your safety!“, beschied man uns. Auf das Kommando „Go in this shop! Buy! You have three minutes!“, hastete die gesamte Bagage in ein Versorgungsetablissement und tauschte die letzten Kopeken gegen eine Plastikflasche Wodka. Dann forderte uns eine Lautsprecherstimme zum sofortigen Einchecken auf. Selbstverständlich nicht ohne den obligatorischen Röntgenvorgang. Der Sicherheit wegen, versteht sich.

„Come back to Ukraine sometime!“, flötete ein roter Mund noch, als sich die Flugzeugtür endgültig schloss. Der Platznachbar beugte sich aus seinem Sitz herüber, ein Mann mit viel Lebenserfahrung: „Wussten Sie eigentlich, dass man auf so einem Flug in 10.000 Metern Höhe eine gehörige Röntgenstrahlung aus dem Weltraum abbekommt?“ Doch ich hörte gar nicht hin. Ich war viel zu sehr mit meiner Lektüre beschäftigt – im Lichte meiner glühenden Gliedmaßen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen